Oberhausen/Duisburg. Nach einem blutigen Clan-Streit ist ein Mann querschnittsgelähmt. Der Schütze ist auf freiem Fuß. Zweieinhalb Jahre danach startet der Prozess.
„Schieß, schieß, schieß“, soll sein jüngerer Bruder gerufen haben – dann drückt ein damals 33-Jähriger ab. Der Park vor dem Zentrum Altenberg in Oberhausen ist im April 2021 Schauplatz eines blutig ausgetragenen Clan-Streits. Drei Projektile aus einer halbautomatischen Schusswaffe treffen zwei Kontrahenten des Schützen. Bei einem durchschlägt eine Kugel die linke Hand, eine andere bleibt im Beckenbereich stecken. Das andere Opfer trifft es schlimmer.
Die Kugel verletzt eine Lungenarterie, ein Lungenflügel kollabiert. Das Projektil bleibt im Bereich der Brustwirbel stecken. Das Leben des damals 18-Jährigen muss durch eine Notoperation gerettet werden. Der junge Mann ist seitdem wohl für den Rest seines Lebens ab dem achten Brustwirbel querschnittsgelähmt. Wenn die Tat ab dem 2. November vor der Fünften Großen Strafkammer des Landgerichts Duisburg verhandelt wird, dürfte ein Großteil der Erinnerungen der Beteiligten zweieinhalb Jahre später wohl schon verblasst sein.
20 Menschen beteiligten sich an der blutigen Auseinandersetzung
Dass es erst jetzt zum Prozess kommt, hat viele Gründe: Zum einen gestalteten sich die Ermittlungen wegen der Vielzahl der Verdächtigen, etwa 20 Menschen waren an der Auseinandersetzung zwischen Mitgliedern zweier rivalisierender Großfamilien beteiligt, schwierig. Außerdem, das hatte die Staatsanwaltschaft durchklingen lassen, waren die Beteiligten nicht gerade aktiv um Aufklärung bemüht. So ist auch der eigentliche Anlass des Streits bis heute nicht so ganz klar geworden. Vor allem aber hat es aus juristischen Gründen so lange gedauert: Im Gegensatz zu Haftsachen war keine besondere Eile geboten. Der Schütze und auch sein Bruder sind bis heute auf freiem Fuß.
Angeklagt hatte die Staatsanwaltschaft den vorbestraften Mann schon vor einem Jahr – zunächst noch vor dem Amtsgericht Oberhausen. Die Ermittler warfen ihm lediglich einem Verstoß gegen das Waffengesetz vor. Laut Staatsanwaltschaft sei nicht gänzlich auszuschließen gewesen, dass der Mann, der bei der Auseinandersetzung selbst durch ein Messer am Oberkörper verletzt worden war, in Notwehr gehandelt haben könnte. So hatte er es selbst auch gegenüber den Ermittlungsbehörden ausgesagt. Das Amtsgericht wiederum bat dann nach Eingang der Anklage das Landgericht als höhere Instanz um eine Prüfung des Falls und der Zuständigkeit. Die Fünfte Große Strafkammer übernahm und die bewertet den Fall möglicherweise anders. Im Eröffnungsbeschluss für den jetzt startenden Prozess ist notiert, dass nun doch auch eine Verurteilung wegen zweifachen versuchten Totschlags in Frage kommen könnte.
Zwei 29 und 36 Jahre alte Brüder sitzen auf der Anklagebank
Der Oberhausener soll die FÉG PA-63, eine Pistole aus ungarischer Produktion mit Kaliber 9 Millimeter, vor dem Anrücken der Polizei erst am Tatort versteckt und dann einen Tag später abgeholt und wieder an sich genommen haben. Bei einer Durchsuchung wurde die Waffe später von der Polizei gefunden. Die beiden Brüder, heute 29 und 36 Jahre alt, werden gemeinsam auf der Anklagebank sitzen. Bei dem jüngeren lautet der Vorwurf auf Anstiftung zum versuchten Totschlag. Inklusive des Auftakts sind für den Prozess acht Verhandlungstage angesetzt. Ein Urteil könnte kurz vor dem Jahreswechsel fallen.
Der querschnittsgelähmte Mann, heute 20 Jahre alt, Angehöriger einer bekannten Großfamilie, wird den Prozess als Nebenkläger verfolgen. Auch das ist nur durch die geänderten juristischen Rahmenbedingungen möglich. Am Amtsgericht wäre er außen vor geblieben. Für ihn hätte der Streit vor dem Zentrum Altenberg noch böser enden können als ohnehin schon – so steht es in der Anklageschrift. Die Kugel, die ihn getroffen habe, habe sein Herz um einen Millimeter verfehlt.