Gelsenkirchen. Mit 41 erfindet sich Gelsenkirchenerin Kristin Linkamp neu. Sie modelt für den „Fräulein Kurvig“-Kalender – und überzeugte die Jury als Putzfrau.

Als sie vor die „Fräulein Kurvig“-Jury in Düsseldorf trat, da verzichtete die Rotthauserin Kristin Linkamp auf große Reden über Körperakzeptanz oder ausschweifende Erzählungen aus ihrer Biografie. Sie versuchte es mit Comedy. Und mimte die kurzsichtige Putzfrau aus’m Pott, die ihre Brille verlegt hat und die Jury deswegen für die Praktikanten hält.

„Oh, wer seid ihr denn? Macht ihr hier ein Päusken? Aber dat ihr mir hier gleich verschwunden seid, hier ist gleich dat große ,Fräulein Kurvig’-Casting“, beherrscht sie ihren Text noch wie aus dem Effeff. „Ich kann euch sagen: Vor der Tür hab’ ich schon ein paar heiße Kurven gesehen. Unter anderem die Kristin, die will dat neue Ashley Graham von Gelsenkirchen werden.“

Gut, in die Fußstapfen von Graham, dem ersten Übergroßen-Model, das die Titelseite der legendären Bademoden-Ausgabe der US-amerikanischen Zeitschrift „Sports Illustrated“ schmückte, ist Kristin Linkamp (Konfektionsgröße 44) jetzt noch nicht getreten. Dafür konnte die Gelsenkirchenerin die Jury aber überzeugen, als eines von zwölf Models für den nächsten „Fräulein Kurvig“-Kalender posieren zu dürfen. Rund 1700 andere Bewerberinnen hatten sich das auch gewünscht.

Curvy Model aus Gelsenkirchen: „Wenn ich zu meinen Kurven stehe, dann auch richtig“

Große Erfahrungen als Model oder auf der Bühne – auf dem Laufsteg oder als Putzfrau-Kunstfigur – hat die Mutter einer dreijährigen Tochter überhaupt nicht. Sie ist einfach nur lebensfroh und extrovertiert. Und: Sie wollte mit 41 Jahren mal wieder etwas Neues ausprobieren. „Ich bin sehr neugierig und für jeden Spaß zu haben“, sagt sie. „Da dachte ich: Mit 41 ist ein guter Zeitpunkt, um als Model noch mal komplett durchzustarten.“ Aber ist das nicht doch irgendwie zu alt? „41 ist auch nur eine Zahl wie 90-60-90!“, begegnet die 1,73-Meter-Frau schlagfertig – und spielt auf die klassischen Modelmaße an.

Gelsenkirchener Plus-Size-Model Kristin Linkamp: „Wenn ich zu meinen Kurven stehe, dann auch richtig.“
Gelsenkirchener Plus-Size-Model Kristin Linkamp: „Wenn ich zu meinen Kurven stehe, dann auch richtig.“ © FUNKE Foto Services | Michael Korte

Der erste „Fräulein Kurvig“-Kalender für das Jahr 2021 erschien 2020 unter dem Thema „Lebe deine innere Heldin“. Darin warfen sich zwölf weibliche Nachwuchs-Models in Superheldinnen-Outfit und Posen bekannter Filmcharakter. Der nächste Kalender, an dem Kristin Linkamp jetzt mitwirken wird, soll „noch natürlicher“ wirken, wie ihr schon verraten wurde. Also vielleicht sogar im gottgegebenen Eva-Outfit? Haut zu zeigen, damit hat Linkamp jedenfalls kein Problem. „Als wir gefragt wurden, ob wir auch in Unterwäsche posieren würden, da habe ich Ja gesagt. Wenn ich zu meinen Kurven stehe, dann auch richtig.“

Gelsenkirchenerin steht für Body Positivity: „Es muss mehr Akzeptanz her“

Zu seinem Körper zu stehen, auch wenn man nicht mit klassischen Model-Maßen „gesegnet“ ist: Daraus hat sich besonders im Internet eine große Bewegung entwickelt. Unter dem Motto „Body Positivity“ werben (vor allem weibliche) Influencer und User auf der ganzen Welt dafür, den eigenen Körper zu lieben – ganz egal, wie er aussieht.

