Duisburg-Serm. . Sermer Architekt schrieb im Alter von 87 Jahren ein Buch über seine Erinnerungen an die Kinderlandverschickung. Riskantes Spiel mit Munition

„Erzähl’ doch mal Onkel Johannes, wie war das eigentlich genau?“ Wieder und wieder drängte die Verwandtschaft, allen voran Neffe Christian, den alten Herrn, seine Erlebnisse aufzuschreiben. Bis Johannes Pechan endlich nachgab. Eines Morgens setzte sich der Sermer Architekt an seinen Computer, den er auch im Alter von 87 Jahren nahezu perfekt beherrscht. Herausgekommen ist ein interessantes Buch über seine Erlebnisse gegen Ende des Zweiten Weltkriegs. Der Titel lautet: „Meine Odyssee“ .

Als Zwölfjähriger kommt Johannes 1943 zur Kinderlandverschickung, zunächst in den Spessart, später nach Bad Kissingen. Was derweil zuhause in Serm passiert, weiß er nicht. Ebenso wenig, ob der Vater und die älteren Brüder an der Front überhaupt noch leben. Dennoch schildert Johannes Pechan die Erlebnisse zwischen 1943 und 45 streckenweise unbeschwert, wie ein großes Abenteuer. „Zu keiner anderen Zeit in meinem Leben ist soviel passiert wie damals. Als Junge hat man das alles hingenommen“, sagt der alte Herr.

Granaten auf dem Schulweg

Wir sitzen im gemütlichen Wohnzimmer der Pechans, mit unverbautem Blick auf die Felder, bis zum Tower des Düsseldorfer Flughafens im Hintergrund. Das sei früher mal eine Streuobstwiese gewesen. Sie gehörte zum Brengershof, dem Elternhaus seiner Frau, erzählt der Buchautor, der Architekt von Beruf war: „Ich hab’ halb Serm gebaut“, sagt er. Nach den Bombenangriffen war einiges zerstört und in der Nachkriegszeit ist der dörfliche Stadtteil rasant gewachsen.

Johannes Pechan als Schüler.
Johannes Pechan als Schüler.

Pechan ist Sermer Urgestein, einer der wenigen, der noch Platt sprechen kann. Sein Großvater war der Dorfschmied, der Vater arbeitete bei der Stadt. Als eines von 13 Kindern durfte Johannes eine höhere Schule besuchen, das Fabritianum in Krefeld. Das war näher als die Jungen-Gymnasien in der Duisburger Stadtmitte - aber immer noch acht Kilometer vom Sermer Elternhaus entfernt. Also 16 Kilometer Schulweg, den Johannes täglich zu Fuß zurücklegte. „Morgens war der Weg über die Uerdinger Rheinbrücke mit den Resten der Artilleriegranaten bestreut, die die Flak in der Nacht abgeschossen hatte“, erinnert sich Johannes Pechan an den Sommer 1943.

Wunderkerzen aus Munition

Im August ordnete man die Kinderlandverschickung an. Die Kinder sollten auf dem Lande in Sicherheit gebracht werden. Nicht nur reine Menschenliebe steckte dahinter, meint Pechan: „Man brauchte später gesunde Menschen um seine Ziele zu erreichen“.

Der Sermer hat alles aus dem Gedächtnis niedergeschrieben, Notizen gab es keine. Doch er erinnert sich an erstaunlich viele Details. Wie der Pilot eines abgeschossenen amerikanischen Tieffliegers im Baum hing, mit abgetrennten Kopf. Wie die Jungen das Pulver aus Leuchtspurmution kratzten und daraus Wunderkerzen bastelten. Oder an das schreckliche Unglück, das passierte, als zwei Klasenkameraden mit einer Übungshandgranate hantierten. Dem einen wurden die Finger abgerissen, dem anderen ein Auge ausgeschlagen.

Bruder wurde drei Jahre vermisst

Die Pechans sind vergleichsweise glimpflich davon gekommen. Nach einer Odyssee im Güterwaggon durch halb Deutschland kam Johannes im Frühjahr 1945 nach Serm zurück. Die gesamte Familie traf nach und nach wieder zu Hause ein. Sogar Robert, der Bruder, der drei Jahre zuvor an der russischen Front als vermisst gemeldet wurde. Als Johannes Pechan davon erzählt an diesem sonnigen Tag im Februar 2018, ist er zu Tränen gerührt - immer noch, fast 72 Jahre später.

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Von 13 Geschwistern leben noch zwei

Von Johannes Pechans Buch gibt es nur 15 Exemplare. Sie sind für die Familie bestimmt. Neben einem Neffen hat besonders Tochter Barbara Johann Pechan zum Schreiben ermuntert. Das 55 Seiten starke Buch soll dazu beitragen, dass die Erinnerungen eines Zeitzeugen erhalten bleiben.

„Der Krieg hat unsere Familie zwar zerrissen, aber nicht zerstört, fast ein Wunder“, schreibt der Autor in seinem Nachwort. Die drei ältesten Brüder kamen schwer verwundet und Hungerödemen gezeichnet aus dem Krieg zurück. Im Laufe der Zeit erholten sie sich. Von den 13 Geschwistern leben heute noch Johannes Pechan und seine Schwester Theresia.