Langenberg. Der Langenberger Günter Steden hat ein Buch über die Kindheit in den 1930er, 40er und 50er Jahren geschrieben. Fast drei Jahre hat er gebraucht.

„Es soll nicht in Vergessenheit geraten, was die damals mit uns gemacht haben“, sagt Günter Steden. Im Frühjahr wird der Langenberger 90 Jahre alt, die Erinnerungen an seine Kindheit hat er in einem Buch verarbeitet.

Im Zentrum sollte dabei eigentlich die Kinderlandverschickung während des Zweiten Weltkriegs stehen, „die habe ich schließlich mehrfach mitgemacht“, sagt der Autor. Doch die Familie fand: Das ist nicht ausreichend. „,Du musst auch die Zeit davor und danach berücksichtigen’, haben die mir gesagt“, erzählt Steden. Also habe er den Zeitraum ausgedehnt: von 1930 bis 1950.

Günter Steden kann sich auf sein Gedächtnis verlassen

Günter Steden zog vor fast 50 Jahren von Bochum nach Langenberg.
Günter Steden zog vor fast 50 Jahren von Bochum nach Langenberg. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Zwei bis drei Jahre habe er an dem Manuskript gearbeitet. „Ich habe als Kind natürlich kein Tagebuch geschrieben“, sagt er lachend. „Aber ich habe das alles selbst erlebt.“ Zum Glück sei sein Gedächtnis sehr gut. Er habe aber auch mit Gleichaltrigen gesprochen, sie gefragt, was sie erlebt hätten. „Aber viele wollen sich nicht mehr erinnern, haben die Zeit verdrängt.“

Auch externe Quellen habe er zu Rate gezogen, „aber die waren nicht sehr hilfreich“, sagt der Langenberger. „Diese Bücher sind oft hochschulmäßig aufgemacht, viele Dokumente werden behandelt.“ Doch das habe ihm, der in Bochum aufgewachsen ist, nichts gebracht.

Die Erinnerungen an die Zeit im Jungvolk sind „bitter“

Bochum (hier ein Blick auf die Harmoniestraße) ist im Weltkrieg schwer getroffen worden. Auch die Zeit nach Kriegsende war daher – gerade auch für Kinder und Jugendliche – besonders hart.
Bochum (hier ein Blick auf die Harmoniestraße) ist im Weltkrieg schwer getroffen worden. Auch die Zeit nach Kriegsende war daher – gerade auch für Kinder und Jugendliche – besonders hart. © Presseamt Stadt Bochum, Zusendung von Markus Lutter

Mit zehn Jahren, 1940, musste Günter Steden ins Jungvolk, „das war bitter“, erinnert er sich. „Dieses Kommandiertwerden, schlimm. Es ging ja nur ums Marschieren. Nichts anderes, nichts Lockendes für Kinder.“ Doch der 89-Jährige besaß schon damals ein gutes Gespür. So berichtet er, dass „nach der Niederlage bei Stalingrad 1942 die Lehrer unsicherer geworden sind. Das habe ich schon bemerkt“.

Außerdem hätten die Nazis Schwierigkeiten gehabt, „ihre Vereine am Leben zu halten. Die Hitlerjugend zum Beispiel. Man wurde ja mit 16, 17 schon eingezogen.“ Dennoch, so erzählt er: Die Nachkriegsjahre seien schlimmer gewesen. „Bochum war total zerstört, wir haben dauernd Hunger gehabt.“ Es gab keine Schulen, und wer Lebensmittelmarken haben wollte, musste arbeiten: „Bergbau oder Bau, was anderes gab es nicht.“

Erst gab es Arbeit auf dem Bau, dann bei der Post

Günter Steden ging auf den Bau, „Trümmer wegräumen und sowas“, sagt er. Danach wechselte er zur Post. „Aber das war ja auch nicht besser. Die Fahrräder waren schnell kaputt, überall gab es Hindernisse durch die zerstörten Häuser und Straßen.“ Dafür gab es aber neue Jugendgruppen. „Mein Vater sagte eines Tages: ,Die machen eine Gruppe auf, kannste hingehen’“, erinnert er sich.

Zuerst wollte der junge Günter zwar nicht, rang sich schließlich aber doch durch. „Da waren 20 Leute, und ein ehemaliger Kriegsgefangener hielt einen Vortrag“, erzählt er. „Über die Evolution. Evolution, den Begriff hatte ich vorher noch nie gehört.“ Der Vortrag sei aber so interessant gewesen, dass er geblieben sei. Und fortan weiter zu den Treffen ging.

Günter Steden liest auch in Schulen aus seinem Buch

Entwicklung ist „besorgniserregend“

Überhaupt kein Verständnis hat Günter Steden für Menschen, die „heute noch etwas Lobendes über die Zeit des Dritten Reichs erzählen“. Das sei erschreckend für ihn, der die Jahre miterlebt und die Folgen selbst zu spüren bekommen habe.

Auch wundere er sich darüber, dass von „den zwei, drei Millionen Parteimitgliedern, die es gegeben hat, nach 1945 plötzlich alle weg waren.“ Die heutigen politischen Entwicklungen – Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit etc. – „halte ich für extrem besorgniserregend“, sagt Steden.

Inzwischen ist das Buch in zweiter Auflage erschienen. Und Steden ist mit seinen Erinnerungen auch unterwegs – zum Beispiel in Schulen. „Das ist toll“, sagt er. „Kaum habe ich angefangen vorzulesen, unterbrechen mich die Kinder und löchern mich mit Fragen.“ Klar, denn kein heute Zehnjähriger könne sich vorstellen, wie die Menschen vor 80 Jahren gelebt haben.

„Die Wohnungen waren kleiner, wir hatten kein eigenes Bad, keine eigene Toilette. Und nach dem Krieg waren die Schulen entweder zerstört oder es gab kaum Lehrer.“ Wer möchte, kann Günter Steden zu sich einladen – egal ob Schule oder Begegnungsstätte – damit er aus seinem Buch liest und von seinen Erlebnissen berichtet (Kontakt: 02052 84008).

Das Buch von Günter Steden trägt den Titel „Bochum-Nord – Vom Frieden in den Krieg und zurück zum Frieden 1930-1950“, erschienen im Europäischen Universitätsverlag (ISSN 1436-0861) zum Preis von 14,90 Euro.