Langenberg. . In der Langenberger Jugendherberge kam sie zur Welt. Doch weil ihr Vater nicht in die Partei wollte, begann eine Odyssee für die heute 88-Jährige

Ihr Vater sei der erste Herbergsvater der Jugendherberge in Langenberg gewesen, erzählt die heute 88-jährige Langenbergerin (Name der Redaktion bekannt). Und sie wurde in dem Haus, das heute dem Verein Wendepunkt gehört, geboren. Doch was folgte, war eine wahre Odyssee, bis sie nach dem Zweiten Weltkrieg endlich wieder nach Langenberg zurückkam.

So sah die Langenberger Jugendherberge in ihren Anfangstagen aus.
So sah die Langenberger Jugendherberge in ihren Anfangstagen aus. © Sascha Döring

„Er wollte das Parteibuch nicht“

Drei Jahre nach ihrer Geburt, 1933, mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten, änderte sich das Familienleben drastisch. Ihr Vater habe das Parteibuch nicht annehmen wollen, erinnert sie sich. Deswegen habe er die Jugendherberge nicht weiter führen dürfen. „Und so war er arbeitslos.“ Eine Zeit lang lebte die kleine Familie in Bonsfeld, dann ging es weiter nach Düsseldorf. „1940 sind wir ausgebombt worden“, erzählt die Langenbergerin.

„Was dann folgte, war das Schlimmste, was passieren konnte: Unsere Familie wurde auseinander gerissen.“ Sie und ihre sechsjährige Schwester verschlug es auf ein Gut in Pommern, die Mutter und die jüngste Schwester nach Franken, die mittlere Schwester – damals fünf Jahre alt – allein zu einer Bauernfamilie. Immerhin nicht weit von der Mutter entfernt. Der Vater blieb in Düsseldorf.

Düsseldorf nach Kriegsende: Auch das Haus der Langenbergerin ist im Krieg ausgebombt worden.
Düsseldorf nach Kriegsende: Auch das Haus der Langenbergerin ist im Krieg ausgebombt worden. © Repro Sergej Lepke

Die Mutter kehrt nach Düsseldorf zurück

Aus Erzählungen weiß sie, dass ihre Mutter während des Krieges für kurze Zeit nach Düsseldorf zurückkehrte. Ihr Vater habe damals ein Zigarrengeschäft gehabt, nach einem Bombenangriff mit Phosphor habe die Mutter geholfen, einige Dinge zu retten. „Das muss fürchterlich gewesen sein“, erzählt die 88-Jährige, „meine Mutter sagte, dass bei jedem Schritt Phosphor aufgespritzt ist.“

Später, noch während des Krieges, durfte die Langenbergerin gemeinsam mit ihrer Schwester den Vater besuchen: „Mit einem Kindertransport sind wir zurückgereist, drei Tage durften wir bleiben.“ Der Vater habe sich dann dafür eingesetzt, dass die beiden Mädchen nicht wieder nach Pommern zurückmussten. „Das war auch gut so, wer weiß, was sonst später aus uns geworden wäre“, sagt die Langenbergerin heute.

In Würzburg gab’s ein Wiedersehen mit der Mutter

Statt in den Nordosten ging es dann nach Würzburg, und dort gab es ein freudiges Wiedersehen: „Meine Mutter und meine Tante haben uns abgeholt und zu dem Bauern gebracht, bei dem meine Mutter zu der Zeit gelebt hat.“

Wenig später näherte sich der Krieg dem Ende, die Amerikaner marschierten in der Region ein. „Die wollten eigentlich weiter“, erinnert sich die Zeitzeugin. „Aber der liebe Volkssturm meinte ja, er müsste eine Brücke sprengen“, merkt sie sarkastisch an. Also blieben die Soldaten ganze acht Tage – in denen die Deutschen nur eine Stunde pro Tag das Haus verlassen durften. „Aber wir hatten Glück“, fährt die Dame fort. In der Nähe habe es ein Kriegsgefangenenlager mit französischen Soldaten gegeben, „und einer von denen ist dann tagsüber für uns einkaufen gegangen, die durften ja raus.“

