Oberhausen.
Vor 120 Jahren wurde in Oberhausen der Schnaps namens "Artilleriefeuer" erfunden - hochprozentig und mit dem Geschmack nach Sauerkirschen. In seiner Heimat fast unbekannt, wird er dagegen über die Landesgrenzen hinaus geschätzt.
Schnäpse gibt’s, um die ranken sich Legenden. Dass einer dieser sagenumwobenen Schnäpse seine Heimat in Oberhausen (genauer: in Lirich) hat, ist manchen Heutigen unbekannt. „Der Prophet“, ist Stefan Wollberg fatalistisch, „gilt im eigenen Lande halt nichts. Hier haben Wirtsleute offenbar ein Übermaß an Respekt.“
An Respekt vor der Legende, muss man allerdings hinzufügen. Der Legende nach nämlich ist in der einzigen Restauration, die den Namen „Artilleriefeuer“ trug, der Schnaps gleichen Namens allenfalls vier Mal an einen Gast ausgeschenkt worden. Danach habe er das Lokal (zwei Stufen abwärts) an der Friedrich-Karl-Straße verlassen und geraden Schrittes erneut einkehren müssen – dann gab’s den nächsten, aber der hätte dann wirklich gereicht.
Hochprozentiges auf Sauerkirschbasis
Fabel, sagt der Chronist, fabelhaft sagt der Connaisseur derartiger Getränke. Artilleriefeuer schmeckt nämlich einzigartig: Hinter Sauerkirsch-Süße entfaltet sich der fruchtige Strauß des hohen Sommers, bevor sich beinahe unmerklich, aber doch nicht wirklich zu überschmecken, Schärfe an die Geschmacksknospen schleicht und schlussendlich Oberhand gewinnt.
Das ist Sache der seit mehr als 120 Jahren geheimen Rezeptur einerseits, andererseits des 40-prozentigen Alkoholanteils. Für einen „Fruchtbitter“ ist das ungewöhnlich hoch, liegt klar über Alltagsschnäpsen und weist auf Klasse, denn: Je höher wir im „Brannt“ sind, desto reiner ist das Getränk. Bei solchen Abmessungen – und besonders den Distanzen zwischen Süß und Scharf – vertut sich natürlich mancher. Das mag die Geschichten erklären, die sich um den Schnaps mit dem martialischen Etikett winden.
E-Mail aus Kundus
„In Artillerie-Garnisonen“, weiß Kirsten Wollberg, „wird regelmäßig ‘Artilleriefeuer’ bestellt, für Kasinos und Kantinen. Das gehört einfach dazu.“ Passt eben. Dass kürzlich eine E-Mail aus dem afghanischen Kundus kam, will die junge Wollberg-Generation nicht so an die große Glocke gehängt wissen, aber es gehört so zum Geschäft wie auch die bisweilen eintreffenden Empörungen über das militaristisch anmutende Emblem des roten Gesöffs.
Dessen Geschichte eine etwas merkwürdige ist. Erfunden wurde das Getränk nämlich ausgerechnet bei den schon früher „Chemischen Fabriken“ Krebber in Lirich. „So ungewöhnlich ist das nicht“, meint Stefan Wollberg, „andere weltbekannte Marken sind ähnlichen Ursprungs.“ Vom Liricher Krebber aus gingen Lizenzen und Patente an die Oberhausener Firma Reer, von da an die Familie Wollberg.
Die destilliert nicht selbst, sondern bestellt – wie fast alle – Alkohol beim Bundesmonopol. Dann wird der „Grundstoff“ zugesetzt, abgefüllt, etikettiert. Artilleriefeuer ist nicht der einzige, aber bekannteste Schnaps von der Wehrstraße. Zahlen nennt man nicht: „Überleben zu können“, sagt Stefan Wollberg, „ist auch eine Frage innerer Bescheidenheit.“