Oberhausen. Sachbücher sind der Schwerpunkt des Literaturhauses, das aber nach wie vor Autorinnen spannender Romane ins Oberhausener Gdanska Theater holt.

Der Literaturhaus-Verein will im neuen Jahr „eine Lanze fürs Sachbuch brechen“ – und hat schließlich mit „Nonfiction“-Autoren schon die eindrücklichsten Erfahrungen gesammelt. So fand der Münchener „SZ“-Journalist Roland Schulz mit seinem präzisen Blick auf die letzten Lebenswochen und -stunden vor genau einem Jahr ein furchtlos-neugieriges Publikum im Gdanska Theater.

Dabei soll’s natürlich nicht stets um Leben oder Tod gehen. Die Motivation zum Sachbuch-Schwerpunkt 2023 lieferte vielmehr die Erkenntnis: Es wird viel zu viel uninformiert daherschwadroniert. Als ob sich die Kraft der Argumente in Dezibel messen ließe. „Die Fiktionalisierung der Wirklichkeit“ aber ist nur in Romanen, Liedern oder Gedichten legitim – und kann dann sogar erhellende Einblicke aufs wahre Leben liefern.

Doran Rabinovici, 61-jähriger Wiener aus Tel Aviv, schrieb mit „Die Einstellung“ einen hochpolitischen Berlin-Roman.
Doran Rabinovici, 61-jähriger Wiener aus Tel Aviv, schrieb mit „Die Einstellung“ einen hochpolitischen Berlin-Roman. © Lukas Beck

Dafür gibt’s gleich zum Jahresauftakt des Literaturhauses mit „Die Einstellung“ am Freitag, 13. Januar, ein packendes Beispiel. Hartmut Kowsky-Kawelke, der Vorsitzende des kleinen, aber umso rührigeren Vereins, nennt das Werk von Doran Rabinovici „einen Berlin-Roman“ – der allerdings in etlichen Hauptstädten spielen könnte. Der 61-jährige Wiener, geboren in Tel Aviv, erzählt von dem populistischen Politiker Ulli Popp, dem ein Freelance-Fotograf mittels der Kraft seiner Bilder die bürgerliche Maske entreißen soll. Doch Popp gibt sich alle Mühe, den Mann mit der Kamera „umzudrehen“, der schon bald „die Anziehungskraft des Autoritären“ empfindet. Mit diesem Roman scheint der Suhrkamp-Verlag mal wieder auf der Höhe der Zeit anzukommen.

Talente aus vier Workshops stellen sich vor

Der Dramatiker John von Düffel will im Theater Oberhausen mit „Die Wahrheit über Leni Riefenstahl“ für eine kraftvoll zulangende Uraufführung im Februar sorgen. Im kleinen Gdanska-Theater liest der 56-jährige, ungemein produktive Vielschreiber am Freitag, 27. Januar, aus einem vergleichsweise schmalen „Stundenbuch“: Gemeint ist ein Gedankengang durch die Stunden des Tages von vor Sonnenaufgang bis nach Sonnenuntergang, von den Anfängen der Lebensbetrachtung bis in die Gegenwart. „Ein kleines Büchlein mit klugen Gedanken“, meint Gastgeber Kowsky-Kawelke.

„Literarische Talente“ heißt so schlicht wie treffend der Abend am Freitag, 10. Februar, mit jenen Texten, die in und aus Workshops der Literaturhäusler entstanden sind: Die jungen Autorinnen und Autoren stammen vom Bertha- und Elsa-Gymnasium, der Fasia-Jansen-Gesamtschule und aus der Internationalen Kinderakademie. „Alle Literaturfans werden auf ihre Kosten kommen“, versprechen die Gastgeber.

