Oberhausen/Duisburg/Dinslaken. Wenn Frauen alkoholabhängig sind, führen sie oft ein anstrengendes Doppelleben, um ihre Sucht zu verbergen. Doch es gibt Hilfe für Betroffene.

  • Alkoholerkrankungen bei Frauen gelten als nicht gesellschaftsfähig, anders als bei Männern
  • Besonders kräftezehrend: Frauen halten ihre Sucht meist geheim
  • Eine Anlaufstelle für Betroffene will der Verein „Frauen für ein suchtfreies Leben“ sein.

Frauen sind gut darin, ihre Sucht zu verstecken. Das müssen sie auch, sind sich Vera Kufferath und Viola Jungberg einig. „Wenn jemand von der Sucht erfährt, ist man gesellschaftlich unten durch“, sagt Vera Kufferath, Vorsitzende des Vereins „Frauen für ein suchtfreies Leben“. Beruflich könnten die Frauen dann kaum noch Fuß fassen. Die Alkoholerkrankung einer Frau sei im Gegensatz zu der vom Mann nicht gesellschaftsfähig. Männer, die trinken, seien lustig. Frauen würden abgestempelt.

In Deutschland geht der Alkoholkonsum seit Jahren leicht zurück, doch noch immer wird hier mehr getrunken als in vielen anderen Ländern. Zehntausende Menschen sterben jährlich „an einer ausschließlich auf Alkohol zurückzuführenden Todesursache“, informiert das Bundesgesundheitsministerium auf seiner Internetseite. Laut einer Erhebung aus dem Jahr 2021 konsumieren etwa 7,9 Millionen Deutsche zwischen 18 und 64 Jahren Alkohol in gesundheitlich riskanter Form. Bei etwa neun Millionen Menschen in Deutschland kann man von einem problematischen Alkoholkonsum sprechen. Männer sind laut Statistik häufiger betroffen als Frauen.

Alkoholsucht bei Frauen: Rechtfertigung für das Glas Wein am Abend

Wenn eine Frau suchtkrank ist, sieht man ihr das nicht unbedingt an. Denn sie funktioniert. „Die vernünftige Alkoholikerin hat ein Haus mit einem Garten, zwei Kinder und einen Mann mit gebügelten Hemden“, sagt Vera Kufferath. Oft seien diese Frauen sogar besonders fleißig. „Um eine Rechtfertigung zu haben, dass sie sich das Glas Wein abends verdient haben“, erklärt Viola Jungberg, ebenfalls vom Verein. Sie wissen genau, wo sie zuletzt eine Flasche Wein gekauft haben, und gehen in unterschiedliche Supermärkte. Häufig trinken sie alleine nach der Arbeit, sodass es – vermeintlich – niemand mitbekommt. „Das typische Doppelleben“, sagt die Duisburgerin (54).

Vera Kufferath (links) und Viola Jungberg wollen betroffenen Frauen in einer Selbsthilfegruppe zur Seite stehen. Foto: Fabian Strauch / FUNKE Foto Services
Vera Kufferath (links) und Viola Jungberg wollen betroffenen Frauen in einer Selbsthilfegruppe zur Seite stehen. Foto: Fabian Strauch / FUNKE Foto Services © FUNKE Foto Services | Fabian Strauch

Der Verein „Frauen für ein suchtfreies Leben“ ist für jene Frauen da, die glauben, es nicht mehr ohne den Alkohol zu schaffen. Aber auch für alle, die Sorge haben, in eine Sucht abzurutschen. Alkohol ist übrigens nicht das einzige Suchtmittel, über das die Frauen hier sprechen. Auch Menschen, die von anderen Drogen oder Medikamenten abhängig, spielsüchtig oder suchtgefährdet sind, finden Hilfe und Verständnis. „Es ist nicht vonnöten, eine Suchterkrankung zu haben, um bei uns mitzumachen“, erklärt Vera Kufferath. „Jede Frau, egal mit welchem Hintergrund, ist bei uns herzlich willkommen“, ergänzt Viola Jungberg.

Warum rutschen Frauen in die Alkoholsucht?

