Oberhausen. Ausstellung der Rekorde simuliert mit höchster Leinwand der Welt einen Tauchgang in 40 Meter Tiefe - und lässt Tiere der Tiefsee hören.
Die lebensgroßen Modelle von vier Narwalen schweben fast zum Greifen nahe über den Köpfen der staunenden Betrachter. Das anrührende Bild dieser „Einhörner“ des Polarmeers korrespondiert mit der Luftaufnahme von Paul Nicklen, die gleich eine ganze Narwal-Schule, auftauchend zwischen Eisschollen, ins Bild setzt. Eigentlich wären diese Fabelwesen mit ihren bis zu drei Meter langen, lanzenartig gedrechselten Eckzähnen für sich eine Sensation. Doch in der maritimen Pracht der Gasometer-Ausstellung „Planet Ozean“ dürfte mancher sogar achtlos unter diesen kleinen Walen „hinwegtauchen“.
Wie lässt sich eine Erfolgsaustellung wie „Das zerbrechliche Paradies“ toppen, dürfte sich die kleine Gasometer-Crew um Geschäftsführerin Jeanette Schmitz gefragt haben. Nun, indem man „die Welle macht“, sprich: indem man in die höchste Ausstellungshalle Europas die „höchste Leinwand der Welt“ hängt. Im Zusammenspiel mit einer über die Köpfe des Publikums gespannten semitransparenten Gaze von 20 mal 20 Metern entsteht so die freudig versprochene „immersive Inszenierung“ - als wäre der fröstelnde Bewunderer auf dem Stahlboden ein Taucher in 40 Meter Tiefe.
Um eine 40 Meter hohe Leinwand zu bespielen, die selbst einen Buckelwal - jene für ihre wuchtigen Sprünge an die Wasseroberfläche berühmten 30-Tonner - in Lebensgröße zeigt, kommt selbst hochklassige Naturfotografie an ihre Grenzen. Die Rekord-„Welle“ ist somit auch eine technische Pioniertat, ermöglicht von Ars Electronica Solutions in Linz: „Diese Fläche ist zu groß für Echt-Aufnahmen“, erklärt Michael Mondria, der Direktor des künstlerischen Digitallabors. „Wir haben alle Szenen auf der Welle per Hand animiert.“ Das staunenswerte Ergebnis im untermeerischen Schummerlicht konnten die Ars Electronica-Kreativen erst bei der Installation im Gasometer in Gänze begutachten.
Hochklassige Naturfotografie - wenn man so will, der Goldstandard der letzten Gasometer-Ausstellungen - prägt zuverlässig wieder die beiden ersten Ausstellungs-Ebenen. „Planet Ozean“ folgt dabei einer ähnlichen Dramaturgie wie „Das zerbrechliche Paradies“: Unten feiern Könner ihres Fachs die Schönheit des größten Lebensraumes auf dem blauen Planeten. Und Co-Kurator Nils Sparwasser betont: „Selbst der Boden des Mars ist besser kartiert als der Boden des Weltmeeres.“ In der Zwischenetage wiederum wird‘s ernst: Sie präsentiert in eindrücklichen Bildern und großer Datenfülle die Bedrohung der Klimamaschine Meer - „durch Überfischung, Verschmutzung, Vermüllung und unsere Gier nach Rohstoffen“, wie Jeanette Schmitz sagt.
Großteils unerforscht ist auch die Klangwelt unter der Meeresoberfläche. Wer dieses Defizit in einer viertelstündigen Sound-Expedition ausgleichen möchte, ist eingeladen in eine Art Jurte inmitten der Ausstellungstonne. Hierfür komponierte ein Meister seines Fachs: Der 71-jährige Brite Chris Watson, als junger Mann bei den New Wave-Pionieren von „Cabaret Voltaire“, gestaltet aus eigenen Aufnahmen inzwischen den Sound für bestechende Naturdokus. Der akustische Tauchgang führt vom nahen Rheindelta mit seinen Vogelschwärmen bis ins Grönlandmeer - und lässt natürlich auch die längst Hollywood-tauglichen Walgesänge hören.
Farbenprächtige Kelpwälder vor norwegischen Fischerbuden
Rund um diesen neuartigen Ausstellungs-Mittelpunkt kreiseln nicht mehr allein jene großformatigen Aufnahmen, die bezaubernd selbst farbenprächtige Kelpwälder direkt vor den rotgetünchten Fischerbuden der norwegischen Lofoten in Szene setzen. Denn neben den schwebenden Narwalen sorgte das (an der Küste derzeit geschlossene) Deutsche Meeresmuseum Stralsund für etliche Exponate in „3 D“. Burkard Baschek, Meeresbiologe und Direktor des Hauses in Vorpommern, zeigt sich geradezu beglückt über die neue, küstenferne „Außenstelle“ des Meeresmuseums.
Sei es das beängstigende, mit mehreren Zahnreihen bestückte „Revolvergebiss“ eines Hais oder das komplette Skelett eines Entenwals: Hier schwenkt der Blick stets weiter zu berückenden Fotografien vis à vis. So gelang dem tauchenden Meisterfotografen Rafael Caballero der Coup, vor den Malediven gleich fünf tänzelnde Walhaie auf eine Aufnahme zu bannen - beleuchtet von Scheinwerfern aus seinem Boot. Und die grauen Riesenkörper der Pottwale, die sich vor Sri Lanka dicht an dicht aneinander schmiegen, beanspruchen mit vollem Recht auch im Katalogbuch aus dem Klartext-Verlag eine Doppelseite.
Angesichts dieser Fülle von Sensationen ist es wohl verzeihlich, wenn viele über die eigens komponierte Musik für „Planet Ozean“, hinweghören, weil sie so tief versunken sind in die Betrachtung des großen Blau. Dabei hat Rupert Huber, der österreichische Dirigent (und übrigens auch einige Jahre Leiter des ChorWerksRuhr), sich im eisigen Winter „im Gasometer eingeschlossen“, wie Jeanette Schmitz sagt, um seine sacht schwelgerischen Klänge zu finden. Ihr Resümee: „Mehr Meer geht nicht im Gasometer!“
Informationen zum Besuch der Ausstellung
„Planet Ozean“ wird vom 15. März bis zum 30. Dezember 2024 im Gasometer Oberhausen zu sehen sein. Die Ausstellung öffnet dienstags bis sonntags jeweils von 10 bis 18 Uhr - an Feiertagen und in den NRW-Ferien auch montags.
Tickets gibt‘s über den neuen Online-Shop oder direkt vor Ort an der Tageskasse. Ein Erwachsenenticket kostet 14 Euro, ermäßigt 11 Euro. Familien (zwei Erwachsene und maximal fünf Kinder im Alter von sechs bis 17 Jahren) zahlen 33 Euro, kleinere Familien 28 Euro. Online informiert gasometer.de