Oberhausen. Welche Rolle spielt die Kleidung einer Frau, die vergewaltigt wurde? „Keine!“, sagt Künstlerin Beatrix Wilmes mit einer aufwühlenden Schau.

„Was hatten Sie an?“ – ein Klassiker unter den Fragen, die Frauen gestellt wird, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind. „Eine Frage, die eindeutig „Victim Blaming“ betreibt, also das Opfer für die Tat verantwortlich macht“, sagt Journalistin Beatrix Wilmes. Die Kölnerin hat eine Ausstellung konzipiert, in der Original-Kleidungsstücke von Frauen gezeigt werden, die Erfahrungen mit übergriffigen Männern machen mussten. Auf Einladung der Gleichstellungsstelle und des Netzwerks Mädchenförderung Oberhausen kommt diese nun vom 1. bis zum 14. Februar ins Kulturzentrum Druckluft.

Isabelle Irschei geht offensiv mit dem um, was ihr angetan wurde. Sie weiß: Schuld hat niemals das Opfer. Ihre Geschichte ist Teil der Ausstellung „Was ich anhatte“.
Isabelle Irschei geht offensiv mit dem um, was ihr angetan wurde. Sie weiß: Schuld hat niemals das Opfer. Ihre Geschichte ist Teil der Ausstellung „Was ich anhatte“. © privat

Isabelle Irschei war 15 Jahre alt, als es passierte. Sie traf sich mit jemandem, der sich als 17-Jähriger ausgab, in Wahrheit aber schon 21 war. „Wir haben uns im Internet kennengelernt“, erzählt sie. Heute weiß sie: Es war Machtmissbrauch. Es waren Psycho-Spielchen. Es war Cyber-Grooming, die gezielte Manipulation Minderjähriger übers Internet. „Während der Monate, in denen wir zusammen waren, wurde ich mehrmals von Mädchen angeschrieben. Sie haben mich gewarnt, dass er älter ist und schon viele Beziehungen zu Jüngeren hatte.“ Doch sie wollte es nicht wahrhaben. „Ich war jung und hatte auch niemanden, der ein Auge darauf hat, was mit mir passiert.“

Übergriff als Jugendliche: „Ich bin erstarrt“

Eine ganz normale Jeans, schwarz-pinke Chucks, ein grau-schwarz-kariertes Sweatshirt – Irschei weiß noch genau, was sie trug, damals im Hochbett bei diesem Menschen, den sie im Rückblick nicht mehr „Freund“ nennen will. „Er hat mich psychisch manipuliert: Du liebst mich doch. Du willst mich doch nicht enttäuschen. Ich sagte: Ich bin noch nicht bereit dazu.“ Es war ihm egal. „Ich bin erstarrt, ich hatte Angst. Man schaltet dann innerlich ab.“

Erst viele Jahre später hat die 31-Jährige sich getraut, über das Geschehene zu sprechen. „Ich hatte immer Angst davor“, sagt sie. „Wenn man es ausspricht, dann wird es real.“ Doch als sie auf Instagram auf die Seite von „Me Too Germany“ stößt, traut sie sich, mit ihrer Geschichte an die Öffentlichkeit zu gehen. Im Internet stößt Isabelle Irschei auch auf den Aufruf von Beatrix Wilmes, die für ihre Wanderausstellung „Was ich anhatte“ mutige Frauen sucht. Keine Opfer, wie sie betont, sondern „starke Frauen, die sich mit der Tat auseinandergesetzt haben und ihren Weg gefunden haben“. Zwölf von ihnen hat sie bisher versammelt. Sie haben der Ausstellungsmacherin und ihrem Team jene Kleidungsstücke zur Verfügung gestellt, die sie während des Übergriffs getragen haben. Die jüngste war damals sechs Jahre alt, die älteste Teilnehmerin ist über 80. Wenn die Kleidung nicht mehr existierte, wurde sie originalgetreu in Secondhand-Läden nachgekauft.