Der Verein und seine Angebote richten sich ausschließlich an Frauen. Diese seien in der Gesellschaft gleich mehrfach belastet, etwa durch Berufstätigkeit, Pflege von Angehörigen, Kindererziehung, Haushaltsführung. Das stelle ein Risiko dar, Stress und negative Gefühle mit Alkohol oder Tabletten betäuben zu wollen, erläutert Viola Jungberg. Oft sei es aber auch Einsamkeit, die Frauen dazu verleite, zu Suchtmitteln zu greifen, berichtet Vera Kufferath. Etwa wenn sie ihren Job verlieren, ihren Partner oder wenn die Kinder ausziehen.

Erst ist er ein Anker. Etwas, das wirklich hilft. Gleichzeitig beginnt die Scham, dass man es ohne diese Krücke nicht schafft.
Vera Kufferath - Vorsitzende des Vereins „Frauen für ein suchtfreies Leben“

Viele Suchtkranke haben Schwierigkeiten, ihre Gefühle zu regulieren, erklärt die Vereinsvorsitzende. „Wenn das Fass voll ist, ziehen – in Anführungszeichen – ,normale‘ Leute den Korken. Bei Suchtkranken läuft das Fass über.“ Dann gehe es darum, ein Gefühl der Kontrolle zu gewinnen. Mit einem Glas Wein, weil man es sich nach dem anstrengenden Tag verdient hat. Mit einem Joint gegen den Stress oder einem Spontankauf. Und diese Herausforderungen bleiben, auch bei jahrelanger Abstinenz.

Alkoholsucht bei Frauen: Scham spielt eine große Rolle

Ob jemand abhängig ist, lässt sich also nicht an der Menge des Alkohols bemessen. „Es spielt überhaupt keine Rolle, ob es eine Flasche Wodka oder ein halbes Glas Bier ist“, erklärt Vera Kufferath. Entscheidend sei, ob man das Suchtmittel bewusst einsetze, es missbrauche. Betroffene hätten zum Beispiel das Gefühl, nicht auf den Alkohol verzichten zu können. „Erst ist er ein Anker. Etwas, das wirklich hilft. Gleichzeitig beginnt die Scham, dass man es ohne diese Krücke nicht schafft.“

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In den Selbsthilfegruppen des Vereins treffen Frauen auf Frauen, die einander verstehen, ermutigen und sich Hoffnung geben. Viele haben Angst, dass sie ohne ihr Suchtmittel „nichts mehr sind“, sagt Vera Kufferath. Denn die Sucht nimmt viel Platz ein im Alltag – zeitlich, aber auch im Kopf. Wer dem Alkohol abschwört, steht daher erstmal vor einer großen Leere. Die Frauen im Verein füllen sie mit alten Fähigkeiten und neuen Träumen, sagt die Dinslakenerin (62). Und mit der Zeit erkennen sie, dass sie doch jemand sind – auch ohne Alkohol.

Der Verein „Frauen für ein suchtfreies Leben“

Die Selbsthilfegruppen des Vereins „Frauen für ein suchtfreies Leben“ werden von ausgebildeten Gruppenleiterinnen und Suchtkrankenhelferinnen geleitet. Die Gruppentreffen in der Übersicht:

Oberhausen: Gesprächskreis im Haus der Caritas an der Mülheimer Straße 202, Gruppentreffen an jedem zweiten und vierten Mittwoch im Monat, 19 bis 21 Uhr
Duisburg: AWO Bauspielplatz, Alexstraße 8, Hobbythek an jedem dritten Dienstag im Monat, 18 bis 21 Uhr. Gesprächskreis an jedem ersten Dienstag im Monat, 19 bis 21 Uhr
Dinslaken: Edith-Stein-Haus, Duisburger Straße 98, Gesprächskreis an jedem zweiten und vierten Mittwoch im Monat, 19 bis 21 Uhr. Djemben-Relax an jedem zweiten Dienstag, 19 bis 21 Uhr. Sonntagstreff an jedem dritten Sonntag im Monat, 11 bis 14 Uhr.

Die Mitglieder des Vereins haben außerdem die Möglichkeit, Seminare zur Persönlichkeitsbildung zu besuchen und gemeinsam kreativ zu sein. Erst kürzlich haben die Frauen zum Beispiel ein Kochbuch herausgegeben. Viele Angebote des Vereins sind kostenlos. Es gibt aber einen Vereinsbeitrag, der bei etwa 20 Euro im Jahr liegt.

Weitere Informationen gibt es hier: www.frauen-fuer-ein-suchtfreies-leben.de. Oder bei Vera Kufferath unter 02064 604329 oder per Mail an verakufferath@web.de.