Oberhausen. Berlins „Tatort“-Star liest und singt mit Tochter Lulu Hacke und mit Claudia Michelsen als „3 Birds“ eine gewitzte ornithologische Ehrenrettung.
Meret Beckers singende Säge blieb bei dieser Tournee im Werkzeugkasten. Die „3 Birds“ hatten auch so ein malerisch-bizarres Sammelsurium auf der Bühne des Ebertbades verteilt: Vom weißen Oberhemd nebst Bettlaken an der Wäscheleine, dazu die strammen Waden einer Schaufensterpuppe und eine hohe Bodenvase, darin derart fluffiges Röhricht, das man sich unweigerlich fragte: Werden daraus Federboas geknüpft?
Schließlich nennen Meret Becker, ihre Tochter Lulu Hacke und Claudia Michelsen das gemeinsame Programm eine „Federlesung“. In der Tat: Es war ein Picken hier und ein Rupfen dort, um aus der Literaturgeschichte in Versen und kurzer Prosa Erheiterndes bis Ergreifendes über Nachtigall und Amsel, Eule und – ja, doch – Seepferdchen vorzutragen. „Det is Lulu und ick bin Meret“, berlinerte die im Vorjahr als Hauptstadt-Kommissarin aus dem „Tatort“ Verschiedene. Das Programm zu dritt (an dem sich zunächst auch ihre Mutter Monika Hansen beteiligen wollte) präsentierte sie als Ehrenrettung für die vermeintlichen „Reptilien mit Hühnerverstand“.
Natürlich mit Hintergedanken: Denn das programmatische „Birds“ meint ja auch „Mädchen, junge Frauen“. Da galt es, Schmähreden von „Spatzenhirnen“ und „pickenden Automaten“ mit Verve zu widerlegen. Anrührend erzählte Meret Becker von der Geistesgröße des Graupapageis Alex, der mit einem englischen Wortschatz von einigen hundert Vokabeln korrekt umzugehen wusste – und so mit nicht wenigen Briten gleichgezogen hat.
Der Todesmut einer zarten Nachtigall
Der Herzensgröße eines zarten Singvogels huldigte Claudia Michelsen mit Oscar Wildes „Die Nachtigall und die Rose“. Nebenan, im Theater Oberhausen, wurde aus diesem Märchen vor 60 Jahren übrigens ein Ballett. Die Nachtigall opfert ihr Herzblut für einen vor Liebeskummer kranken Studenten, damit aus einem Rosenbusch mitten im Winter wieder eine rote Rose erblühen kann. „Sie hat ihre Kunst“, meint der traurige Galan herablassend zum Lied der Todesmutigen, „aber hat sie auch Gefühl?“ Wildes prophetisches Kunstmärchen erzählt eben auch satirisch vom Opferwillen des Künstlers – und Claudia Michelsen brachte Pathos und schmerzvolle Ironie in gleichem Maße zur Geltung.
Lulu Hacke sang dazu von „The Briar and the Rose“ mit einer Stimme, so aufgeraut, fast wund, wie man sie sonst nur von so schrägen Vögeln wie Tom Waits erwarten würde. Aber auch dieser Sound passte trefflich zu der reichlich windschiefen Ornithologie, mit der die „3 Birds“ an ihrem Lesetisch aufwarteten: Bambuspresser, Dreifußpelikan und Beutelhuhn dürften sich in Grimms Tierleben kaum finden lassen. „Das ist ein wissenschaftlicher Text“, ermahnte Meret Becker glucksend ihr Publikum.
Für „Alice“ darf Meret Becker alles ausspielen
Ihre eigene Vortragskunst hob ab mit jener Szene aus Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“, als die Heldin dieses surrealen Trips gerade mal wieder ins Riesenhafte gewachsen war – und ihr eine empörte Taube ins Gesicht flatterte. Hier durfte Becker alles ausspielen: vom verstörten kleinen Mädchen bis zum Schlangenzischen.
Dabei steht ihr auch stimmliche Zurückhaltung, wie sie mit Joachim Ringelnatz rührendem „Seepferdchen“-Gedicht bewies. Wie nun ein Fischlein ins „Birds“-Programm gelangt ist? Egal, man vergnügte sich ja nicht im Proseminar für zoologische Taxonomie. Paul McCartneys „Blackbird“ ist ja auch kein Lied über eine Amsel, von Lulu Hacke übrigens sehr apart gesungen zur Begleitung einer mit meterlangem Lochstreifen gefütterten Spieldose. Im zweiten Teil des Abends gewann der Mut zur Albernheit, kam selbst ein köstlich-absurdes Bilderbuch-Alphabet zu schönster Geltung (dank des Bettlakens als Projektionsfläche).
Mascha Kalekos gar nicht so kühle „Neue Sachlichkeit“ würdigten die „3 Birds“ ebenso wie J. M. Barrie, dessen „Peter Pan“ schließlich Kinder das Fliegen lehrte. Und zur Zugabe sang und pfiff Meret Becker mit dem „Waldvögelein“ die balzende Liebeslyrik des Hochmittelalters. Die flirrenden Melodien aus Gärten und Gebüsch wird das derart beschwingte Ebertbad-Publikum in den nächsten Tagen wohl ganz anders hören.
A-cappella-Asse und zwölf Portionen „Pommes“
Musik zu gewitzten Texten bestimmt auch das Programm bis zur kurzen Sommerpause des Ebertbades: „Onair“, das Quartett a cappella, feiert am Donnerstag, 23. Juni, um 20 Uhr zehnjähriges Bestehen und verspricht „the very best“, nicht weniger. Karten gibt’s ab 31,70 Euro.
Im vollen Dutzend folgen schließlich vom 29. Juni bis 16. Juli, jeweils donnerstags bis sonntags, Aufführungen des goldgelb brutzelnden Dauerbrenners „Pommes“, inszeniert von Gerburg Jahnke. Karten gibt’s ab 25,10 Euro im Ebertbad, 0208 8106 570, online ebertbad.de