Oberhausen. .

Um Mitternacht gab’s Currywurst und Sekt. Standesgemäß für ein Kind des Reviers begann der 90. Geburtstag von Karl-Heinz Jüngst in der Nacht von Sonntag auf den heutigen Montag. Im Festzelt im Garten seines Hauses an der Gottliebstraße in Hamborn prosteten ihm die Gäste zu. Mit Verwandten, Freunden, Bekannten und Nachbarn hat der Jubilar in seinen Ehrentag hineingefeiert. Wem das in einem solch hohen Alter noch gelingt, darf sich über ein beachtliches Durchhaltevermögen freuen.

Junghelfer bei der Bahn

Als Karl-Heinz Jüngst am 16. Juli 1922 in Oberhausen das Licht der Welt erblickte, stand im Grunde bereits fest, dass er wie der Opa und der Vater einmal Eisenbahner werden würde, so wollte es die Familientradition und so geschah es auch. Als 14-Jähriger wurde er Junghelfer bei der Deutschen Reichsbahn. Bis dahin war sein Leben recht unbeschwert verlaufen. König Fußball prägt Jüngsts Kindheitserinnerungen. Dass ein Junge draußen kickte, war normal. Dass er aber einen echten Lederball besaß, verdankte er einer Tante und machte ihn zum König auf dem Platz an der Wunderstraße in Lirich. „Auch in den Pausen gingen wir rüber“, erinnert sich Jüngst, der die Emscherschule besuchte.

Krad rettet sein Leben

Schon als Kleinkind sah er Spiele im Niederrhein-Stadion. Dabei ging er einmal im Gedrängel verloren, heulte, wurde aus Mitleid auf die Tribüne gehoben und sah RWO gegen Schalke in privilegierter Position. Das war etwas so Besonderes, dass es in die Familienchronik einging, eine immer wieder gern erzählte und gern gehörte Anekdote, schmunzelt Jüngst.

Wie allen Männern seiner Generation raubte der Zweite Weltkrieg Karl-Heinz Jüngst die Jugend. Kurz war seine Lehrzeit, die damit begann, dass er Frachtbriefe sortieren musste. Die Wehrmacht rief. Jüngst wurde Panzerschütze. Glück, dem er wahrscheinlich verdankt, dass er den Krieg überlebte, war, dass er einen Krad-Führerschein machte und im Meldedienst eingesetzt wurde. „Alle, die den Lkw-Führerschein hatten, mussten nach Stalingrad.“

Heimreise im Güterzug

In Frankreich traf ihn ein Granatsplitter im linken Oberarm und er musste ins Lazarett. Die Verletzung verschaffte ihm kurz vor Kriegsende die Bescheinigung, die er brauchte, um die Heimreise ins Ruhrgebiet anzutreten – mit dem Güterzug von Regensburg nach Dortmund und dann weiter zurück nach Oberhausen, in die Heimat. Jüngst schwelgt nicht in Kriegserinnerungen. Nur, dass er kurz vor Kriegsende in Regensburg bei einer Schneiderfamilie untergekommen war, ist wichtig, denn dort hatte er Annemarie kennengelernt, „die ewige Konkurrenz unserer Mutter“, wie Jüngsts Tochter Gabriele Jüngst-Preinfalk scherzend sagt.

Hochzeit mit Margret

Doch in der Heimat wartete bereits Margret, die in Hamborn wohnte und Sprecherin auf dem Oberhausener Bahnhof war. Sofort als sie erfahren hatte, dass ein junger attraktiver Kollege zurückkomme, nahm sie sich vor, ihn zu ergattern, was ihr auch gelang. Nur einmal kam Annemarie zu Besuch, denn Margret stellte Karl-Heinz vor die Wahl: entweder sie oder ich. Das war’s. „Annemarie ging zurück nach Regensburg und du zu Arminia Lirich“, frotzelt Sohn Harald. „Ja, zusammen mit Kurt Steinbecker, der in der Gefangenschaft den englischen Stil gelernt hatte und halblinks spielte. Der war richtig gut. Wer nichts konnte, musste ins Tor.“ Sagt er und spielt damit bescheiden seine eigenen Leistungen herunter.

Nachdem Karl-Heinz Jüngst im November 1949 seine Margret geheiratet hatte, gab er die Torwartkarriere auf, spielte aber noch im Mandolinenverein Alstaden – „ein Onkel hat mich dazu gebracht“ – und arbeitete weiter bei der Bahn bis 1982.

Auch Karl-Heinz Jüngst nahm später seine Sprösslinge Harald und Gabriele mit zu Spielen von Rot-Weiß Oberhausen. „Die Mutter hatte ihre Ruhe, wenn die Kinder mit dem Vater auf’m Platz waren“, sagt Gabriele Jüngst-Preinfalk über diese Freizeitbeschäftigung.

Samstags Bundesliga-Spiele im Fernsehen zu verfolgen, ist für den 90-jährigen Karl-Heinz Jüngst immer noch ein Muss. „Dann hat er immer zwei bis fünf Mitgucker“, sagt seine Tochter. Obwohl Familie Jüngst auch immer politisch interessiert war und der Frühschoppen mit Werner Höfer zum Pflichtprogramm am Sonntagvormittag zählte, hat der Sportteil der Zeitung, die tägliche Lektüre des Jubilars, immer Vorrang. „Erst danach lese ich das Allgemeine.“

Gute Wohngemeinschaft

Doch kehren wir zurück zum 90. Geburtstag. Wie erreicht man ein so hohes Alter angenehm? Mit Teilhabe am Leben, mit einer Familie, die sich kümmert, mit guter Pflege und einer Wohngemeinschaft, zu der nicht nur die Tochter zählt, die nebenan wohnt, sondern auch noch viele andere Bewohner der Nachbarschaft an der Gottliebstraße in Duisburg-Hamborn.