Oberhausen. Eine Antwort gibt bei den 69. Internationalen Kurzfilmtagen das Auftaktprogramm – mit charmanten Beispielen von Island bis Japan.

Zur Einstimmung in die 69. Internationalen Kurzfilmtage lässt sich schon Stunden vor der offiziellen Eröffnung ein Blick über den europäischen Gartenzaun genießen. Was zeigen denn andere große Festivals – die Schweden in Malmö und Uppsala, die Franzosen in Clermont-Ferrand und schließlich die „Berlinale Shorts“? Die vier prämierten Filme von 13 bis 30 Minuten wissen mit Dreiviertel-Mehrheit zu berühren, auch zu amüsieren.

Als allzu bemühte Etüde in flackernden Bildern und verzerrten Tonspuren lässt den Zuschauern der Auftakt mit „From beyond“ allerdings kalt – es sei denn, man wäre Hobby-Ufologe. Schaurig belichtete Bilder von ekligen Substanzen sowie unkenntliche „Zeugen“ suggerieren: die Aliens sind unter uns. Dürftiger Stoff aus Norwegen, selbst für sonst jeder Abstrusität zuneigende Verschwörungstheoretiker.

Riskante Kinderspiele am einsamen Baumhaus

Dagegen entfacht eine völlig unbewegliche Kamera an der isländischen Küste ganz anderen Charme: „Nest“ zeigt die sprichwörtliche Weite der rauen Natur im eher „engen“ 4:3-Format, in der Mitte geteilt von einem Mast. Auf diesem Stück Holz in der Ödnis wächst nach und nach ein Baumhaus, der Spielplatz zweier Jungs, die sich so beiläufig beharken, wie es wohl nur Geschwister können. Als der Ältere der beiden abstürzt, bleibt das Bild für einen Moment stehen. Doch auch er kehrt zurück ins „Nest“ von Regisseur Hlynur Palmason – einige Filmminuten später mit Gipsbein.

Einen zauberhaft unangestrengten Essay zum überangestrengten Thema der „kulturellen Aneignung“ schuf Sylvia Schedelbauer: „Oh, Butterfly“ zeigt in 20 Minuten Dutzende von Operndiven – von Leontyne Price aus Laurel, Mississippi, bis Anna Netrebko aus dem südrussischen Krasnodar: alle in der Rolle der betrogenen „Madama Butterfly“. Während des Abspanns, im Nachhall der schmerzvollen Arie, unterhalten sich zwei Japanerinnen über die Oper von Giacomo Puccini und seine Vorlage, die „Butterfly“-Erzählung des Amerikaners John Luther Long: Beide waren nie am „Originalschauplatz“ in Nagasaki gewesen.

Die letzten 24 Stunden vor der Hinrichtung

Authentisch wie ein Dokumentarfilm wirkt dagegen „Will my parents come to see me?“ von Mo Harawe: Aus der Perspektive einer älteren somalischen Polizistin folgt der 30-jährige Regisseur aus Mogadischu den letzten 24 Stunden eines zum Tode Verurteilten. Schmal, fast kindlich, wirkt dieser einsilbige junge Mann. Seine einzige Frage an den Justizbeamten: „Werden meine Eltern mich noch einmal sehen?“ Die Eltern kommen nicht in den kahlen Besuchsraum; die Polizistin verlässt mit aufgedrehtem Autoradio die Hinrichtungsstätte, bevor die Schüsse fallen.