Oberhausen. .
Nun ist er da, der erste Schultag. Heute wird mein Sohn, er ist sechs Jahre alt, zum ersten Mal den Tornister aufsetzen – nicht, dass er das nicht schon vorher zu Hause oft gemacht hätte, schließlich ist das Ding ja schon vor Monaten gekauft worden – also heute wird er offiziell zum ersten Mal als Schulkind losmarschieren.
Irgendwie kam das dann doch ganz plötzlich und gefühlt viel zu früh: Weniger für den Nachwuchs, denn der verkündete schon seit Monaten kategorisch „Mama, der Kindergarten ist langweilig, ich will da nicht mehr hin.“ Aber ich erinnere mich noch ganz genau an den Tag der Geburt und, meine Güte, das war doch erst gestern, als der Junge auf eine Unterarmlänge passte, die ersten Schritte im Flur auf mich zugestolpert ist oder den ersten herzzerreißenden Zweiwortsatz („Mama, Arm!“) sprach. Sie merken, Mütter, Väter, Eltern im Allgemeinen werden am ersten Schultag zwangsweise sentimental. Ich auch, bitte um Nachsicht.
Das Ereignis, das heute in Oberhausen zeitgleich 1681 I-Männchen mit ihren Eltern erleben, löst bei Erwachsenen übrigens reflexartig bestimmte Sätze aus. Mein Sohn wird heute mit Sicherheit noch fünfzigmal die von Opa, Oma, Tante, Onkel, Paten gestellte Frage „Und, freust du dich auf die Schule?“ beantworten müssen.
Den Klassiker schlechthin brachte vor ein paar Tagen Frau Nachbarin, die sich über den Gartenzaun lehnte und zum Sechsjährigen meinte: „Na, Lennart, am Donnerstag beginnt der Ernst des Lebens.“ Die Dimension dieser Bemerkung zum Glück nicht erfassend, hat der Kleine nur irritiert gelächelt und sich wahrscheinlich gefragt, wer zum Geier denn dieser „Ernst“ ist.
Schafft mein Kind das?
Überhaupt: Während die Kinder sich auf das Ereignis freuen, immer wieder stolz den Tornister, den Sportbeutel, den vielleicht schon angeschafften Schreibtisch begutachten und auf den Inhalt der Schultüte spekulieren, gucken die Großen beim Thema Schule häufig bedeutungsschwer bis sorgenvoll drein. Sie wissen: Heute beginnt ein langer Weg, der viele neue Erfahrungen, neues Wissen und Können bringt, ein Weg, der Erfolge verspricht, aber eben auch Niederlagen.
Die Fragen „Schafft mein Kind das? Wird es mit den Anforderungen zurecht kommen, wird es scheitern?“ ist auf den Stirnen der befreundeten Eltern abzulesen. Auf der eigenen wahrscheinlich auch.
Du wirst schon sehen
Der Gesichtsausdruck, den Freunde, Kollegen, die schon schulpflichtige Kinder haben, beim Thema Schule bekommen, trägt auch nicht gerade zur Gelassenheit bei.
Mit hochgezogener Augenbraue und wissendem Grinsen weisen sie auf bewegliche Ferientage, die berufstätigen Eltern das Leben schwer machen, und andere Katastrophen hin. Verbunden mit dem unheilschwangeren Satz „Du wirst schon sehen, Du wirst es erleben.“ Der erste Schultag ruft fürs eigene Kind auf den Plan: In der Schule werden Lebenswege, Karrieren angelegt, vorbereitet, festgelegt. Vieles im Schulsystem läuft nicht rund, ist verbesserungswürdig. Einerseits.
Andererseits gibt es heutzutage viele Möglichkeiten und Angebote, Schule nicht zum Schicksal werden zu lassen. Mein Sohn ahnt von diesen Gedanken Gott sei Dank nichts, soll er auch nicht. Die Erwachsenen, die Angst haben, dass ihr Liebling aus der Bullerbü-Welt vertrieben und vom System Schule verschluckt wird, sollten besser vermitteln: „Lernen macht Spaß!“
Jawohl. Und deshalb ist heute auch ein Festtag, dessen Programmpunkte klar festgelegt sind: 9 Uhr ökumenischer Gottesdienst, 10 Uhr Feierstunde in der Schule, 11 Uhr Gang in die Klasse, 12.30 Uhr Mittagessen mit den Eltern, Großeltern, dem Paten, 15 Uhr: der Rest der buckligen Verwandtschaft rückt zum Kaffeetrinken an.
Sagen Sie jetzt nicht: Früher wurde aber nicht so viel Gewese um den ersten Schultag gemacht. Stimmt. Ich bin in den Siebzigern eingeschult worden, von dem Ereignis gibt es ganze drei Fotos (Rotschopf im blauen Faltenrock) und meinem Vater wäre es im Leben nicht eingefallen, einen Tag deswegen von der Zeche fernzubleiben.
Das ist nun eben anders. Heute und künftig gilt: Ruhe bewahren. Das habe ich mir vorgenommen.