Sprockhövel. Ute H. stammt aus der DDR. Ihre Kindheit hat sie meist ohne die Eltern in Wochenkrippen verbracht. Heute ist sie schwer traumatisiert.

Mit nachdenklichem Blick betrachtet Ute H. eine alte Schwarz-weiß-Fotografie. Zu sehen ist sie selbst als Säugling - gerade ein Jahr alt. „Das ist aus der Wochenkrippe, im Hintergrund sieht man noch gut das zweite Bettchen“, erzählt die Frau, die ins neue Mehrgenerationenhaus in Sprockhövel einziehen wird. Als Einzelkind in der DDR groß geworden, wurde sie im Alter von sieben Wochen bis zweieinhalb Jahren in der Wochenkrippe betreut. Eine Erfahrung, die sie nachhaltig beeinflusst hat.Krippenzeit

Krippenzeit belastete ihr Leben

„Dass es wirklich Auswirkungen auf mich hatte, war mir lange nicht bewusst“, erzählt sie weiter. Die Trennung von ihrem Mann nach sehr vielen Jahren der Ehe sowie eine schwerwiegende Erkrankung brachten die Erkenntnis, dass ihr Wochenkrippen-Trauma tatsächlich eines war. „Ich selbst kann mich nicht mehr an die Zeit erinnern, aber mein Vater hat Tagebuch geführt, in dem viele Erinnerungen drinstecken“, erklärt Ute H. Kleine Details, die dennoch ihre Geschichte erzählen: Jeden Montagmorgen um sechs Uhr morgens brachte ihre Mutter sie in die Wochenkrippe. Hier blieb sie die ganze Woche – Tag und Nacht – bis zum Freitagnachmittag.

Vier Wochen ganz ohne die Eltern

Betreut wurde sie am Tage von Säuglingskrankenschwestern. In der Nacht waren es dann häufig Rentner oder einfach die Hausmeister, die sich alleine um etwa 50 Kinder kümmerten. „Und dann gab es auch eine Zeit, in der ich ganze vier Wochen dortblieb, weil mein Vater für seine Prüfungen lernen und meine Mutter Überstunden machen musste“, erzählt sie.

Krippen waren für Eltern gut, nicht für die Kinder

Wochenkrippen existierten vor allem in Ballungsgebieten und Industriestandorten der DDR und richtete sich an Eltern, die in Schichtarbeit oder im Studium beschäftigt waren. „Mein Vater studierte und meine Mutter war die Einzige, die Geld verdiente“, erklärt sie weiter. Die Großeltern waren noch berufstätig oder betreuten bereits die Cousine. Für die Mütter der sogenannten Wochenkinder war es gut, sie konnten gleichberechtigt arbeiten, aber die Auswirkungen auf die Kinder waren zum Teil verheerend.

Kind konnte die Trennung nicht verstehen

„Für mich sind meine Eltern praktisch jeden Montag gestorben, wie sollte ich die Trennung auch verstehen?“ Innere Unruhe, Depression, Burnout, Suchtverhalten – die Liste der nachgewiesenen Folgen ist lang. Aus diesem Grunde sucht Ute H. nach Gleichgesinnten zur Selbsthilfe: Um Erfahrungen auszutauschen, gemeinsame Wege zur Bewältigung zu finden. Die Selbsthilfegruppe ist aktuell in Gründung und hat bereits erste Mitglieder gefunden, die ähnliches erlebt haben. „Wenn es auch nur das Gefühl vermittelt, sich aufgehoben zu fühlen, verstanden zu werden oder anderen durch ein Gespräch damit zu helfen“, sagt sie.

Selbsthilfegruppe der Traumatisierten

Aktuell trifft sich die Selbsthilfegruppe an jedem letzten Donnerstag im Monat von 16 bis 18 Uhr unter Moderation von Michael Klüter in der Kontakt- und Informationsstelle für Selbsthilfe (kurz KISS), der Diakonie Mark-Ruhr. Anmeldungen und Rückfragen können gerne an ruhrgebiet@wochenkinder.de gerichtet werden.

Wochenkrippen als Teil der DDR-Betreuungskultur

Wochenkrippen waren seit 1951 Teil der Betreuungskultur in der DDR. Nach dem Ablauf des staatlich gewährten Mutterschutzes von damals sechs Wochen konnten die sogenannten Wochenkinder in einer Wochenkrippe oder einem Kinderwochenheim betreut werden. Diese gängige Betreuungsform gab es bis ins Jahr 1991. Und das, obwohl bereits seit den 1960ern Studienergebnisse existierten, die bewiesen, dass diese Art der Betreuung zu erheblichen Problemen bei den Kindern führte, vor allem im Bereich Gesundheit und Sprachentwicklung. Auch in anderen sozialistischen Ländern dieser Zeit sowie der Schweiz waren Wochenkrippe Teil der Betreuungskultur. Mehr Informationen unter: www.wochenkinder.de.