Die Gefahr, süchtig nach Arzneien zu werden, steigt im Alter dramatisch an. Viele Senioren sind sich ihrer Medikamentensucht allerdings nicht bewusst. Auch das Sturzrisiko bei Abhängigenist erhöht, weil das Medikament Schwindel und Gangunsicherheit bewirken kann. Oberhausener Chefarzt appelliert für verantwortungsvollen Umgang.
Die Gefahr, von Medikamenten abhängig zu werden, steigt im Alter dramatisch an – viele Senioren, auch in Oberhausen, sind sich ihrer Medikamentensucht allerdings nicht bewusst. Die Krankenkasse IKKclassic schlägt Alarm: 1,7 bis 2,8 Millionen der über 60-jährigen Frauen und Männer in Deutschland weisen laut der deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) einen problematischen Gebrauch psychoaktiver Medikamente oder von Schmerzmitteln auf oder sind gar medikamentenabhängig.
Dr. Theodor Nienhaus, Chefarzt der Geriatrie im St. Clemens-Hospital, kennt diese Problematik aus seiner täglichen Arbeit. „Wir bekommen in unserer Klinik immer wieder Patienten, die abhängig sind.“
Es beginnt mit Schlafstörungen
Der Weg in die Sucht beginne dabei häufig mit Schlafstörungen, die in den meisten Fällen mit Schlaf- oder Beruhigungsmitteln, sogenannten Benzodiazepinen, behandelt werden. Diese Medikamente haben allerdings ein besonders hohes Suchtpotenzial und führen bei langfristiger regelmäßiger Einnahme nachweislich zur Abhängigkeit – sowohl einer körperlichen als auch einer psychischen.
„Das ist gerade die Gefahr. Die Patienten, die wir mit einer solchen Abhängigkeit aufnehmen, können nicht ohne größere Probleme einfach von diesen Medikamenten entwöhnt werden“, so Nienhaus. Aus körperlicher Sicht wäre das Absetzen der Benzodiazepine nicht verkraftbar – das oftmals hohe Alter der Betroffenen ist der springende Punkt.
Weitere Nebenwirkungen
Ein Entspannungs- und Beruhigungsmittel
Benzodiazepine sind eine Gruppe von Arzneimittelwirkstoffen, die als Entspannungs- und Beruhigungsmittel (Tranquilizer) oder als Schlafmittel (Hypnotika) verabreicht werden und zur Abhängigkeit führen können.
In Deutschland nehmen 10-17 Prozent der Bevölkerung im Verlauf eines Jahres irgendwann einmal ein Benzodiazepinpräparat ein, und 1-2 Prozent der Erwachsenen nehmen mindestens ein Jahr lang täglich ein solches Mittel. Weitere Informationen dazu gibt es auf der Internetseite der deutschen Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) unter: www.dhs.de/suchtstoffe-verhalten/medikamente/benzodiazepine.html
Neben dem hohen Suchtpotenzial, haben Benzodiazepine noch weitere Nebenwirkungen. So ist etwa das Sturzrisiko bei Abhängigen um 66 Prozent erhöht, weil das Medikament Schwindel und Gangunsicherheit bewirken kann, so die Krankenkasse IKKclassic. Allein in Altenpflegeheimen wird von Experten jedes Jahr von einer Million Stürzen ausgegangen, die häufig mit Oberschenkelhalsbrüchen enden, die nur sehr schwer heilen.
Die Pflegedienstleiterin im Altenzentrum St. Clemens, Martina Imort, weiß um die Gefahren der Benzodiazepine. „Darum sind in der Altenpflege inzwischen hohe Hürden für die Gabe dieser Präparate gesetzt worden.“ Ohne weiteres würden Altenpflegerinnen- und pfleger diese Medikamente nicht mehr verabreichen. „Und das ist aus meiner Sicht auch gut so.“ Doch verschreiben Haus- und Fachärzte weiterhin Benzodiazepine an ältere Menschen, die noch zu Hause leben. „Wahrscheinlich sollen so pflegende Angehörige etwas entlastet werden, die nicht dafür geschult sind, mit Schlafstörungen oder Angstzuständen richtig umzugehen“, so Imort.
Zu schnell und zu lange
Diesen Punkt sieht Chefarzt Nienhaus problematisch. „Für mein Dafürhalten, werden Benzodiazepine zu schnell und auch zu lange verabreicht. Es gibt Alternativen, mit weniger starken Nebenwirkungen, die auch nicht abhängig machen.“ Nienhaus appelliert an seine Berufskollegen, sorgsam mit diesem Medikament umzugehen.