Kein 90-60-90, aber trotzdem voll zufrieden: Beim Casting in Düsseldorf hat das „Fräulein Kurvig“-Team bei Kristin Linkamp Maß genommen.
Kein 90-60-90, aber trotzdem voll zufrieden: Beim Casting in Düsseldorf hat das „Fräulein Kurvig“-Team bei Kristin Linkamp Maß genommen. © Fräulein Kurvig | Fräulein Kurvig

Auch Kristin Linkamp fügt ihren Fotos und Texten auf Instagram den Hashtag #BodyPositivity hinzu. Für sie ist es auch ein Gegenentwurf zum allgegenwärtigen Hass in den Kommentarspalten des Internets. „Hassnachrichten zu schreiben, wäre mir viel zu anstrengend. Da genieße ich lieber das Schöne im Leben“, sagt sie. „Body Positivity bedeutet für mich dagegen, dass jeder Mensch so sein soll, wie er möchte – ob groß, klein, dick oder dünn, bunt angezogen oder grau. Es muss mehr Akzeptanz her“, sagt die gebürtige Hernerin, die hauptberuflich in der Pflege für Menschen mit Behinderung arbeitet

Gelsenkirchener Plus-Size-Model wünscht sich mehr Feingefühl: „Manchmal werde ich gefragt, ob ich schwanger bin“

Dass man auf so etwas scheinbar Selbstverständliches immer wieder hinweisen muss, erlebt auch Linkamp regelmäßig am eigenen Leib: „Ich habe meine Kurven und ziehe das an, wonach mir gerade ist. Manchmal ist es eben so, dass man auch mal den Bauchansatz sieht. Da werde ich manchmal gefragt, ob ich gerade schwanger bin. Ich finde, sowas tut man einfach nicht. Da würde ich mehr Feingefühl wünschen.“

Doch Linkamp ist nicht auf dem Mund gefallen. „Ich bin ein Mensch, der auch kontert“, sagt sie. „Dann sage ich: Nein, ich bin nicht schwanger, ich bin einfach nur dick. Das reicht dann meistens schon, um den Leuten den Spiegel vorzuhalten.“ Ein nettes Lächeln tue sein Übriges.

Große Gala am 1. Oktober

Unter den mehr als 1700 „Fräulein Kurvig“-Bewerberinnen wurden 100 in ein Düsseldorfer Hotel zum Casting eingeladen. Dort suchte die gleichnamige Modelagentur dann nicht nur die Models für den Kalender, sondern vor allem auch die Kandidatinnen und Kandidaten für die Wahl zur „Fräulein Kurvig 2022“ sowie„Mister Big 2022“ und für die Tanzgruppe Big Twisters

Die Model-Agentur „Fräulein Kurvig“ lädt dann am 1. Oktober 2022 wieder zur Plus-Size-Fashion-Gala „Glam up yourself“ in Mönchengladbach (Tickets für 34,50 Euro). Dort wird dann auch die „Fräulein Kurvig“ des Jahres gewählt. Hier hatte Kristin Linkamp im Casting kein Glück, bei dem Catwalk auf der Gala darf sie nicht dabei sein.

2019 schaffte es mit Jennifer Niedrig eine andere Gelsenkirchenerin unter die 15 Finalistinnen, die sich auf der Gala dann zum zweiten Mal einer fünfköpfigen Jury präsentieren.

Wann Kristin Linkamp für den Kalender in die Kamera lächeln darf, weiß sie noch nicht. Aber bald soll sie den Anruf mit dem Termin bekommen. Dann wird man ihr auch den Monat mitteilen, für den sie modeln darf. „Der Dezember wäre nicht schlecht, weil ich ein Dezember-Kind bin“, sagt sie mit ihrem ansteckenden Lachen. Es wäre ein sehr sonniges Dezember-Motiv.