Oberhausen. Werke von ukrainischen Künstlern, die seit Kriegsbeginn entstanden sind, sind in Oberhausen zu sehen. Kunst lässt Unvorstellbares erspüren.
Seit einem Jahr verteidigen Menschen in der Ukraine mit unvorstellbarem Mut ihre Freiheit. Sie wehren sich gegen den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf ihr Land. Sie kämpfen ums schiere Überleben, aber auch um ihre kulturelle Identität, die Russlands Machthaber Wladimir Putin ebenso zu okkupieren versucht wie das ukrainische Staatsgebiet. Doch auch die Künstlerinnen und Künstler leisten Widerstand. Und die Zeugnisse dieses Widerstands sind nun in Oberhausen zu sehen, die gleichnamige Ausstellung „Records of Resistance – Zeugnisse des Widerstands“ läuft in den Räumen des Unterhauses an der Friedrich-Karl-Straße.
Es war ungewöhnlich warm an diesem April-Tag in Kiew. Zukentiy Gorobyov machte sich mit dem Fahrrad auf den Weg in die Innenstadt. Er wollte einfach mal raus aus seiner Wohnung in einem Hochhaus mit 35 Etagen. Nur zehn Menschen lebten zu diesem Zeitpunkt noch in dem Haus am Rande der Millionen-Metropole, die anderen waren zu Beginn des Krieges geflohen. Als es dunkel wurde, die Ausgangssperre hatte der junge Mann völlig vergessen, sind sie ihm aufgefallen: Bedrohlich wirkende Panzersperren, Stacheldraht-Zäune in der Dämmerung. Der Kontrast lässt ihn bis heute nicht los: Die schrecklichen Eindrücke des Krieges auf der einen Seite. Und auf der anderen Seite: „Die Natur lebt weiter. Auch im Krieg wird es Frühling. Auch im Krieg sprießen im April die ersten Blumen“, sagt der Künstler, der persönlich nach Oberhausen gekommen ist. „Kiewer Frühling 2022“ heißt denn auch sein Werk: eine Serie von fünf Bildern, gemalt auf die Rückseiten des Verpackungsmaterials von Hilfslieferungen in seine Heimat.
Zu sehen sind sie im Unterhaus, dem kulturell belebten Ladenlokal des City-Hochhauses an der Friedrich-Karl-Straße 4. Das Oberhausener Künstlerkollektiv Kitev hat diese Räume umgewandelt, bietet hier Platz für Ausstellungen, Gesprächs-Cafés, Diskussionen und andere Veranstaltungen. Bis zum 3. März sind nun also Werke ukrainischer Künstlerinnen und Künstler zu sehen. Kitev arbeitet dazu mit den Machern des ukrainischen Kunstprojektes Biruchiy zusammen: Gennadiy Kozub hat dieses „Artist in Residence“-Programm bereits 2006 ins Leben gerufen. Ein bis zwei Mal im Jahr kamen seitdem Künstler aus aller Welt auf der Insel Biruchiy in der Region der Oberhausener Partnerstadt Saporishja für ein Symposium zusammen.
