Oberhausen. Anders als in vielen europäischen Staaten ist in Deutschland nur jeder fünfte Ukrainer berufstätig. Das soll sich ändern – auch in Oberhausen.

Über eine Million Ukrainer sind vor dem russischen Angriffskrieg nach Deutschland geflohen, über 4000 von ihnen nach Oberhausen – die meisten sind Frauen und Kinder. Doch von den arbeitsfähigen Flüchtlingen gehen nur 19 Prozent einer Beschäftigung nach, in Dänemark sind es 74 Prozent, in Polen und Tschechien 66 Prozent, in Holland oder England über 50 Prozent. Das ergab eine Analyse des Münsteraner Politikwissenschaftlers Dietrich Thränhardt für die Friedrich-Ebert-Stiftung. Seine Erklärung für das schlechte Ergebnis in Deutschland: Schleppende Anerkennungsverfahren für die Berufsqualifikation, zu komplizierte bürokratische Prozesse – und relativ hohe Bürgergeld-Zahlungen ohne zeitliche Begrenzung.

Das soll sich in diesem Jahr ändern: Die Bundesregierung hat mit Vertretern von Wirtschaftsverbänden den „Job-Turbo“ für Ukrainer gezündet – sie sollen nun bevorzugt in Arbeit gebracht werden, auch wenn sie noch kaum Deutschkenntnisse haben. Bisher hatte Deutschland vor allem darauf gesetzt, den Kriegsflüchtlingen erst einmal Integrationskurse und Deutschlehrgänge zu vermitteln, um diese dann in Jobs zu vermitteln.

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Die Oberhausener Chefs der Arbeitsbehörden Jobcenter und Arbeitsagentur unterstützen diesen Kurswechsel. „Deutschland hat sich sehr stark darauf konzentriert, den Ukrainerinnen und Ukrainern vornehmlich Schutz und Sicherheit zu bieten“, erläutert Arbeitsagentur-Geschäftsführer Jürgen Koch. Damals hätten viele noch geglaubt, dass der Krieg von Russland gegen die Ukraine nicht lange anhalte und die gebeutelten Familien in ihre Heimat zurückkehren könnten. Dies sei bedauerlicherweise nicht der Fall. Deshalb sei der anvisierte „Job-Turbo“ des Bundes mit schnellerer Anerkennung von Berufsabschlüssen und Vermittlung in Jobs dringend erforderlich.

Finden den Paradigmenwechsel der Bundesregierung, Ukrainer verstärkt in Arbeit zu bringen, richtig: Jürgen Koch, Chef der Oberhausener Arbeitsagentur, und Jobcenter-Chef Uwe Weinand (von links) beim Gespräch in der Redaktion.
Finden den Paradigmenwechsel der Bundesregierung, Ukrainer verstärkt in Arbeit zu bringen, richtig: Jürgen Koch, Chef der Oberhausener Arbeitsagentur, und Jobcenter-Chef Uwe Weinand (von links) beim Gespräch in der Redaktion. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Uwe Weinand, langjähriger Leiter des Oberhausener Jobcenters, betreut seit 1. Juli 2022 mit seinen Teams die ukrainischen Kriegsflüchtlinge. Im Unterschied zu anderen Asylbewerbern sind alle Ukrainer sehr schnell ins Bürgergeld-System des Jobcenters übernommen worden, eigentlich um diese beruflich und sprachorientiert gut zu betreuen. Über 2500 von ihnen erhalten Bürgergeld, knapp 1800 gelten als erwerbsfähig, sind aber ohne Arbeit. Vor allem wegen der Aufnahme der Ukrainer ins Arbeitslosensystem stiegen die Oberhausener Arbeitslosenzahlen bei Ausländern in den Jahren 2022 und 2023 stark an: von 4100 über 4400 (plus 7,1 Prozent) auf 4650 (plus 4,7 Prozent) im vergangenen Jahr. Insgesamt hat Oberhausen im Schnitt 11.600 Arbeitslose, davon haben 5700 länger als ein Jahr keine Arbeitsstelle mehr gehabt.

„Die Vermittlung in Jobs stand am Anfang nicht im Fokus“, räumt Weinand ein. „Die Ukrainer sollten erst einmal die deutsche Sprache lernen, hier integriert werden. Doch auch in der Praxis am Arbeitsplatz kann man gut und schnell Deutsch lernen.“ Allerdings gibt es hier etliche Hürden: Mütter benötigen für ihre Kinder einen verlässlichen Betreuungsplatz bis in den späten Nachmittag hinein, Deutschkurse sollten nicht nur wie bisher in den Vormittagsstunden angeboten werden und Arbeitgeber müssten flexibler und gelassener auf die Zeitmöglichkeiten von Müttern reagieren.

Arbeitsmarkt-Experten: In anderen EU-Staaten herrscht eine andere Mentalität

Doch warum konnten in anderen Staaten wie in den Niederlanden oder in Dänemark so viel mehr Ukrainer eine bezahlte Arbeit aufnehmen? Weinand erklärt sich das auch mit einer anderen Drucksituation für die Betroffenen. „Wer als Flüchtling in Holland aus einer Sammelunterkunft in eine Privatwohnung ziehen will, darf dies nur, wenn er nachweisen kann, dass er aus eigener Kraft Geld einnimmt. Da herrscht ein anderer Druck als hierzulande, sich mit eigener Arbeit seinen Lebensunterhalt zu verdienen.“

Jürgen Koch analysiert, dass in verschiedenen europäischen Staaten durchaus eine andere Philosophie vermittelt werde als in Deutschland. „Andere Länder signalisieren sehr schnell allen Bürgern, dass zunächst jeder Mensch selbst die größte Verantwortung trägt, in seinem Leben finanziell über die Runden zu kommen. Bei uns herrscht der Eindruck vor, dass der Staat eine große Mitverantwortung dafür trägt. So ist bei uns im Fall der Ukrainer zu viel Zeit vergangen.“

Dabei suchen auch in Oberhausen händeringend Unternehmen trotz des konjunkturellen Absturzes in Deutschland weiterhin Fachkräfte, aber auch Helferinnen und Helfer. Immer noch gibt es 1600 offene Stellen, die der Arbeitsagentur von den Betrieben offiziell gemeldet werden: Zwar werden in 80 Prozent der offenen Stellen Fachkräfte benötigt, aber gerade die ukrainischen Flüchtlinge haben in der Regel ein hohes Qualifikationsniveau – wenn ihre Fähigkeit anerkannt werden würde. In Oberhausen finden vor allem die Branchen Einzelhandel, Tiefbau, Metall und Gartenbau für ihren Bedarf viel zu wenig Arbeitskräfte.