Oberhausen. Seit einem Jahr lernen ukrainische Geflüchtete am Heinrich-Heine-Gymnasium. Was sie am meisten vermissen und was sie in Oberhausen überrascht.
Große Flüsse, leuchtende Metropolen, grüne Landschaften. Die Fotos zeigen die schönsten Seiten der Ukraine. „Das war mein Zuhause“, sagen die ukrainischen Jugendlichen nach jedem Foto. Ja, das war es. Denn der russische Angriffskrieg, der am 24. Februar 2022 begann, hat alles verändert. Das Video wird von einem Alarm und Dunkelheit unterteilt. Statt leuchtender Metropolen sieht man jetzt zerstörte Siedlungen. „Das ist mein Zuhause jetzt“, sagen die Jugendlichen in die Kamera.
Vor einem Jahr flüchteten die Schüler der Willkommensklasse am Oberhausener Heinrich-Heine-Gymnasium vor dem Krieg. Um ihre Gefühle zu beschreiben, aber auch um Danke zu sagen für die Aufnahme, produzierte die Klasse ein Zwei-minütiges-Video, das auf der Homepage der Schule abrufbar ist (www.hhb-ob.org).
Heinrich-Heine-Gymnasium: Jede Woche zwölf Stunden Deutschunterricht
Die Idee zu diesem Video hatte der 15-jährige Pavlo. „Die Klasse fand die Idee gleich gut“, berichtet die ukrainische Lehrerin Solomiya Bögemann. Die 29-Jährige unterricht die Jugendlichen täglich in Deutsch und kommt selbst in dem Video vor.
Der Krieg hat die Jugendlichen aus ihrer Heimat gerissen, ihnen aber nicht die Zukunft genommen. „Ich würde gerne hierbleiben und studieren“, sagt Daria, die aus Charkiw geflohen ist. „Ich sehe hier mehr Möglichkeiten für meine Zukunft.“ Anton hat sogar einen konkreten Traum: „Ich möchte ein Restaurant eröffnen mit ukrainischer Küche.“ Borschsch, Rote-Beete-Suppe, würde natürlich auf der Speisekarte stehen.
Zwölf Stunden in der Woche lernen die rund zwanzig Jugendlichen Deutsch, danach besuchen sie andere Kurse und AG’s in den Regelklassen. Jede weiterführende Oberhausener Schule hat mittlerweile eine solche Willkommensklasse. Die Partnerstadt von Saporishja hat mehr als 800 Kinder und Jugendliche aufgenommen.
Ukraine-Schülerin berichtet: „Die Angriffe werden mehr“
Die ukrainischen Schüler des Heinrich-Heine-Gymnasiums sagen, sie fühlen sich wohl in Oberhausen. Ihre Familien sind mittlerweile in eigene Wohnungen gezogen, wie die von Daria. Als die Bomben immer näher kamen, flüchtete die Familie zu einer Tante, die bereits nach Oberhausen gezogen war. Durch ihr Handy bleibt die 15-Jährige in Kontakt mit den Verwandten, die in Charkiw geblieben sind. „Zum Glück fällt der Strom jetzt weniger aus, aber die Angriffe werden mehr“, sagt sie. In Charkiw habe der Bürgermeister Blumen pflanzen lassen, um den Alltag lebendig zu halten, berichtet sie. „Die Menschen versuchen, sich an die neue Realität zu gewöhnen.“
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Die neue Realität der geflüchteten Jugendlichen ist in Oberhausen. Sie sind überrascht davon, wie freundlich gerade ältere Menschen auf sie zukommen. „Sie wollen uns helfen und sind sehr aufgeschlossen“, sagt Oleksandra. Ein älteres Paar, das bei ihnen im Haus wohne, bringe oft Tomaten aus dem Garten hoch.
Ein Schüler vermisst seinen Vater: „Habe ihn seit Kriegsausbruch nicht gesehen“
Die Hilfsbereitschaft macht es den Jugendlichen leichter, sich an ihre neue Realität zu gewöhnen. Doch die Erinnerungen an ihr Zuhause lasten schwer. „Ich würde gerne wieder zurück nach Charkiw. Das ist meine Heimat, dort bin ich in den Kindergarten und in die Schule gegangen“, sagt Diana. „Ich vermisse meine Katze und meine Freunde. Wir konnten uns nicht verabschieden.“ Anna aus der ersten Reihe sehnt sich danach, wieder professionell zu tanzen. „Mein Trainer war wie ein Vater für mich.“ In Oberhausen habe sie noch keinen passenden Verein gefunden.
In der hinteren Reihe sitzt Maksym. Sein Gesicht ist ernst. Er sagt: „Ich vermisse meinen Vater. Ich habe ihn seit dem Kriegsausbruch nicht mehr gesehen.“