Oberhausen. Die Jahresausstellung der Kunstinitiative Ruhr glänzt mit Rekordbeteiligung und zeigt Gemälde, Grafik und Skulpturen von satirisch bis idyllisch.

In Zeiten von Krise, Krieg, Demagogie und einem womöglich kurz vor dem Kipppunkt kreiselnden Planeten müssen „Lichtblicke“ ein entschiedenes Trotzdem sein: So präsentiert es, gleich hinter der Glastür der Galerie KiR im Europahaus, Gisela Kirsch-Thürmer in ihrer großformatigen Fotocollage der allgegenwärtigen Katastrophen. Viele dürften erst auf den zweiten oder dritten Blick die Blümchen entdecken, die zwischen den hier versammelten Trümmern des Jahres 2022 sprießen.

Für die Kunstinitiative Ruhr bedeutet das einladende Motto ihrer Jahresausstellung jedenfalls einen echten Erfolg: 30 von 33 Mitgliedern sind in der Künstlergalerie dabei – so viele, dass für ein ansprechendes Arrangement auch die Schaukästen in der Passage nebenan zum Zuge kommen. Im eigentlichen Schauraum wirkt die Fülle dabei keineswegs gedrängt, sondern entspricht dem „lichten“ Motto. Auch Brand- und Wasserschäden im benachbarten Teil des Europahauses (Nr. 19) ist die Galerie glücklich entgangen – auch dies ein Lichtblick.

Vom Klavierhocker zur Staffelei: Wolfgang Müller zeigt, erstmals bei KiR, Gemälde im wuchtigen Gestus Max Beckmanns.
Vom Klavierhocker zur Staffelei: Wolfgang Müller zeigt, erstmals bei KiR, Gemälde im wuchtigen Gestus Max Beckmanns. © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

Die Deutung des Mottos durch die 30 Kreativen reicht in großer Spannweite von der gesellschaftspolitischen Utopie bis zum landschaftlichen Idyll. Vielleicht die knalligste Pointe liefert diesmal kein einschlägig verdächtiger Kunst-Provokateur – sondern Sibylle von Guionneau, Grande Dame der Porträtmalerei. In leuchtenden Farben und schönster Feinmalerei zeigt die 79-Jährige den Prunk eines Kardinalskolloquiums – und inmitten der Kirchenfürsten in schimmernden Roben ein blonde Fürstin, Pardon: Kardinälin.

Leuchtender „Tulemond“ im alten Fensterrahmen

Ein Neuer unter den KiR-Mitgliedern zeigt expressionistische Verve: Wolfgang Müller saß bisher bei den Vernissagen auf dem Klavierhocker – war aber schon immer auch ein hingebungsvoller Maler im Geiste van Goghs. Seine ersten Gemälde im Europahaus ähneln allerdings verblüffend dem wuchtigen Gestus Max Beckmanns und feiern beide die Innigkeit eines Paares.

Lichtblicke als Spiele mit Lampenschein gibt’s an beiden Enden des langen Galerieraums: Vorne am Fenster hat Nicole Tenge einen charmanten Guckkasten installiert. Etwas versteckt hinter dem Raumteiler zeigt Frank Gebauer seine Hommage für Christian Morgenstern. Rückseitig beleuchtet strahlt sein „Tulemond“ aus einem alten Fensterrahmen: „Dinge gehen vor im Mond . . .“

Wie geschaffen für die „Casa di Giulietta“: Klaus Reimer widmete sein Relief der ewigen Liebe von Romeo und Julia.
Wie geschaffen für die „Casa di Giulietta“: Klaus Reimer widmete sein Relief der ewigen Liebe von Romeo und Julia. © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

Sonniger, aber nicht weniger glanzvoll, feiert Judith Pasquales großformatiges Landschaftsbild die untergehende Sonne über einer Wasserfläche. Wer das kitschig findet, sollte sich der üppig glühenden Ausstellung „Sunset“ widmen, die (einen Tag vor der Galerie KiR) in der noblen Bremer Kunsthalle eröffnet: Denn dort will das „Hoch auf die sinkende Sonne“ ein heutzutage belächeltes Sujet sehr entschieden rehabilitieren – und Pasquales Farbenpracht passt perfekt in diesen Kontext.

„Menschliche Zuneigung bis in den Tod“

Zartheit des Motivs und Härte des Materials können zu bezwingender Eintracht finden – so in der Plastik von Norbert Hennecke: Aus Eisen hat er ein fast schüchtern rankendes Pflänzchen geformt und mit Wucht und Wonne in einen hoch aufragenden Balken drapiert. Für Steinbildhauer Klaus Reimer sind Shakespeares liebende Teenager Romeo und Julia gültig bleibende Lichtblicke: „Sie verkörpern Liebe, menschliche Zuneigung sogar bis in den Tod.“ Man könnte sich das monumentale Relief der einander Küssenden sogar unter dem berühmten Balkon der „Casa di Giulietta“ in Verona vorstellen.

Glanzvolle Nostalgie an Londons Piccadilly Circus: Die Kuckucksuhr mit Seehunden ist übrigens kein Fehler.
Glanzvolle Nostalgie an Londons Piccadilly Circus: Die Kuckucksuhr mit Seehunden ist übrigens kein Fehler. © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

Schließlich lassen sich „Lichtblicke“ durchaus in der Rückschau finden, die in jeder persönlichen Erinnerung ein anderes Gepräge erhält: So zeigt Karl-Heinz Schlüßler in seinem charmanten Gemälde des abendlichen Piccadilly Circus unter den berühmten Leuchtreklamen nicht den heutigen Stoßverkehr, sondern schicke Limousinen der 1950er.

Zwei Seehunde bewachen die Kuckucksuhr

Und wer dem Maler nicht glauben mag: Tatsächlich gab’s damals auch eine Neon-Kuckucksuhr, deren Gehäuse von zwei Seehunden flankiert wird. Nur den Werbeslogan für die bekannteste irische Brauerei hat Schlüßler dezent ausgespart – denn so ist die Erinnerung an bessere Zeiten.

30-fache „Lichtblicke“ im Europahaus

Die Ausstellung mit Werken von 30 der 33 Künstlerinnen und Künstler der Galerie KiR, eröffnet am Sonntag, 27. November, um 17 Uhr. Die „Lichtblicke“ bleiben bis zum 29. Januar 2023 im Europahaus, Elsässer Straße 21, zu sehen.

Zur Vernissage gibt Winfried Baar, der Vorsitzende der Kunstinitiative Ruhr, eine Einführung. Wolfgang Müller, der erstmals auch als Maler bei KiR ausstellt, improvisiert am Klavier.

Geöffnet ist die Künstlergalerie mittwochs und freitags von 17 bis 19.30 Uhr, sonntags von 16 bis 19 Uhr; online informiert galerie-kir.jimdofree.com