Oberhausen. Martina Woitun hat sich für den Fräulein-Kurvig-Kalender beworben – und wurde ausgewählt. Sie macht anderen Mut: „Jeder Mensch ist schön.“
Für den Fototermin hat sich Martina Woitun für ein strahlendes, grünes Kleid entschieden. „Ich trage gerne farbenfrohe Sachen. Die Regel, dass dicke Leute schwarz tragen sollen, ist mir egal.“ Die 38-jährige Intensivkrankenschwester hat sich erfolgreich für den „Fräulein-Kurvig-Kalender“ 2024 beworben. Mehr als 1400 Frauen (und Männer) wollten dabei sein – 23 wurden ausgewählt. „Ich lasse das einfach auf mich zukommen“, sagt die Oberhausenerin vor dem Shooting am 27. August in Köln.
Jahrzehnte war es üblich, perfekte Körper auf Werbeplakaten zu sehen. Doch die Schönheitsideale von einst bröckeln, selbst große Modeketten setzen mittlerweile auch auf „normale“ Frauen, mit denen sie ihre Produkte verkaufen wollen. Auf den Social-Media-Plattformen liegt der Begriff „Body Positivity“ im Trend. Er ist das Pendant zu „Bodyshaming“. Den Körper zu lieben, den man hat, statt sich seinetwegen zu schämen – diese Einstellung verfolgt auch der Kalender von Melanie Hauptmanns.
Kalender-Gründerin: Industrie redet Frauen ein, nicht genug zu sein
2021 veröffentlichte die Unternehmerin die erste Ausgabe. Mittlerweile gibt es Galas, Awards, einen Lauf, eine eigene Modelagentur, Shops. Hauptmanns folgen auf Instagram 31.000 Menschen, auf Facebook mehr als 10.000. Auch sie entspricht „natürlich nicht dem sogenannten Gardemaß von 90-60-90“, schreibt sie auf ihrer Homepage. „Eine ganze Industrie lebt davon, uns immer wieder einzureden, dass wir nicht gut genug sind. Wir sehen nicht gut genug aus, wir sind nicht gebildet genug . . . wir reichen einfach nicht aus! Dies ist absoluter Quatsch.“
Über die Social-Media-Plattformen ist auch Martina Woitun auf den Kalender aufmerksam geworden. „Warum nicht?“ habe sie sich irgendwann gedacht und sich beworben. Die Agentur sei „sehr seriös“, vor negativen Reaktionen hat sie keine Angst. „Ich mache die Dinge, für die ich einstehe. Ich bin mit mir im Reinen.“
Oberhausenerin ist an Lipödem erkrankt
Die 1,55 Meter große Oberhausenerin leidet unter dem Lipödem. Eine genetisch bedingte Erkrankung, bei der sich an den Armen und Beinen Fett ansammelt. In der Pubertät sei das Problem zum ersten Mal aufgetreten – eine Erkrankung wurde aber nicht festgestellt. „Es hat lange gedauert, bis das diagnostiziert wurde.“ Viele Ärzte wüssten gar nichts davon. Während der Pandemie unterzog sich Martina Woitun sechs Operationen. In einer Praxis in Köln wurde ihr Fett abgesaugt. Die 38-Jährige hat ein Lipödem im dritten Stadium. Der Eingriff wird von der Krankenkasse bezahlt.
Wer Martina Woitun trifft, wird angesteckt von ihrer positiven Ausstrahlung. Womöglich war das ein Grund, warum sich das Casting-Team für sie entschied. Nach der Einsendung ihrer Bewerbung musste sie sich einem Video-Gespräch stellen. Dass sie sich für eine Model-Arbeit bewirbt, ist das erste Mal. Ihre Freundinnen und ihre Familie stehen ganz hinter ihr. „Die Reaktionen sind eigentlich alle positiv.“
Oberhausenerin macht anderen Frauen Mut: „Jeder Mensch ist schön“
Martina Woitun kann sich aber auch gut an andere Zeiten erinnern. Als Schönheitsideale stur definiert waren und sich Frauen, die davon abweichen, schlecht fühlten. Verbittert ist sie deshalb nicht. „Ich bin froh, dass es jetzt anders ist. Jeder kann so sein, wie er ist.“ Die Gesellschaft habe sich weiterentwickelt. „Jeder Mensch ist einzigartig und schön.“
Gerade jüngere Mädchen möchte sie ermuntern, zu sich zu stehen. Sie sei froh, dass sie heute keine Schülerin mehr sei und sich mit Social Media auseinandersetzen müsse. „Die sollen einfach alles tragen, Hauptsache sie fühlen sich wohl und haben Spaß im Leben“, sagt die 38-Jährige. Das sei auch das Motto des Fräulein-Kurvig-Kalenders 2024: No Excuses. Keine Ausreden.