Gelsenkirchen/Oberhausen/Gladbeck. Wem gehört das Trinkgeld, das Toilettenbesucher am Tisch der Aufsicht abgeben? Üblicherweise geht es nicht an die Arbeitskraft, sondern an den Unternehmer. Doch eine Mitarbeiterin aus dem Centro Oberhausen erstritt jetzt vor dem Arbeitsgericht zumindest einen kleinen Anteil.
Wie sie sich in diesem einen Moment gleichen in ihrer Haltung: Die kleine, rundliche Klofrau neben ihrem Anwalt und ihr gegenüber der kräftige Unternehmer mit dem Kurzhaarschnitt neben dem seinen: die Hand am Kinn, gespannte Nervosität. Man sollte nicht meinen, dass es hier nur um rund 1500 Euro geht – das Trinkgeld, das Simone Reißner vor den Toiletten des Centro in zwei Monaten erwirtschaftete. Und um eine ähnliche Summe für ihren Mann Walter Reißner.
Doch am Donnerstag vor dem Arbeitsgericht Gelsenkirchen werden ja auch große Fragen gewälzt: Dürfen Angestellte Trinkgelder behalten? Ja, was ist das überhaupt, ein Trinkgeld? Und wie kommen solche fragwürdigen Konstrukte zustande, wie die im Centro, wo die Firma Interclean aus Gladbeck die Reinigungskräfte zwar nach Tarif bezahlt, aber vor den Klos noch eine „Sitzerin“ postiert, deren vornehmliche Aufgabe es ist, sozialen Druck auszuüben, auf dass der Groschenteller sich füllen möge.
Interclean hat das im großen Stil aufgezogen
Helmuth Barkowski hat diese „Arbeitsteilung“ wohl nicht erfunden, aber der Gewerkschaft IG Bau ist auch keine andere Firma bekannt, die ein ähnliches Geschäftsmodell in diesem Maßstab aufgezogen hätte. Rund 30.000 Euro betrugen die Trinkgelder im Centro im Mai und Juni letzten Jahres, erwirtschaftet von rund einem Dutzend Mitarbeitern.
„An einem Weihnachtswochenende können es aber bis zu 8000 Euro sein“, gab Reißner zu Protokoll. Die „Sitzerinnen bekommen 5,20 Euro von Interclean. 8,87 Euro rechnet die Firma mit dem Centro ab. 9,31 Euro beträgt der Tariflohn bei Reinigungskräften. Das „Sitzen“ ist in dieser Form ein neuer Beruf und tariflich nicht organisiert.
Im Prinzip hat schon die vorhergehende Instanz entschieden, dass Barkowski mit seiner Interclean im Unrecht ist; dass es sich tatsächlich um Trinkgeld handelt, was definitionsgemäß für den Empfänger bestimmt ist.
Das hält Barkowskis Anwalt Martin Löbbecke nicht davon ab, noch einmal darauf herumzureiten, dass es ein „freiwilliges Nutzungsentgelt“ sei. In der Lesart des Unternehmens ist der Sitzer angestellt, um auf dieses Geld aufzupassen und es von Zeit zu Zeit in den Tresor zu bringen.
Auf Schildern steht, wie es läuft. Aber wer liest die?
Tatsächlich hat das Unternehmen mittlerweile Schilder anbringen lassen, dass die Nutzung frei sei. Richterin Jessica Bollig sieht es jedoch so, „dass die Kunden das Geld ganz klar den sitzenden Mitarbeitern zukommen lassen wollen, die sie in ihren weißen Kitteln für eine Reinigungskraft halten. Man kann nicht davon ausgehen, dass sie die Schilder erkennen und die Verknüpfung herstellen ... .“ Das Wort „sittenwidrig“ fällt. Simone Reißner schmunzelt.
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Eigentlich sollte Barkowski seine Kalkulation offenlegen. Doch Richterin Bollig zerfleddert die Aufstellungen. Wenig passt zueinander, auch wenn wir erfahren, dass das Centro maximal 102.000 Euro pro Jahr zahlen muss.
Angeblich würde Interclean ohne die „Einnahmen“ aus Trinkgeldern Miese gemacht. „Sie bevorzugen also das Centro zu Lasten ihrer Mitarbeiter“, schließt Richterin Bollig. Warum das Trinkgeld im Vertrag mit dem Centro keine Rolle spiele? Dass Interclean das Geld einbehalte, „steht nicht da, ist aber vereinbart und wurde von Anfang an so gehandhabt“, sagt Verteidiger Löbbecke. „Das ergibt sich schon aus der Deckelung.“ Das Centro antwortete gestern nicht auf eine Bitte um Stellungnahme.
Interclean kann so weitermachen
Am Ende einigt man sich ohne Urteil. Auf 1000 Euro für Simone Reißner und 1500 für ihren Mann, zwei Drittel des Streitwertes. So darf sich auch Barkowski als Gewinner fühlen, wenn er es auch nicht zeigt. Sein System muss er nicht ändern. Nur das Risiko ist gestiegen, dass erneut eine Klofrau klagen könnte.
Aber das würde wieder einen langen Prozess bedeuten ... Und nur als Indiz: Mit dem alten Betriebsrat trifft sich Barkowski ebenfalls vor Gericht, der neue soll bald geführt werden von seinem Bruder.
Was sie mit dem Geld macht, wird Reißner gefragt. „Ein paar Tage Urlaub. Eine neue Spülmaschine bräuchte ich auch, aber wie weit kommt man mit 1000 Euro?“ Dann ziehen die Kameras ab, und kurz nur zittert Simone Reißner, die Luft entweicht, ihr Kopf geht in den Nacken. „Mein Gott“, entfährt es ihr.