Langenberg. . Jugendliche finden 1944 nach dem Absturz eines britischen Bombers einen Schwerverletzten. Der Flieger überlebt den Weg ins Krankenhaus nicht.

Ein kleiner Eintrag ins Gästebuch der Alten Kirche brachte die WAZ auf ein sehr bemerkenswertes Geschehen. Paul Knott und Cecilia Stevens hatten Langenberg besucht und im Gästebuch notiert: „In Erinnerung an vier Australier, die im Krieg hier ihr Leben lassen mussten.“

Absturz über dem Windrather Tal

2013 hatten die ehrenamtlichen Mitarbeiter des Amtes für Bodendenkmalpflege Dr. Helmut Grau, Marcel Lesaar, Jürgen Lohbeck und Sven Polkläser bei Recherchen nach Flugzeugabstürzen während des Krieges in Langenberg von Zeitzeugen das Gerücht gehört, in Windrath sei 1944 ein Flugzeug abgestürzt. Hans Kampmann, damals 13 Jahre, gab 2013 zu Protokoll: „Das Flugzeug ist in die Nähe des Schepershofes abgestürzt. Die Nachricht sprach sich wie ein Lauffeuer herum, und mit einigen Jungs bin ich dann zur Absturzstelle. Die Wehrmacht war schon da, und einige Soldaten waren schon dabei, Leichenteile aus den Bäumen zu bergen.“

Heimatforscher recherchieren

Neuen Schwung bekamen die Recherchen der Heimatforscher durch ein Schreiben Paul Knotts aus England an Bruder Othmar im Mariendom in Neviges. Er gab an, er sei mit dem Absturz einer Halifax III LV936 beschäftigt: „Dieses Flugzeug wurde in der Nähe von Neviges in der Nacht des 4. November 1944 abgeschossen. Alle sieben Besatzungsmitglieder landeten sicher, aber vier wurden in der Nacht getötet: Alan Duncan, William Nicholsen, Michael Wilson und David Underwood.“ Deutlich wird, dass sie vermuten, dass die vier in Windrath gelyncht worden sind. So fügt Knott hinzu: „Wir wollen keine Hexenjagd.“

Ein weiterer Augenzeuge, der damals 15-jährige Paul Kuhlendahl, erinnert sich: „Das Flugzeug kam aus dem Kurs und fing dann an, brennend in eine steile Abwärtsspirale zu gehen. Es ist dann in Windrath runtergekommen, am Haus Bucken.“ Sein Zeugnis belegt, dass einige der abgesprungenen Mannschaftsmitglieder bei der Landung starben.

Auf dem Weg ins Krankenhaus stirbt der Flieger

„Einer der Flieger hing an seinem Fallschirm in einem Baum. Ich glaube, er war tot. Ein weiterer Flieger lag verletzt am Boden. Wir gingen auf ihn zu und ich versuchte, ihn mit meinen paar Brocken Schulenglisch anzusprechen. Er antwortete aber nicht und sagte immer nur ‚Wasser, Wasser‘.“ Kuhlendahl und die Hinzugekommenen konnten kein Wasser beschaffen. Sie organisierten aber einen Leiterwagen, ließen ihn mit Stroh auspolstern und betteten der Mann darauf. Fünf Männer fuhren mit. Sie gehören teils der NSDAP-Gruppe Neviges und teils der Polizei Neviges an. Er sollte dann ins Krankenhaus nach Neviges gefahren werden. Als der Wagen dort ankommt, ist der schwer verletzte Soldat tot.

Täter ist identifiziert, wird aber nicht verhaftet

Über die Geschehnisse auf dem Wagen meldet die Polizeiinspektion Neviges am 26. 6. 1945: „Es besteht der dringende Verdacht, dass dieser Schwerverwundete von dem ehemaligen Parteigenossen und (Name geschwärzt) auf dem Wege zum Krankenhaus erschossen worden ist.“ Später meldet die Nevigeser Polizei der Militärregierung noch, dass der Verdächtige geflohen sei und sich in einem Kriegsgefangenenlager bei Wesel aufhalte. Die Flucht dauerte nicht lange. Am 6. Juli 1945 berichtete die Polizei bereits, der gesuchte Polizeimeister sei bereits aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt und wohne in Dönberg (Adresse geschwärzt).