Das Biruchiy-Projekt umfasst rund 40 Künstler, in Oberhausen ist ein Ausschnitt ihrer Werke zu sehen. Sie alle befassen sich mit Aspekten des Krieges. Und sie alle gehen ans Herz. Ein kalter Schauer läuft dem Betrachter einer Fotocollage über den Rücken. Denn in knappen aber klaren Worten – auf Ukrainisch, übersetzt von einem Kitev-Künstler – steht Gennadiy Kozub vor der Arbeit und erzählt, dass die Ruine, die dort zu sehen ist, dieser betonstaubige Schutt, einst seine Wohnung war. Er lebte mit seiner Familie friedlich in der Stadt Irpin, als der Krieg ausbrach. Sie konnten fliehen, von einem Freund hat er dann erfahren, dass die Wohnung zerstört ist. Er zeigt auf etwas, das nur mit Mühe noch als Raum erkennbar ist, die hintere Wand ist weggebombt. „Das war das Kinderzimmer.“
Ähnliche Beklemmungen lösen auch die Bilder der Künstlerin Zhanna Kadyrova aus. Kadyrova ist eine der bekanntesten Künstlerinnen der Ukraine, die ihre Werke schon bei der Biennale in Venedig ausgestellt hat. Scheinbar naiv dargestellt sind auf den Bildern im Unterhaus Familien zu sehen, beim Sonntagsausflug etwa. Vater, Mutter und zwei Kinder sitzen in einem Boot auf einem See, die Kinder füttern Schwäne, am Ufer blühen Blumen, große Bäume spenden Schatten. Heile Welt. Doch ein Schriftzug stört die idyllische Szenerie. „Achtung, Luftalarm“ steht dort auf Ukrainisch geschrieben. So sei es derzeit zu Hause wirklich, erklärt Ausstellungs-Kuratorin Natalia Matsenko: „Man lebt sein Leben, plötzlich schrillen Sirenen, das Handy warnt. Luftalarm. Todesangst.“
Führungen auch für Schulklassen
Bis zum 3. März ist die Ausstellung „Records of Resistance“ im Unterhaus an der Friedrich-Karl-Straße 4 täglich von 10 bis 20 Uhr zu besichtigen, der Eintritt ist frei. Bislang sind auch zwei Führungen geplant: Am Samstag um 15 Uhr in ukrainischer Sprache und am Mittwoch um 15 Uhr auf Englisch. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Weitere Führungen, auch für Gruppen oder Schulklassen, sind möglich. Dazu benötigen die Macher aber eine Anmeldung per E-Mail an info@kitev.de.
Die Eröffnung findet am 24. Februar um 17 Uhr statt. Jeder ist herzlich willkommen.
Bilder, die sich längst ins Gedächtnis der Menschen in der Ukraine eingebrannt haben, sind die Bilder von Rauchsäulen. Minimalistisch-abstrakt künstlerisch dargestellt, und mit Worten Natalia Matsenkos mit Emotionen beladen: „Wenn wir Explosionen in der Ferne hören, schauen wir uns um, wo die nächste Rauchsäule zu sehen ist, wo Menschen gestorben sind, Familien auseinandergerissen wurden.“
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Die Ausstellung, die bereits in der ukrainischen Region Transkarpatien und in Warschau zu sehen war, wird in Oberhausen am ersten Jahrestag des russischen Angriffes auf die Ukraine eröffnet, am 24. Februar. „Das ist schmerzvoll, aber es ist uns eine Herzensangelegenheit, diese Werke zu zeigen“, sagt Matsenko. Künstler Yuri Yefanov ergänzt: „Sie verbrennen unsere Bücher. Sie zerstören unsere Kunst. Aber so lange wir weiter arbeiten, weiter Kunst produzieren, bleibt unsere Kultur erhalten.“ Da nütze es den Angreifern auch nicht, große Werbetafeln in den ukrainischen Städten mit Bildern russischer Künstler wie Alexander Pushkin oder Fjodor Dostojewski zu bekleistern.
Oberhausens Kulturdezernent Apostolos Tsalastras hat sich die Ausstellung im Unterhaus bereits vor der offiziellen Eröffnung angesehen. „Über die Kunst bekommen wir einen weiteren Zugang zu der im Moment so schlimmen Lage in der Ukraine“, sagt er. „Kunst macht die Geschehnisse dort für uns erfahrbar. Wir können erspüren, was dort passiert – und für uns eigentlich unvorstellbar ist.“ Sein Wunsch: Dass die künstlerische Zusammenarbeit zwischen Oberhausen und dem Projekt Biruchiy weitergeht. „Und wir eine gemeinsame Ausstellung im Frieden in Saporishja durchführen.“