Neviges. Mit Schwester Brigitte (67) verlässt die letzte Diakonisse den Schuldienst der Bleibergquelle. Eine ungewöhnliche Frau mit vielen Zukunftsplänen.

Mit Leib und Seele, viel Humor und manchen „Zeichen von oben“, wie sie selbst lächelnd sagt, unterrichtete Schwester Brigitte 36 Jahre lang an der Bleibergquelle: Erst in dem nicht mehr bestehenden Internat, dann als Lehrerin für Deutsch und Englisch im Berufskolleg. Bis zu ihrem letzten Schultag hat die 67-Jährige, die vor 43 Jahren ins Mutterhaus eintrat und jetzt als letzte Diakonisse den Schuldienst verlassen hat, zwei Ziele mit Herzblut verfolgt: „Mir war wichtig, dass die jungen Leute ihre Stärken erkennen, dass sie Freude am Lernen entwickeln, ich sie in ihrer Persönlichkeitsentwicklung ein Stück begleiten kann.“ Zudem wollte sie ihnen als Diakonisse vermitteln „dass Gott sie liebt, so wie sie sind. Mit allem Drum und Dran, sozusagen brutto.“

Das rheinische Mädchen kam Rosenmontag ins Mutterhaus

Noch gut kann sich „Sister B.“, wie sie von ihren Schülern liebevoll genannt wurde, an den 1. März 1976 erinnern. „Es war Rosenmontag, ausgerechnet, ich bin doch ein echtes rheinisches Mädchen“, erzählt sie lachend. „Da stand ich nun mit meinem Köfferchen, hatte mein Auto und meine Möbel verkauft, meine schicken Klamotten in die Kleidersammlung gebracht und heuerte im Mutterhaus an.“ Vorausgegangen war jenem Tag eine aufregende Zeit voller Fragen, manchmal auch Zweifel.

Ungläubiges Staunen im Freundeskreis

Das Staunen in der Gemeinde in Düsseldorf war groß, als die lebensfrohe Studentin, die liebend gern tanzen ging, gern ausgefallene Kleidung trug und bewies, dass man sich auch mit knallrot lackierten Fingernägeln in der Gemeindearbeit engagieren kann, verkündete: „Ich werde Diakonisse.“ Damals hätten einige getuschelt. „Das glaub ich erst, wenn die wirklich im Mutterhaus ist“, so erinnert sich Schwester Brigitte sichtlich vergnügt.

Alt werden im „Feierabendhaus“

Das Diakonissen-Mutterhaus Bleibergquelle gehört zum Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverband (DGD). Wer Diakonisse wird, lebt und dient in einer verbindlichen evangelischen Lebens,- und Glaubensgemeinschaft. Die Schwestern schließen einen Arbeitsvertrag mit dem DGD und können mit einer Frist von drei Monaten auch kündigen. Nach der Kündigung gibt es ein Startgeld sowie einen Betrag, um sich einzukleiden.

Zum Mutterhaus an der Bleibergstraße gehören Bildungseinrichtungen wie das Berufskolleg und die Fachschule für Sozialpädagogik, die Christliche Gesamtschule Bleibergquelle, das Fachseminar für Altenpflege und die Kita Quellenzwerge.

Zurzeit leben etwa 90 Diakonissen im Mutterhaus. Dazu gehören die Einrichtungen „Feierabendhaus Bergesruh“ und „Feierabendhaus Zeder“, in dem Diakonissen aus dem gesamten Diakonieverband ihren Lebensabend verbringen.

Was war passiert, dass sie als Jugendliche einen ganz anderen Weg einschlug als ihre Freundinnen, mit denen sie gern in die Altstadt ging, auch mal in Discos abrockte? Wie kommt eine junge Frau, die leidenschaftlich gern tanzt, vor allem latein-amerikanisch, auf die Idee, die drei Prinzipien der Schwesternschaft „Ehelosigkeit, Gehorsam und Armut“ zu befolgen? „Es gab kein besonderes Ereignis, es machte nicht etwa auf einmal peng.“ Vielmehr habe sich der Weg langsam und schleichend abgezeichnet. „Damals war von Hilde Knef ,Für mich soll’s rote Rosen regnen’ ein großer Hit“, erzählt Schwester Brigitte und ihre blauen Augen blitzen dabei fröhlich: „Auch für mich sollte es rote Rosen regnen, aber ich wusste nicht, wie ich das anstellen sollte.“