Da war die Welt noch in Ordnung: Mutter, Vater und die heute 88 Jahre alte Langenbergerin.
Da war die Welt noch in Ordnung: Mutter, Vater und die heute 88 Jahre alte Langenbergerin. © Repro Sascha Döring

Abenteuerlicher Weg zurück

Als erstes durfte sie – als älteste Tochter – wieder zurück ins Rheinland. Der Vater holte sie ab, der Weg nach Düsseldorf war abenteuerlich: Mit dem Handkarren ging es zu Fuß bis Bad Neustadt an der Saale, von dort aus nahm ein amerikanischer Soldat Vater und Tochter auf einem Lkw mit bis Schweinfurt. „Das war was“, sagt die 88-Jährige heute, „der ist gefahren wie ein Berserker.“ Von Schweinfurt aus ging es per Güterzug nach Gießen, zwei Tage und eine Nacht dauerte die Fahrt. „Von Gießen ging es dann recht gut nach Düsseldorf.“

Inzwischen hatte der Vater längst Post vom Jugendherbergsverband bekommen – ob er das Haus in Langenberg wieder übernehmen wolle. Wollte er, auch zwecks Familienzusammenführung. Denn Wohnraum war knapp nach dem Krieg. Allerdings war die Jugendherberge voll mit Mietern – „ein englischer Offizier hat dann alles in die Wege geleitet. Ein unheimlich netter Kerl.“

In völlig überfüllten Zügen ähnlich diesem hier reisten viele Deutsche nach dem Krieg durch das Land. Sei es, um nach Hause zu kommen oder um „hamstern“ zu gehen.
In völlig überfüllten Zügen ähnlich diesem hier reisten viele Deutsche nach dem Krieg durch das Land. Sei es, um nach Hause zu kommen oder um „hamstern“ zu gehen. © awkz

Mit dem Zug durchs Land

Für die Langenbergerin begann kurz darauf eine zweite abenteuerliche Reise, denn die Mutter und die Schwestern sollten auch nachgeholt werden. Heimlich versteckt auf einem Munitionszug ging es gen Süden, „in den Ortschaften mussten wir uns immer ducken, damit uns keiner sieht. War ja verboten.“ Doch sie wurde nicht entdeckt. Die Habseligkeiten der Mutter wurden per Güterzug aus dem Süddeutschen nach Düsseldorf gebracht, die kleine Familie reiste mit dem Personenzug. „Der war voll, aber weil wir vier Mädchen mit unserer Mutter reisten, durften wir ins Mutter-Kind-Abteil.“ Ein Soldat habe sich dazu gesellt. „Er sagte: ,Wenn jemand fragt, bin ich euer Vater.’ Der hat sich nett gekümmert. Das Abteil hatte keine Fenster, sondern Löcher in den Wänden. Die hat der mit seiner Jacke abgehängt, damit wir nicht frieren.“

Der Personenzug führ allerdings nach Kupferdreh. Von dort aus ging es per Straßenbahn nach Nierenhof, dann zu Fuß zum Sender hoch. Weil die Habseligkeiten noch nicht angekommen waren, „hatten wir nichts“, sagt die 88-Jährige, „aber die Familie von Bürgermeister Müser hat uns drei oder vier Tage lang aufgenommen.“ Bald schon nahm die Jugendherberge den Betrieb auf, zumindest der Bereich des Lebens habe sich dann normalisiert.

Schlimme Erfahrungen mit den „Einheimischen“

„Schlimm war etwas ganz anderes“, erinnert sich die Langenbergerin. „Wir hatten nichts, alles war kaputt, selbst die Puppenstube.“ Die anderen Kinder in Langenberg aber „hatten noch alles. Hier war ja nicht viel passiert im Krieg.“ Und das hatte Folgen: „Es glaubt doch kein Mensch, wie schlimm das ist. Wir waren nicht sehr hoch angesehen. Ich fühlte mich minderwertig. Immer mal hörten wir Sprüche wie ,Du bist ja keine Einheimische’.“ Doch mit der Zeit habe sich das gegeben. Und dann gab’s bald schon den ersten Job – und die Dame blieb in Langenberg. Bis heute.