Die Täter sind Freunde, Arbeitskollegen oder der eigene Großvater

Hosenanzug, Shirt, Blazer, Nachthemd – was den Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung auf Kleiderbügeln präsentiert wird, wirkt wie blanker Hohn für alle, die gerne den Frauen die Schuld geben wollen für das, was ihnen angetan wurde. Es sind Kleidungsstücke, die jede im Schrank hat. „Laut Statistik hat jede dritte Frau in Deutschland schon einmal Gewalt in ihrem Leben erlebt“, sagt Wilmes. „Das geschieht Frauen in jedem Alter und in jeder Situation. Nicht nur im Park, im Dunklen.“ Die Frauen in ihrer Ausstellung wurden von ihren Männern, von Freunden, Arbeitskollegen oder dem eigenen Großvater misshandelt. Die Geschichten sind erschreckend und es ist bewundernswert, mit welcher Klarheit die Protagonistinnen davon berichten, in Fernseh-Interviews und in von ihnen selbst verfassten Berichten.

Erstmals tourte die Wanderausstellung „Was ich an hatte“ zu Beginn der Corona-Pandemie, damals in Schaufenstern.
Erstmals tourte die Wanderausstellung „Was ich an hatte“ zu Beginn der Corona-Pandemie, damals in Schaufenstern. © David Portnicki

Gewalt gegen Frauen, auch sexualisierte, sei ein strukturelles Problem, glaubt Beatrix Wilmes. „Solange Frauen nicht rechtlich und tatsächlich gleichgestellt sind, werden Männer die Macht haben. Und bei Übergriffen geht es nie um Sex, es geht um Macht.“ Weshalb völlig irrelevant sei, was die Frau zur Tatzeit getragen habe. Doch sei dies stets die erste Frage, die gestellt werde. Ihre Forderung - die Teams von Polizei und Justiz fortzubilden und zu sensibilisieren. „Das ist ein so großes Thema und es ist beschämend, wie wenig dagegen gemacht wird“, sagt die WDR-Autorin. Dass Deutschland die „Istanbul-Konvention“ unterzeichnet hat, ein Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, habe daran nichts geändert. Deshalb müsse viel mehr darüber geredet werden: „Das muss raus aus der Tabu-Zone.“

Folgen sexualisierter Gewalt: Traumata und Angststörungen

Isabelle Irschei, das ängstliche Mädchen von einst, dass es nicht wagte, ihren Freundinnen oder ihrem strengen Vater zu erzählen, was ihr passiert war, hat das Erlebte inzwischen bearbeitet. „Ich habe mich lange nicht getraut, alleine rauszugehen. Ich hatte Herzrasen, mir war schwindlig“, erinnert sie sich an die Zeit des Verdrängens. Nachdem sie sich der Vergangenheit gestellt hatte, kamen erst die Flashbacks: „Das war wie Schubladen, die aufgesprungen sind.“ Dann suchte sie sich therapeutische Hilfe. „Es kam heraus, dass ich mein Leben lang unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung gelitten habe.“ Heute kann sie damit umgehen und darüber sprechen. Als pädagogische Fachkraft arbeitet sie selbst tagtäglich in einer Wohneinrichtung mit Jugendlichen aus schwierigen Lebensverhältnissen. Am Ausstellungsprojekt nimmt sie teil, um anderen Mädchen und Frauen Mut zu machen. Damit auch sie verstehen: „Man ist nie Schuld daran, dass ein anderer eine Grenze übertritt. Die Kleidung, die man dabei trägt, spielt keine Rolle.“

>>> Führungen und Workshops

Die Ausstellung eröffnet am Mittwoch, 1. Februar, um 17 Uhr, im Druckluft, Am Förderturm 27. Weitere Infos: wasichanhatte.de.

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag von 10 bis 14 Uhr für Schul- und Jugendgruppen ab acht Personen nach vorheriger Anmeldung (mit Begleitung von Fachpersonen, Workshop zum Thema und Informationen zu Hilfsangeboten in Oberhausen); für Einzelpersonen Dienstag bis Sonntag von 14 bis 20 Uhr.

Der Besuch ist kostenlos. Rückfragen und Anmeldungen: maren.heutger@oberhausen.de, 0208 - 82 52 097.