Oberhausen. Vor dem Oberhausener Amtsgericht muss sich ein mit Methadon vollgepumpter Drogensüchtiger verantworten, weil er zwei Hosen aus einem Sonnenstudio stehlen wollte. Amtsrichter Peter Dück will dem fast 40-jährigen Mann helfen, doch der versteht trotz eines Anwalts nichts.

Richter Peter Dück betritt Saal 126 im Amtsgericht Oberhausen. Er begrüßt Staatsanwalt, Verteidiger und die Schöffen. Dann packt er den Hammer aus. Seinen Hammer. Er holt ihn aus seiner braunen Aktentasche. Robe an und die Rechtsprechung kann beginnen.

Angeklagt ist der knapp 40 Jahre alte Dietrich. Ihm wird vorgeworfen, am 2. Juli 2014 im Sonnenstudio „Sun Club“ an der Falkensteinstraße von einem Verkaufsständer zwei Hosen im Gesamtwert von 30 Euro unter sein Sweat-Shirt gesteckt zu haben, um damit zu verschwinden. Zu einer Mitarbeiterin soll er gesagt haben: „Mund zu – Messer in Tasche!“

Juristisch gilt das als räuberischer Diebstahl. Ein Zeuge eilte zur Hilfe und hielt ihn fest, bis die Polizei eintraf. Seitdem sitzt Dietrich in Untersuchungshaft.

Drohung geleugnet aber Tat gestanden

Der Oberhausener kommentierte die ihm vorgeworfene Tat so: „Ich habe einen kompletten Filmriss von dem Tag.“ Eine Aussage, die Richter Dück problematisch findet. Ja, es ist bekannt, dass Dietrich seit 2000 abhängig von Heroin ist und alle seine 20 Taten, die im Bundeszentralregister zu finden sind, unter Drogeneinfluss begangen hat. „Aber“, erklärt Dück, „wenn er während der Tat wirklich vollkommen neben sich stand, kann das Urteil nur die Einweisung in die Psychiatrie für mindestens ein Jahr sein. Und das wäre kein Zuckerschlecken.“ Für den Beschuldigten hieße dies: Äußerst schmerzhafter Zwangsentzug. „Bleibt er dabei, und ist es am Ende als glaubwürdig zu beurteilen, dann ist es für ihn die schlechtmöglichste Variante“, sagt Dück.

Stutzig macht ihn auch, dass die Geschichte vor einer Woche noch ganz anders klang: Bei einem Haftprüfungstermin in der vergangenen Woche habe Dietrich den Diebstahl gestanden, jedoch die Drohung geleugnet. Auch in der gestrigen Verhandlung sagte er, angesprochen auf das Messer: „So wie ich mich kenne, rede ich nicht über Sachen, die ich nicht habe.“

Tatsächlich wurde kein Messer bei ihm gefunden. Auch der Zeuge sagt: „Er wirkte nicht normal, als hätte er Alkohol oder anderes genommen, aber er war nicht aggressiv und hat mich nicht bedroht.“

Schenken Richter und Schöffen dieser Variante Glauben, würde sich der Tatbestand von räuberischem zu einfachem Diebstahl ändern. Für das Urteil könnte das bedeuten: Statt einer Haftstrafe von mindestens zwei Jahren würde nur noch ein Jahr drohen. In dem Fall gäbe es für das Gericht sogar die Möglichkeit, eine Drogen-Therapie anzuordnen, Dietrich würde dazu aus der Haft entlassen.

Voll mit Methadon

Doch alle Hinweise, die der Richter in diese Richtung streute, prallten an Dietrich ab. Lethargisch saß er neben seinem Anwalt, ließ sich auch von ihm nicht von der Filmriss-Variante abbringen. Der Hintergrund: Seit seiner Festnahme bekommt er Methadon, das die Entzugserscheinungen des Heroins hemmt. Der Ersatzstoff verhindert aber auch die stimulierende Wirkung von Glückshormonen. Methadon-Substituierte wirken daher oft lethargisch, alles scheint ihnen völlig egal. Wie bei Dietrich.

Sein Glück und die Chance zum Überdenken seiner Aussage könnte nun die Vertagung der Verhandlung sein. Denn um die Frage, Drohung oder nicht, klären zu können, muss die mutmaßlich bedrohte Mitarbeiterin des Sonnenstudios gehört werden – und die ist derzeit in der Türkei. Der Hammer muss warten.