Oberhausen. Das Traditionsfestival zeigt sich geradezu tagesaktuell mit Filmen aus der Ukraine und dem Iran sowie Arbeiten, die Künstliche Intelligenz nutzen.
Mit Beiträgen über den Krieg gegen die Ukraine und die Proteste der Iranerinnen zeigen sich die 69. Internationalen Kurzfilmtage vom 26. April bis 1. Mai geradezu tagesaktuell. Insgesamt 120 kurze Arbeiten sind nun für die fünf Wettbewerbe ausgewählt.
Neben den drängenden politischen Themen widmen sich die überwiegend jungen Filmschaffenden der Auseinandersetzung mit Trans-Identitäten, den Existenzkämpfen indigener Gemeinschaften oder dem Raubbau an der Natur. Dabei zeigen die formalen Ansätze, wie breitgefächert heute im Kurzfilm-Format gearbeitet wird: Sie reichen von der Nutzung künstlicher Intelligenz über traditionelle Dokumentationen oder Spielfilme bis zu Sound-Installationen und Performances.
Eindringliche Anklage gegen staatliche Gewalt im Iran
Sowohl im Internationalen als auch im Deutschen Wettbewerb beweisen herausragende Produktionen zu aktuellen politischen Konflikten, dass der Kurzfilm wie kein anderes Genre geeignet ist, Themen künstlerisch zuzuspitzen. Der ukrainische Regisseur Oleksiy Radynski kombiniert in seiner gespenstischen Dokumentation „Chornobyl 22“ Bilder russischer Militärkonvois mit Aufnahmen des verseuchten Sperrgebiets und lässt Einheimische darüber spekulieren, ob die ungebetenen „Gäste“ überhaupt wissen, dass sie eine Todeszone erobern.
Ana Bilankov nutzt einen historischen Exkurs, um in ihrer kroatischen Produktion „Chasing the Sun: El Shatt“ ein den meisten wohl unbekanntes Kapitel des Weltthemas Flucht und Vertreibung aufzugreifen. Sie porträtiert das Flüchtlingscamp „El Shatt“ auf der ägyptischen Halbinsel Sinai, das während des Zweiten Weltkriegs vor allem kroatischen Flüchtlingen eine Zuflucht bot. Im Deutschen Wettbewerb montiert Narges Kalhor in „Sensitive Content“ Aufnahmen der Proteste im Iran zu einer eindringlichen Anklage gegen die staatliche Gewalt des Mullah-Regimes.
Als Komödie hingegen inszenieren Zeynep Tuna und Nino Klingler ihre Kritik an türkischen Zensur-Praktiken in „Kanal 82 – Sunday Morning Programme“ und lassen im Kinderprogramm eines Lokalsenders merkwürdige Dinge geschehen. Auch Eva Egermann und Cordula Thym nehmen in der österreichischen Produktion „C-TV (Wenn ich Dir sage, ich habe Dich gern)“ in Gestalt einer satirischen Talkshow eine behindertenfeindliche Medienwelt aufs Korn.
Künstliche Intelligenz als Werkzeug
Künstliche Intelligenz ist nicht nur bei studentischen Seminararbeiten, sondern auch im Kurzfilm angekommen. So lässt die kasachische Künstlerin Almagul Menlibayeva in „AI Realism. Qantar 2022“ Aussagen von Menschen, die während der Proteste im Januar vorigen Jahres in Kasachstan verfolgt und misshandelt wurden, durch Künstliche Intelligenz bebildern. Arno Coenen und Rodger Werkhoven lassen in „Let’s be Friends“ synthetische Akteure über KI-Schauspielerei und die Ängste realer Schauspieler sprechen. Auch im Kinder- und Jugendfilm-Wettbewerb läuft mit der französischen Produktion „PLSTC“ von Laen Sanchez eine KI-gestaltete Science-Fiction, die ihr junges Publikum mit der Zerstörung der Weltmeere konfrontiert.
Grenzen zwischen Galerien und Kino verschwinden
Seit einigen Jahren schon wechseln etliche Medienkünstlerinnen und Künstler ganz selbstverständlich zwischen Museen, Galerien – und den wenigen verbleibenden Filmkunstkinos. So präsentiert der Internationale Wettbewerb mit der Französin Laure Prouvost und ihrer neuesten Arbeit „Every Sunday, Grand Ma“ die Turner-Preisträgerin des Jahres 2013. Der chinesische Künstler Sun Xu verarbeitet in „Shanghai in Spring“ seine Erfahrungen mit dem brachialen Lockdown in Chinas mit fast 25 Millionen Menschen bevölkerungsreichster Stadt.
Im Deutschen Wettbewerb laufen „Resolution“ vom Festival-Liebling Bjørn Melhus sowie Marianna Simnetts „The Severed Tail“, die Auskoppelung ihrer bei der Kunstbiennale in Venedig gezeigten Installation, ebenso wie die beiden Vorjahresgewinner des Deutschen Kurzfilmpreises, Gernot Wieland und Sophia Groening.
Festival vergibt Preise von über 43.000 Euro
Mit 53 Weltpremieren zeigen die 69. Internationalen Kurzfilmtage vom 26. April bis 1. Mai knapp die Hälfte der Wettbewerbs-Beiträge erstmals auf einem Filmfestival. Insgesamt vergibt das Festival Preise in Höhe von über 43.000 Euro.
Im Internationalen Wettbewerb, dem größten und ältesten der Kurzfilmtage, sind 48 Beiträge zu sehen, im Deutschen Wettbewerb 17 Filme. Für den NRW-Wettbewerb wurden acht Arbeiten ausgewählt, für den Kinder- und Jugendfilmwettbewerb 36. Für den 25. MuVi-Preis für das beste deutsche Musikvideo sind zwölf aktuelle Clips nominiert.
Die vielfache Preisverleihung erfolgt am Montag, 1. Mai, in der Lichtburg, Oberhausens innerstädtischem Filmpalast.