Oberhausen. Tja, wie spielt die deutsche National-Elf am Sonntag wohl? Noch vor vier Jahren, bei der letzten Fußball-Weltmeisterschaft, hatte Oberhausen sein zuverlässiges Orakel Paul. Die Popularität des Weichtieres ebbte auch nach der WM 2010 nicht ab – zur Freude asiatischer Restaurant-Besitzer.
Am Sonntag wird die Stadt besonders sauber wirken: Denn ein Straßenfeger verwandelt selbst hektisch befahrene Strecken in ein Stillleben. Beim WM-Finale zwischen Deutschland und Argentinien leben Titelträume auf und befeuern die Fantasie von Rätsel-Freunden. Glaskugeln haben Hochkonjunktur: Wie geht es aus? Optimismus schön und gut, aber hatten wir diesen nicht schon vor vier Jahren in Südafrika?
Das WM-Halbfinale ist damals vorbei, Deutschland gegen Spanien ausgeschieden – nur ein Oberhausener ist noch immer dabei. Dass es so kommt, hat er vorhergesehen. So wie die vielen deutschen Siege. Selbst ein Ausrutscher, die 0:1-Niederlage gegen Serbien in der Vorrunde, ist für ihn kein Problem. Wer tief durchs Glas schaut, findet in diesen Tagen die Lösung aller Fußball-Fragen. Krake Paul tippt acht WM-Begegnungen und liegt immer richtig. Orakel, Okrakel.
Weltpresse im Krakenfieber
Pauls Heimat, das Sea-Life-Aquarium in der Neuen Mitte, muss fortan nicht nur die Meerestiere, sondern auch Schwärme von Kamerateams versorgen. Paul tippt beim Essen-fassen, öffnet mit seinen geschmeidigen Tentakeln eine Glas-Box mit aufgemalter Landesflagge und stibitzt sich die darin befindlichen Leckereien. Immer gefilmt, beobachtet und vermeldet von der Weltpresse, die spätestens ab dem Achtelfinale dem Krakenfieber erliegt. Aus Japan und Brasilien reisen Kamerateams an, was den PR-Köpfen des Aquariums die nicht schwer zu prognostizierende Aufmerksamkeit herbei spült. Oktopus, Okto-Fuchs!
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Plötzlich weiß die Welt vom berühmten Oberhausener jedes Weichtier-Detail. Dass er im zarten Alter von drei Monaten aus England in die Neue Mitte emigrierte und am liebsten Miesmuscheln nascht. Der Kraken-Wahnsinn nimmt seinen Lauf: Die chinesische Regisseurin Jiang Xiao schreibt die Könner-Krake in das Drehbuch einer Fußball-Komödie. Fans der Niederlande zeigen beim WM-Finale aufgebracht ein Plakat von Paul im Kochtopf in die TV-Kameras, weil dieser ja Spanien als Weltmeister ertippt hat. Laut der englischen Zeitung „The Telegraph“ soll selbst der damalige iranische Machthaber Mahmud Ahmadinedschad Krake Paul in einer Rede als „Symbol für die Dekadenz des Westens“ thematisiert haben. Tipp-Frisch, Tintenfisch.
Paul erhielt Kraken-Denkmal
Als die WM vorbei ist, ebbt Pauls Popularität nicht ab. Die Pressestelle der Stadt muss noch immer seltsame Fragen zum Seelenleben eines Meeresbewohners beantworten. Die Mannschaft von Weltmeister Spanien hält vor Hunderttausenden bei der Jubelfeier in Madrid ein T-Shirt mit der Knaller-Krake in die Luft und will Paul gar für eine Ablösesumme erwerben. Asiatische Zeitungen melden parallel von einem starken Anstieg der Tintenfisch-Gerichte in chinesischen Restaurants. Grund: Paul aus Ober-Oktopus-Hausen.
Doch das Weichtier verspeist im Oktober 2010 selbst seine letzte Miesmuschel. Paul erhält nach seinem Tod im Sea Life ein Kraken-Denkmal. Nachfolgende Elefanten, Schildkröten, Kühe und Meerschweinchen können an seine hellseherischen Erfolge nicht mehr anknüpfen. Auch das Sea Life scheitert mit Nachfolge-Kraken und einem tippenden Schwanzlurch. Paul kann keiner das Wasser reichen, die große Zeit der Tierorakel ist vorbei.
Oktopus-Artikel in der New York Times
Paul ist immer noch unvergessen: Vier Jahre nach der WM in Südafrika, jetzt in Brasilien, ist die Oberhausener Krake plötzlich wieder da. Der französische Nationalspieler Paul Pogba erhält bei seinem Verein Juventus Turin den Spitznamen „Krake Paul“, was dem Oberhausener Weichtier prompt einen Artikel in der New York Times einbringt.
Die Internet-Suchmaschine „Google“ widmet Paul eine Titelseite und zeigt ihn mit Heiligenschein über den Wolken schwebend beim Orakeln. Das Kraken-Comeback des Jahres!
Paul kann zwar das Finale am morgigen Sonntag nicht tippen. Deutschland gegen Argentinien, diese Paarung gab es jedoch bereits 2010 im WM-Viertelfinale. Paul entschied sich damals für die Löw-Elf – und diese siegte. Wiederholung ohne Wasser? Wer möchte einem legendären Langfinger schon widersprechen.