Oberhausen. Die Arbeitslosenzahlen in Oberhausen steigen – und trotzdem finden Betriebe keine Beschäftigten, selbst für einfache Jobs. Warum?

Schon seit vielen Jahren klagen Privatunternehmen und staatliche Behörden darüber, dass sie erhebliche Probleme haben, genügend Fachkräfte zu finden. Doch seit dem Ende der Pandemie schwoll eine regelrechte Klagewelle an – in Branchen, die keine Raketenwissenschaftler suchen, sondern Menschen, die anpacken: Kofferträger, Sicherheitskontrolleure, Radler für Lieferdienste, Laster-Fahrer, Service-Kräfte für Restaurants und Kneipen, Helfer an Flughäfen, Pflegehelfer in Altenheimen, Gartenarbeiter, Verkäuferinnen und Verkäufer.

Im Grunde müsste angesichts der vielen „Suche zuverlässige Arbeitskraft“-Zettel an Läden und Gaststätten-Türen die Arbeitslosenzahl in Städten wie Oberhausen bei nahezu „Null“ liegen. Tatsächlich aber ist die Zahl an Menschen, die angeblich eifrig einen Job zum Überleben suchen, im Juni 2022 noch stark gestiegen – um über 1200 Bürger auf 11.700 (Arbeitslosenquote 10,7 Prozent). Die meisten von ihnen, nämlich 9500, erhalten Hartz IV und werden vom Jobcenter betreut. Die Mehrheit ist schon mindestens ein Jahr arbeitslos.

Warum arbeiten die Arbeitslosen nicht?

Was hindert also all diese vielen Oberhausenerinnen und Oberhausener, beherzt die nächste Arbeitsstelle anzutreten und für ihren Lebensunterhalt selbst zu sorgen?

Spricht man mit Kennern des örtlichen Arbeitsmarktes, spürt man schnell, dass das Thema erstens nicht so einfach zu behandeln ist wie viele Laien denken, aber zweitens auch, dass das Thema heikel ist – schließlich will niemand Menschen, die aus dem Arbeitsleben gefallen sind, pauschal be- und verurteilen. Das würde der Komplexität der Lebenswirklichkeit von arbeitslosen Menschen und suchenden Betrieben auch wirklich nicht gerecht.

Und trotzdem kann man folgendes nach den Recherche-Gesprächen und -dokumenten festhalten:

Erstens: Eine Arbeitslosenzahl von 0 kann es in der sozialen Marktwirtschaft niemals geben. Schulabgänger melden sich schon aus versicherungsrechtlichen Gründen arbeitslos, Lehrlinge wechseln, Arbeitnehmer werden entlassen oder kündigen, suchen sich schnell einen neuen Job (Such-Arbeitslosigkeit). Deshalb sprechen Volkswirte schon von Vollbeschäftigung, wenn die Arbeitslosenquote zwischen zwei und vier Prozent liegt. In Oberhausen entspräche das 4400 Menschen ohne derzeitigen Job.

Zweitens: Der Anstieg der Juni-Arbeitslosen erfolgte nach Angaben des Oberhausener Arbeitsagentur ausschließlich durch den neuen rechtlichen Status der Ukraine-Kriegsflüchtlinge, die seit 1. Juni vom Jobcenter betreut werden. Das betrifft etwa 1200 arbeitslos gemeldete Bürger.

Drittens: Oberhausen hat eine hohe Zahl von Arbeitslosen, die viele Jahre keine Berufstätigkeit mehr ausgeübt haben. Die Oberhausener Arbeitsmarktexperten haben 3000 Langzeitarbeitslose identifiziert, die nur äußerst schwer in einen Beruf zu vermitteln sind. Sie haben mehrfache Vermittlungshemmnisse: Sie sind mehrere Jahre ohne Job, sind krank oder behindert, sprechen kaum Deutsch, sind relativ alt oder von regelmäßiger Arbeit mit der notwendigen Verlässlichkeit und Pünktlichkeit entwöhnt.

Uwe Weinand, Geschäftsführer des Jobcenters Oberhausen.
Uwe Weinand, Geschäftsführer des Jobcenters Oberhausen. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Wenn Betriebe diese Langzeitarbeitslosen einstellen, erhalten sie sogar eine vollständige Lohnbezuschussung aus Steuergeldern und regelmäßiges Coaching (Teilhabechancengesetz). Bis zu 600 geförderte Stellen wären in Oberhausen möglich, besetzt sind nur 320 – ein mühsames Geschäft für die Jobcenter-Mitarbeiter, die intensive Auswahlgespräche zuvor führen.