Gottesdienst in der Windrather Kapelle

Dieser Lynchmord scheint vergessen. Der Mörder lebte unbehelligt weiter. Das Geschehen wurde vergessen. Die Engländer um Paul Knott hatten mit ihrer Meldung kein Interesse, das Geschehen von damals wieder auszugraben. Sie sind interessiert daran, zum Gedenken an die Verunglückten die Absturzstelle zu besuchen, Überreste der Maschine zu finden und Freundschaften mit ihren Helfern in Langenberg zu schließen.

Mehr noch: Zum 70. Jahrestag des Absturzes veranstaltete die neue deutsch-englische Freundesgruppe einen ökumenischen Gottesdienst in der Windrather Kapelle. Rund zwanzig Familienmitglieder der verunglückten Flieger kamen aus Australien, Kanada und England nach Langenberg und gedachten der toten Flieger, aber auch der vielen tausend deutschen Opfer des Bombenkrieges.

Die Geschichte der Bomber-Besatzung – Ohne Fallschirm aus dem Flieger geschleudert 

Bochum brennt. Der schlimmste Bombenangriff auf die Großstadt ist beendet. Mehr als 700 britische Bomber haben 10 000 Spreng- und 130 000 Brandbomben abgeworfen Die Flugzeuge drehen in tiefer Dunkelheit ab. Joseph Herman (21), Pilot im Cockpit der Halifax LV-936, nimmt Kurs Richtung Heimatflughafen Driffield. Neben Herman an Bord: Navigator William Nicholson (25), Funker Alec Duncan (32), Bombenschütze David Underwood (21), der mittlere Schütze David Vivash (20), Heckschütze Michael Wilson (20)und Bordingenieur Harry Knott (29). Nur drei der Männer werden diesen Flug überleben. Und zwei verdanken ihr Leben einem Zufall, der im ganzen Weltkrieg einzigartig war.

Sturz aus 5000 Metern Höhe

Etwa über Langenberg wird die Halifax von der Flak getroffen. Die Maschine steht in Flammen. „Fertig machen zum Ausstieg,“ befiehlt Herman. „Fallschirme anlegen.“ Er selbst missachtet seinen Befehl. Als weitere Flaktreffer einschlagen, gibt er den Befehl zum Ausstieg. Sechs Kameraden springen ab. Er selbst bleibt in der Kanzel, Als die rechte Tragfläche abbricht, will auch er aussteigen. Aber durch eine Explosion wird er aus der Kanzel geschleudert. In etwa 5000 Metern Höhe. In völliger Dunkelheit.

Ans Bein des Kameraden geklammert

Im freien Fall – ohne Fallschirm – rast er auf die Erde zu, hat schon mit dem Leben abgeschlossen. Plötzlich, vermutlich in 2000 Meter Höhe, berührt ihn ein Bein. Es gehört John Vivash, der gerade seinen Fallschirm geöffnet hat. Herman klammert sich an die Beine seines Schützen. Gemeinsam stürzen sie viel zu schnell in tiefer Nacht zur Erde, Durch Baumkronen nahe der Windrather Kapelle fallen sie verletzt ins unwegsame Windrather Tal, nicht weit vom Kotten Böken. Beide überleben und verstecken sich. Nach kurzer Flucht stellen sie sich und werden als Kriegsgefangene behandelt. Eine wundersame Geschichte, die im 2. Weltkrieg einzigartig ist.

Auch Paul Knott ist inzwischen leicht verletzt gelandet. Die anderen vier hatten weniger Glück. Drei sind beim Absprung gestorben. Einer liegt schwer verletzt am Boden. Er wird auf der Fahrt ins Krankenhaus gelyncht.