Oberhausen. . Das Publikum war mit Andriy Zholdaks Inszenierung von Franz Kafkas Erzählung „Die Verwandlung“ nicht einverstanden. Langeweile machte sich breit. Die Leistung des Ensembles war allerdings hervorragend, das Bühnenbild recht ansprechend.

Seit „Alle im Wunderland“ gab’s unter Peter Carps’ Intendanz keine Premiere im Großen Haus des Theaters, die das Publikum derartig negativ aufnahm wie Andriy Zholdaks Inszenierung von Kafkas berühmter Erzählung „Die Verwandlung“. Prädikat: nicht empfehlenswert.

Dass nach der Aufführung dennoch einige Zuschauer blieben und diskutierten, anstatt das Theater angewidert zu verlassen, ist lediglich der überzeugenden, teils sogar bewundernswerten Leistung des Ensembles zu verdanken.

Allen voran Michael Witte als Vater, beeindruckend auch Anna Polke als Mutter, Anja Schweitzer als Gregors Schwester, Henry Meier als Prokurist und im Duo mit Klaus Zwick außerdem als jüdischer Untermieter der Familie Samsa, zeigten als Horror-Kabinett enorme Ausdauer und extrem übertriebene Slapstick-Kunst. Sie lieferten, was Zholdak ihnen abverlangte, als glucksende, ächzende, tierische Laute ausstoßende Monster im multimedialen Szenario.

Nur Gregor Samsa (Moritz Peschke), der eines morgens als Untier erwacht, behält bis auf die Nase während der Spieldauer ein normales menschliches Aussehen – im seine Unschuld betonenden weißen Hemd, weißen Shorts und weißen Kniestrümpfen. Allerdings führt er einen schwarzen Gummikäfer am Stab, etwa wenn Herr Vater ihn, das die Familie zerstörende Monster, mit Äpfeln beschmeißt – wobei das Käfer-Utensil wenig abstoßend, eher lächerlich wirkt.

Abscheuliche Gebisse

Am Konferenztisch beginnt die Zholdaksche Version der Verwandlung mitten auf der durchaus beeindruckend zu Wohnräumen der Familie Samsa umgestalteten Bühne. Mikros, Kameras, Laptops, verschiedene Schmink-Utensilien, aber auch Getränke und Essen stehen bereit. Nacheinander nehmen die Akteure ihre Plätze ein. Sie beginnen sich zu verunstalten, während Gregor den Beginn der Geschichte ins Mikro zitiert, sieht der Zuschauer auf der Bühne und verschiedenen Leinwänden, wie die Darsteller sich genüsslich verhässlichen, sich abscheuliche Gebisse einsetzen, Nasen-Prothesen ankleben, Schmierbäuche umschnallen, fiese Brillengestelle aufsetzen, um in die Familie Samsa zu mutieren.

Im Verlauf des Geschehens werden immer mal wechselnde Personen das Text-Zitieren übernehmen. Sprechen werden sie eher seltener, Zholdak bevorzugt es, die Charaktere non verbal agieren oder nur die Textpassagen übernehmen zu lassen, die sie selbst betreffen. Es wird also zitiert und agiert.

Vier Aufführungen im November

Franz Kafka wird am 3. Juli 1883 Prag geboren. Er ist das erste Kind von Hermann Kafka (1852-1931) und seiner Frau Julie, geb. Löwy (1856-1934). Die jüdischen Eltern führen ein Geschäft mit Galanteriewaren und feiner Wäsche. In der Familie wird überwiegend deutsch gesprochen, mit Bediensteten aber auch tschechisch.

Im Oktober 1915 erscheint „Die Verwandlung“. Die Zholdak-Inszenierung ist noch am 5., 7., 16. und 17. November im Theater Oberhausen zu sehen.

Wie kommt es dann, dass sich alles so lange hinzieht und im Verlauf der Zeit so langweilig wird? Obwohl die Vorlage so kurz und präzise ist, kommt es, – trotz vom Regisseur gestraffter Text-Fassung – zu extremen Längen. Jede der ausgewählten Szenen wird entsetzlich ausgedehnt durch Schauspiel mit Stummfilmcharakter, sorgsam bedacht, Ekel zu erregen.

Zholdak scheut sich nicht, seine Monster-Studie mit Inzest und sexuellen Übergriffen des Vaters am Dienstmädchen zu bereichern, das am Ende sogar von Samsa ermordet wird. Besonders übel stößt auf, dass Zholdak es nicht dabei belässt, dass, als das Käfer-Monster Gregor endlich verhungert ist, darüber nachgedacht wird, dass Schwester Grete nun eigentlich im heiratsfähigen Alter ist. Er muss sie noch mit einem Nazi-Jüngling verkuppeln.

Und zu allem Überfluss lesen die Zuschauer auf einem Spruchband, dass Kafkas Schwestern im Konzentrationslager umkamen. Doch da „Die Verwandlung“ 1915 erschien, kann das unmöglich ein Motiv Kafkas für die Erzählung gewesen sein. Zholdak hat ein Spektakel erschaffen, in dem die Charaktere und ihr Wandel im Verlauf der Geschichte völlig untergehen, im mit Ausuferungen, die im Kafka-Text nicht vorkommen, gespicktem Aktionismus. Die von Kafka so psychologisch fein sezierte Verwandlung Gregors und seiner Familie bleibt dem Zuschauer leider verborgen.