Oberhausen. Für Ausstellungs-Glanzlichter im Schloss Oberhausen sorgen auch die surrealistischen Meisterwerke von Edgar Ende und neun Marionetten-Szenarien.
Die ignoranten Versäumnisse haben andere begangen: ein „Literaturpapst“, der tönte, er werde „diese Kinderbücher“ niemals lesen. Oder eine Heimatgemeinde, die einem der größten Söhne Garmischs partout kein Museum einrichten will. Jedenfalls leistet die Ludwiggalerie nun mit ihrer großen Gesamtschau „Fantastische Reise mit Jim Knopf, Bastian und Momo“ eine postume Wiedergutmachung für Michael Ende, die alles aufbietet: 645 Einzelbilder in fast 200 Rahmen, dazu neun Marionetten-Szenarien aus Anton Bachleitners Düsseldorfer Marionetten-Theater.
Schon diese „Zugabe“ ist ein besonderer Coup der üppigen Ausstellung, schließlich hatte Bachleitner – hörbar kein Rheinländer, sondern aus dem Herrgottswinkel der Holzschnitzer, aus Bad Tölz – noch für zwei seiner aufwendigen Inszenierungen mit Michael Ende (1929 bis 1995) zusammengearbeitet. Ebenso großartig ist der zweite Coup, einen großen Saal des Schlosses mit Gemälden und Zeichnungen von Edgar Ende (1901 bis 1965) einzurichten – auch er ein Übergangener. So ist es fast unverzeihlich, dass Desmond Morris als Intimus der Szene in seinem furiosen Schmöker „Das Leben der Surrealisten“ ausgerechnet Edgar Ende übersehen hat.
Und für die Bewunderer von „Momo“ und der „Unendlichen Geschichte“ bergen die Bildwelten von Vater Ende einige Aha-Erlebnisse. „Wir sehen in diesem Raum, wo Michael Ende herkommt“, sagt gewohnt schwungvoll eine sichtlich erleichterte Christine Vogt. Für die Direktorin der Ludwiggalerie und ihr Team wurde dieses Ausstellungsprojekt zum Kraftakt, nachdem nacheinander zwei Kuratorinnen ausgefallen waren.
Ganz großes Kino: „Die unendliche Geschichte“ als Prachtband statt Film-Melodram
Ein so wuchtiges Gemälde wie „Der gefesselte Sturm“ aus Edgar Endes letztem Lebensjahr hätte man sich auch als Blickfang im Entree der Ausstellung vorstellen können. Doch dort knallt ein ganz anderes Farben-Kaleidoskop, das fast den keineswegs kleinen Raum zu sprengen scheint: Sebastian Meschenmoser hatte zum „40.“ der „Unendlichen Geschichte“ 2019 den Auftrag übernommen, eine Prachtausgabe zu illustrieren. Und der damals 39-Jährige lieferte ganz großes Kino. „Ein gigantisches Melodram“ – doch stopp: So hatte Michael Ende über die ungeliebte Hollywood-Verfilmung von Wolfgang Petersen gelästert.
Seiner Original-Illustratorin Roswitha Quadflieg aus Zürich war der Wahl-Römer Ende für die Ausstattung der ersten Auflagen noch ganz anders entgegen gekommen: Welcher Literat richtet schon seine 26 Kapitel-Anfänge danach aus, dass die begnadete Zeichnerin von A bis Z mit Initialen zaubern kann? Michael Ende tat’s.
Klassiker der Kinderbuch-Illustration: Michael Endes „Momo“-Titelbild
Er sei eben einer der wenigen Literaten, „die in Bildern denken“, so Christine Vogt. Der Surrealisten-Sohn hat selbst nur einen seiner Texte illustriert, nämlich die vor 50 Jahren erschienene „Momo“. Sein Titelbild mit den Uhr-Türmen aller Stile und Epochen darf als Klassiker der Kinderbuch-Illustration gelten. Allerdings laufen für „Momo“ auch die Profis zu malerischer Top-Form auf: Sei es Friedrich Hechelmanns schimmerndes Nachtstück mit bedrohlichen Scheinwerferlichtern. Sei es die teils finstere „Italianità“ von Simona Ceccarellis gerade erst vollendetem Bilderbuch.
Angefangen hatte Michael Endes Karriere (und die seiner Illustratoren) vor 63 Jahren mit F. J. Tripps so simplen wie wirkungsvollen Strichzeichnungen für „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“. Für dieses nicht zuletzt dank der „Augsburger Puppenkiste“ unsterbliche Frühwerk reservierte die Ludwiggalerie ihren größten Saal: darin als Blickfang die ganze Insel Lummerland, in der Ausstattungspracht des Düsseldorfer Marionetten-Theaters, das im Palais Wittgenstein an der Bilker Straße noch bis zum 14. Oktober „Momo“ spielt, um dann Endes weniger bekannte Fabel „Norbert Nackendick“ folgen zu lassen.
„Michael Ende schreibt für das Kind im Menschen“
„Michael Ende schreibt nicht für Kinder, er schreibt für das Kind im Menschen“, meinte Anton Bachleitner, den Blick auf seinen unter der Saaldecke schwebenden Fuchur gerichtet. Und sollte jemandem der plüschige Glücksdrache doch zu lieblich sein – im Schloss Oberhausen lauern natürlich auch die giftigen Gestalten aus „Der satanarchäolügenialkohöllische Wunschpunsch“. Oder man entdeckt mit Filemon Faltenreich oder Tranquilla Trampeltreu einige der noch nicht in multimillionenfachen Auflagen publizierten Figuren aus dem Ende’schen Universum.
Prachtkatalog und Künstlerführung
Obwohl die „Zeitdiebe“ ihr im Nacken saßen, gelang es Christine Vogt mit Linda Schmitz-Kleinreesink, zur großen Ausstellung auch einen 190 Seiten starken Prachtkatalog herauszugeben, erschienen im Kerber Verlag, erhältlich für 29,80 Euro.
Die Ausstellung „Fantastische Reise“ öffnet am Sonntag, 24. September, und bleibt bis zum 14. Januar 2024 im Großen Schloss der Ludwiggalerie zu sehen. Der Eintritt kostet 8 Euro, ermäßigt 4 Euro, für Familien 12 Euro, online informiert ludwiggalerie.de
Zum üppigen Begleitprogramm zählen neben Besuchen von Ende-Illustratoren und einer Künstlerführung des „Opa Hausen“-Erfinders Dirk Heimes auch ein üppiges Angebot der Museumspädagogik.