Brigitte Reimann (1933 bis 1973) ist eine der drei DDR-Autorinnen in Carolin Würfels „Drei Frauen träumten vom Sozialismus“.
Brigitte Reimann (1933 bis 1973) ist eine der drei DDR-Autorinnen in Carolin Würfels „Drei Frauen träumten vom Sozialismus“. © FFS | Berliner Zeitung

Virtuos eingesetzte Konjunktive und Mehrdeutigkeiten bestimmen die Erzählung „Wir wissen, wir könnten, und fallen synchron“, die Yade Yasemin Önder am Freitag, 24. Februar im Gdanska Theater vorstellen wird. Ihr grell-witziger Debütroman, erschienen bei Kiepenheuer und Witsch, hat das große Feuilleton schwer beeindruckt: Vom Aufwachsen mit Migrationshintergrund gab’s wohl noch nichts Vergleichbares. In einem temporeichen, geradezu surreal-sarkastischen Mix aus Familiendrama und Coming-of-Age-Story erzählt Önder von einer bulimischen Teenagerin, deren übergriffiger deutscher Mutter und dem fettsüchtigen kurdischen Vater.

Wie die Träume vom Sozialismus platzen

Dergleichen hatten sich die drei DDR-Autorinnen bei aller Brillanz ihrer Werke denn doch noch nicht getraut: Als Gast des „Frauensalons“ berichtet Carolin Würfel am Freitag, 10. März, über ihre Porträts von Maxie Wander, Brigitte Reimann und Christa Wolf: „Drei Frauen träumten vom Sozialismus“. Die 36-jährige Journalistin zeigt drei Schriftstellerinnen, die in ihren Temperamenten zwischen Träumerin und Macherin unterschiedlicher kaum sein könnten und die doch eines eint: die Begeisterung für das Versprechen des Sozialismus. Mit welchem Selbstbewusstsein diese Frauen in den 1950er und ‘60er Jahren ihre Ziele verfolgen, sich dabei als Freundinnen stützen – wie ihre Träume aber schließlich platzen, darüber informiert sich der „Frauensalon“ anlässlich des Weltfrauentages.

Yade Yasemin Önder hat mit „Wir wissen, wir könnten, und fallen synchron“ einen grell-witzigen Debütroman vorgelegt.
Yade Yasemin Önder hat mit „Wir wissen, wir könnten, und fallen synchron“ einen grell-witzigen Debütroman vorgelegt. © Carolin Saage

Autorenpaare waren während der ersten fünf Jahres des Literaturhauses noch eine Rarität – doch am Freitag, 24. März, stellen sich Samira El Ouassil und Friedemann Karig mit „Erzählende Affen“ im Gdanska-Saal vor: Nein, es geht hier nicht um Primatenforschung, sondern, wie der Untertitel erklärt, „um Mythen, Lügen, Utopien – wie Geschichten unser Leben bestimmen“. Verlogene „Narrative“, wie es heutzutage beschönigend heißt, sind das Metier politischer Demagogen von Trump bis Putin.

„Meister im Erklären komplexer Zusammenhänge“

Mit seinen Gästen vom Podcast „Piratensender Powerplay“ dagegen erwartet Hartmut Kowsky-Kawelke „Meister im Erklären komplexer Zusammenhänge: Die Gesellschaft braucht Geschichten, keine Verschwörungsmythen.“ Erfüllen die beiden Münchener die hohen Erwartungen, wird’s ein Highlight des „Sachbuch“-Jahres im Literaturhaus.

Spannende Romane und Bücher „zur Sache“

Für drei der sechs Termine des Literaturhauses gilt: Eintritt 10 Euro, ermäßigt 5 Euro – nämlich für die Lesungen und Gespräche mit Doron Rabinovici, John von Düffel und Yade Yasemin Önder. Teurer ist mit 15 Euro, ermäßigt 7,50 Euro, nur der Abend mit den beiden „Powerplay“-Piraten Samira El Ouassil und Friedemann Karig. Für die literarischen Talente kostet der Eintritt 5 Euro; im „Frauensalon“ geht der Hut ‘rum.

Den Vorverkauf fürs Literaturhaus im Gdanska übernimmt natürlich das Gdanska selbst, zudem gibt’s Karten in Sterkrade bei der Buchhandlung Wiebus und in Schmachtendorf bei Brinkmanns Tabakwaren. Online informiert literaturhaus-oberhausen.de