Fasziniert von einem Bibelvers

Das Mutterhaus ist eingebettet in eine herrliche, parkähnliche Anlage, in der sich auch die weiteren Einrichtungen befinden.
Das Mutterhaus ist eingebettet in eine herrliche, parkähnliche Anlage, in der sich auch die weiteren Einrichtungen befinden. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

In dieser „Zeit der Suche“, wie es Schwester Brigitte nennt, nahm sie eine Freundin mit zum christlichen Jugendkreis, eine Art CVJM. „Damals hab ich zum ersten Mal junge, engagierte Christen kennengelernt.“ Mit denen sie Musik machte, feierte, über Gott und die Welt redete. „Es gab da einen Bibelvers, der hat mich nicht los gelassen: Ich bin gekommen, um euch ein erfülltes Leben zu geben.“ Und plötzlich habe sie eine leise Ahnung gehabt, wie ihr Leben aussehen könnte. „Da war etwas, das hat mich fasziniert.“ Zwei Jahre lang habe sie sich „das so in der Gemeinde angeguckt“, und kam nach einer Wochenendfreizeit zu folgendem Entschluss: „Ich hab mir gesagt: Jesus, ich möchte dich kennenlernen, eine Beziehung zu dir bekommen. Und wenn all das stimmt, was du versprichst, dann möchte ich dich erleben.“

Lustige Studentenzeit in Köln

Noch immer fielen keine Sterne vom Himmel, und rote Rosen regnete es auch nicht für die Oberschülerin des Annette von Droste-Hülshoff-Gymnasiums, die während ihrer Abiturvorbereitung jeden Morgen in der Bibel las. Was sie studierten wollte, war seit ihrem ersten Schultag klar. „Ich kam als I-Männchen damals nach Hause und verkündete: Mama, ich will Lehrerin werden. Ich fand das so toll, an der Tafel zu schreiben.“ Schnell fiel die Wahl auf Deutsch und Englisch, die Studentenzeit in einer WG in Köln war bunt und lustig. „Nur wie es nach dem Examen weiter gehen sollte, war noch unklar.“

Die Selbstständigkeit aufgegeben

In der Gemeindearbeit in Düsseldorf lernte sie eine Diakonisse kennen, erfuhr etwas über das Leben im Mutterhaus. „Ich hätte mir das vorher nicht vorstellen können: Meine Selbstständigkeit aufzugeben, ich hatte mir früher ja auch mal eine Ehe, eine Familie gewünscht.“ Die Selbstständigkeit aufzugeben, das bedeutet auch, bis auf ein Taschengeld auf das vom Staat gezahlte Lehrerinnen-Gehalt zu verzichten, das der Gemeinschaft des Mutterhauses zukommt. Doch jenes Bibelzitat habe alle Zweifel weggewischt: „Da ist jemand, der mir ein erfülltes Leben verspricht. Dann probiere ich das jetzt mal aus.“

Sister B. will wieder tanzen

Die zweijährige Probezeit im Mutterhaus zu bestehen, bereitete ihr keine Mühe. „Alles war plötzlich ganz klar.“ In der Bleibergquelle bestand sie zunächst ihr Krankenpflegehilfe-Examen, lehrte ab 1983 erst im Internat und später im Berufskolleg Englisch und Deutsch. „Das war das Puzzlestück, auf das ich noch gewartet hatte, ich wollte doch unbedingt unterrichten.“ Und jetzt, nach der Pensionierung? Legt Schwester Brigitte noch mal los: „Ich möchte reisen, nach Korfu und zur Blumeninsel Madeira. Im VHS-Kurs mein Französisch auffrischen, ich möchte auch wieder tanzen, das hab ich so gern gemacht, ich habe da auch schon Kontakte geknüpft.“ Ja, sie freue sich darauf, in der Bleibergquelle alt zu werden und „offen zu sein für das, was Gott mir jetzt zeigt“.