Jobcenter-Chef: Nicht alle Arbeitslosen jubeln über Jobs

„Es ist nicht so, dass alle Arbeitslosen in Oberhausen darüber jubeln. Es ist recht aufwendig, die Leute zu überzeugen, dass das für sie eine tolle Perspektive ist“, erkannte Jobcenter-Chef Uwe Weinand bereits 2019. „Vielen fehlt das Selbstbewusstsein. Sie trauen sich bestimmte Arbeiten nicht mehr zu, haben Ängste vor Chefs oder wissen nicht mehr, wie man neben einem Beruf seinen Alltag organisiert. Dafür hatten sie ja bisher den ganzen Tag Zeit.“

So mancher Arbeitslose kann oder will nicht

Unter den Arbeitsmarkt-Praktikern ist es kein Geheimnis, dass so manche Arbeitslosen viele Tätigkeiten nicht ausüben können – oder wollen. „Für einige ist es schon eine fast unstemmbare Herausforderung, pünktlich zu sein“, beobachtet einer. „Wir bieten Arbeitslosen alles Mögliche an, wir werben, informieren und versuchen zu schulen – aber mancher scheut einfach die Anstrengung.“ Das sogenannte Sanktionsmoratorium, also das Aussetzen von Strafen gegen wenig pflichtbewusste Arbeitslose, würde das Ganze nur noch negativ befeuern. Seit 1. Juli gilt – erreicht durch die Ampelkoalition im Bund – befristet bis Sommer nächsten Jahres: Wer sich weigert, eine zumutbare Arbeit aufzunehmen, dem wird der Regelsatz nicht mehr gekürzt. Und das gilt auch für denjenigen, der sinnvolle Qualifikationsschulungen verweigert.

Uwe Beier, Geschäftsführer des Oberhausener Weiterbildungsträgers ZAQ.
Uwe Beier, Geschäftsführer des Oberhausener Weiterbildungsträgers ZAQ. © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

Uwe Beier lenkt den Blick auf die Arbeitsbedingungen vieler Helfer-Tätigkeiten. Der Geschäftsführer des Weiterbildungsträgers ZAQ analysiert: „Durch das geringe Qualifikationsniveau vieler Langzeitarbeitsloser kommen oft nur Berufe im Niedriglohnsektor überhaupt in Frage – und da machen etliche eine Kosten-Nutzen-Analyse. Bei Singles geht das noch einigermaßen auf, bei Familien schon nicht mehr.“

Mit anderen Worten: Durch die Absicherung des menschenwürdigen Existenzminimums erhalten Hartz-IV-Familien so viel Geld vom Sozialstaat, dass sich die Aufnahme einer Niedriglohn-Arbeit auf den ersten Blick nicht auszahlt. „Diese Arbeitslosen bewerten die Lage aus einem kurzfristigen Blickwinkel und schauen nur, was ihnen jetzt nach 39 Stunden harter Arbeit bleibt – und das ist oft nicht viel mehr als das Geld vom Jobcenter. Sie bedenken dabei aber nicht, dass sie sich ihrer beruflichen Perspektive durch diese Arbeit berauben.“

Schwierige Arbeitsbedingungen: Schichtdienst, Nachtarbeit, körperlicher Einsatz

Nicht nur finanziell sind die Arbeitsbedingungen in diesen Job-Bereichen schwierig: Schichtdienst, Nachtarbeit, schwere körperliche Anstrengung, Stress und Zeitdruck – nach Angaben des Jobcenters Oberhausen sind deshalb Arbeitsplätze bei Lieferdiensten, an den Flughäfen und im Hotel- wie Gaststättengewerbe kaum zu besetzen. Lkw-Fahrer findet man ebenfalls nicht, weil, so die Behörde vorsichtig formulierend, „die oft langen Fahrzeiten und das damit bedingte Wegbleiben vom Wohnort nicht für jeden attraktiv“ seien. „Zudem erfordert dieser Bereich neben der gesundheitlichen Eignung auch ein hohes Maß an Verantwortungsbewusstsein, was den einen oder anderen abschreckt.“

Jürgen Koch, Vorsitzender der Geschäftsführung der Arbeitsagentur Oberhausen/Mülheim.
Jürgen Koch, Vorsitzender der Geschäftsführung der Arbeitsagentur Oberhausen/Mülheim. © FUNKE Foto Services | Martin Möller

Jürgen Koch, Chef der Oberhausener Arbeitsagentur, verweist auf die aktuell rekordverdächtig hohen Beschäftigungszahlen in der Stadt; der Arbeitsmarkt habe viele qualifizierte Menschen aufgesaugt. Und er zieht aus all den Faktoren der Arbeitswelt das Fazit: „Wir haben unter den Arbeitslosen nicht genügend Menschen mit den notwendigen Fähigkeiten, die zu den gegenwärtig verlangten Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt passen.“

Mehr Zwang für Arbeitslose?

Von der Idee, mehr Zwang auf Arbeitslose auszuüben, hält Jobcenter-Chef Uwe Weinand schon seit langem nichts. Dies sei praktisch nicht umsetzbar: „Eine Zwangsverpflichtung bringt ja nichts, das würde keinem Arbeitgeber helfen.“ Und so schlussfolgert Uwe Beier: „Wir brauchen einen dauerhaft finanzierten öffentlichen Arbeitsmarkt für die Menschen, die nicht mehr die Leistungen liefern werden, die Betriebe von Arbeitnehmern erwarten.“