Mülheim.
In Mülheim zogen jüngst zwei Stadtverordnete die Reißleine. Wie belastend ist das Ehrenamt Ratsmitgliedschaft heute, und wie könnte man die Rahmenbedingungen verbessern?
Die Kalkulation von Müllgebühren, tragfähige Konzepte für die künftige Schullandschaft, Beteiligungsgeschäfte des örtlichen Energieversorgers, um nur einige Beispiele für kommunalpolitische Themen der jüngeren Zeit zu nennen: Es sind bisweilen dicke Brocken, die das Laiengremium Stadtrat durchzukauen hat. Dass das nicht immer vergnügungssteuerpflichtig ist, dürfte klar sein. Dass die Arbeit aber bisweilen ernsthaft an die Nieren gehen kann, zeigt ein Blick nach Mülheim. In der Nachbarstadt zogen kurz nacheinander zwei Ratsmitglieder die Reißleine und legten ihr Mandat nieder – aus „gesundheitlichen Gründen“.
Wie belastend ist das Ehrenamt Ratsmitgliedschaft? Lässt es sich mit Beruf und Familie noch auf verträgliche Weise vereinbaren? Und wenn nicht, wie könnte man Abhilfe schaffen? Lauter Fragen, die auch Oberhausener Stadtverordnete beschäftigen dürften. Wobei – um das zu betonen – niemand laute Klagelieder anstimmt. Spaß an der Politik, so ist von den Fraktionsvorsitzenden unisono zu hören, sei weiterhin vorhanden.
„Zwei bis drei Stunden pro Tag“
„Den muss man haben, auch wenn man manchmal zweifelt“, sagt Wolfgang Große Brömer (SPD), „denn die Arbeit im Rat geht auf die Familienzeit und Kontakte mit Freunden. Da braucht es ein kompromissbereites Umfeld.“ Große Brömer schätzt, dass ein Ratsmandat – sofern man es ernst nimmt – einen Zeitaufwand von täglich zwei bis drei Stunden bedeutet. Denn es geht nicht nur um die Sitzungen des Rates – es geht um Vorbesprechungen, um Ausschüsse, um die Einarbeitung in Themen und nicht zuletzt um den Kontakt zu den Menschen im Wahlkreis.
„Für andere Hobbys und Aktivitäten bleibt keine Zeit“, sagt Daniel Schranz von der CDU. Das gilt für ihn und die anderen Fraktionschefs in besonderem Maße. Sie bekleiden denn auch oftmals berufliche Positionen, die ebenfalls im politischen Bereich angesiedelt sind und sich eher mit der Ratsarbeit vereinbaren lassen. Was das „normale“ Fraktionsmitglied mit abhängiger Beschäftigung etwa in der freien Wirtschaft angeht, so stellt Schranz fest, dass die Kooperationsbereitschaft der Arbeitgeber sinkt. War kommunalpolitisches Engagement von Mitarbeitern früher in vielen Firmen sogar gern gesehen, hieße es heute mit Blick auf Termine oft: „Dafür müssen Sie aber Urlaub nehmen.“
Dass die gesetzlich garantierte Freistellung streng genommen nur für Ratssitzungen gilt, hält auch der fraktionslose Dirk Paasch für dringend änderungsbedürftig. „Gespräche mit Bürgern und Initiativen müssen möglich sein. Im Moment ist man da abhängig vom guten Willen des Arbeitgebers.“ Ebenso wie Paasch glaubt auch Yusuf Karacelik von der Linken Liste, dass es für kleinere Fraktion en noch einmal besonders schwierig ist, den komplexen Inhalten der Ratsarbeit in allen Themenbereichen von Finanzen über Umwelt bis Sport gerecht zu werden.
„Politik ist grenzenlos, man kann sich damit gut von morgens bis abends beschäftigen. Aber die Gefahr besteht, davon aufgefressen zu werden“, sagt Volker Wilke, Fraktionssprecher der Grünen. „Man sollte sich nicht zu viel aufsatteln.“ Wilke persönlich hat „Tabutage“, an denen er möglichst ausschließlich für seine Kinder da sein will. „Man muss darauf achten, dass man Zeit zum Auftanken behält, sonst rächt sich das bitter“, sagt auch Hans-Otto Runkler von der FDP, der Ratsmitglieder durchweg für „Überzeugungstäter“ hält.
Ein Berufsparlament ist auch keine Lösung
Ein „Berufsparlament“ auch auf kommunaler Ebene findet denn auch bei keinem der Fraktionschefs großen Zuspruch. Lediglich im Hinblick auf größere Städte wie Köln oder München sei das bedenkenswert, findet Volker Wilke. Vor Ort könne ein Rat aus bezahlten Vertretern zu einem „abgehobenen Status“ der Politik führen, fürchtet Wolfgang Große Brömer, und auch Dirk Paasch meint, die „Entfremdung zwischen Gesellschaft und Politik“ würde auf diese Weise „noch größer“.
Auch mehr Personal für die Fraktionen sei kein Allheilmittel, sagt Hans-Otto Runkler. „Wir wollen keine Spiegelverwaltung.“ Statt dessen brauche es vor allem einen Wandel der gesellschaftlichen Wahrnehmung, findet Daniel Schranz. „Die Frage ist doch: Wie akzeptiert, wie anerkannt ist dieses Engagement?“