Oberhausen. Für die gesetzlichen Kassen werden die „individuellen Gesundheitsleistungen” zunehmend zum Ärgernis, denn die Patienten wollen Geld erstattet bekommen.
Dem Kürzel „IGeL” sind sicherlich die meisten Besucher einer Arztpraxis schon begegnet. Damit gemeint sind die „individuellen Gesundheitsleistungen”, die keine Kassenleistung darstellen und somit auch von Kassenpatienten privat bezahlt werden müssen. Die IGeL-Liste ist lang: Zu den Zusatzleistungen, die dem Patienten in der Sprechstunde durch Plakate, Info-Zettel auf dem Tresen, die Arzthelferin oder den Doktor offeriert werden, gehören zum Beispiel: das erweiterte Hautscreening mit mikroskopischer Zusatzuntersuchung, erweiterte Prostatauntersuchungen, Untersuchungen des Augenhintergrundes vor dem 55. Lebensjahr, ein frühes Mammographie-Screening bei der Frau.
"IGeL"-Leistungen sind ein Problem
Nun schlägt der Arbeitskreis Oberhausener Krankenkassen Alarm. Die „IGeL” sind ein „kolossales Problem”, findet dessen Sprecher Dietmar Zehentner, auch Bezirksgeschäftsführer der Barmer Oberhausen. „Täglich kommen Kunden und legen uns Rechnungen vor, um von der Kasse die Kosten für die Zusatzleistungen rückwirkend bezahlt zu bekommen”, sagt der 51-Jährige. „Der Arzt hat den Patienten gesagt: ,Fragen Sie ihre Kasse mal.'” Doch in der Regel bestehen bei IGeL keine Erstattungsansprüche, weil es sich um einen Privatvertrag zwischen Arzt und Patient handelt.
Der Sprecher des Arbeitskreises der Kassen wirft den Medizinern vor, mit den IGeL-Angeboten ihre Honorare aufbessern zu wollen. Schließlich könnten die Ärzte für diese Leistungen einen 1,8- bis 3,5-fach höheren Satz abrechnen als für Kassenleistungen. Danach kostet ein IGeL-Hautscreening 32 Euro, eine Augenhintergrunduntersuchung 37 Euro, eine Mammographie rund 70 Euro. „Der Arzt suggeriert dem Patienten: ,Das würde ich machen lassen'”, so Zehentner. „Welcher Patient sagt dann schon ,Nein'. Das hat Methode angenommen.”
Krankenkassen übernehmen notwendige Vorsorgeuntersuchungen
Dabei sei das Vorsorgeangebot der gesetzlichen Krankenkassen ausreichend. „Die Kassen bezahlen das, was medizinisch notwendig und sinnvoll ist”, sagt Dietmar Zehentner. Und was dazu gehöre, das lege der gemeinsame Bundesausschuss fest, bestehend aus Vertretern von Krankenkassen, Ärzten und Patienten. Beispiel: Eine Mammographie bei einer Frau unter 50 Jahren durchzuführen, „ist mit Kanonen auf Spatzen schießen”, so Zehentner. Etwas anderes sei es, wenn die Frau familiär mit Krebs vorbelastet sei. „Und dann ist die Mammographie auch eine Kassenleistung.” Der Barmer-Mann rät den Versicherten generell: „Wenn Sie individuelle Gesundheitsleistungen angeboten bekommen, hinterfragen Sie beim Arzt ,Ist das medizinisch notwendig, das bei mir zu machen?' Wenn ja, kann der Arzt das Ganze über die Kasse abrechnen.” Oder: Vorher abklären, ob ein IGeL-Zuschuss von der Kasse möglich ist.
Den Vorwurf, an den IGeL-Angeboten wollten sich die Ärzte bereichern, weist Dr. Heinrich Vogelsang, Vorsitzender der Oberhausener Kreisstelle der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, zurück. „Das ist Quatsch.” Es handle sich um freiwillige Angebote, „wenn der Patient das annimmt: Bitteschön”, so der KV-Vorsitzende. Und auch die Erstattung durch die Kassen erfolge auf Kulanz-Basis. Allerdings: „Die Aufklärung in der Praxis ist nicht immer vernünftig”, gibt Vogelsang zu. Sein Rat: „Vom Arzt aufschreiben lassen, was gemacht werden soll und dann beim eigenen Hausarzt nachfragen, ob die Untersuchung sinnvoll ist.” Und auch dabei seien die Übergänge fließend. „Wenn jemand eine Warze auf der Nase hat und die verändert sich, dann ist die Entfernung eine Kassenleistung. Wenn sie aus Schönheitsgründen entfernt wird, ist das eine IGeL.” Letzteres sei für den Betroffenen aber auch enorm wichtig.
Kommentar
Welche Untersuchung oder Therapie notwendig ist – der Patient als Laie kann dies nicht entscheiden. Er will nur für sich das Optimum herausholen. Ob dies durch das Vorsorgeangebot der Kassen gewährleistet ist, sei dahingestellt. Nun sind da die IGeL-Angebote, die teilweise massiv beworben werden (so rät eine Marketing-Firma, wie Mediziner ihre IGeL-Umsätze mit Praxis-Fernsehen steigern können). Das alles trägt zur Verunsicherung der Patienten bei. Hier haben die Ärzte eine Verantwortung, sie müssen umfassend aufklären. Was in der Sprechstunde der selbstständigen Unternehmer oft zu kurz kommt. So bleibt beim Patienten ein fader Beigeschmack: Ist mein Arzt nun besonders geschäftstüchtig oder besonders fürsorglich?