Oberhausen. Das größte Fernwärmenetz Europas wollte das Ruhrgebiet schaffen – und scheiterte trotz hoher Planungskosten aus mehreren Gründen.

In einer Region mit einer großen Industriegeschichte, in der immer noch zahlreiche Öfen, Kraftwerke und Betriebe viel heißen Dampf und Abwärme erköcheln, ist die Fernwärme eigentlich der ideale Energieträger. Er zapft an dem einen Ort überflüssige Wärme ab, erhitzt damit Wasser und bringt diese in die Heizungssysteme frierender Zeitgenossen in Wohnungen und Büros.

Fernwärme gilt deshalb nicht nur unter Fachleuten als extrem günstige und umweltfreundliche Heizenergie. Doch die Fernwärme setzt in diesen Zeiten mit Kostensprüngen von 60 Prozent nicht nur zu bisher ungeahnten Verteuerungen an, sondern ist offenbar nicht mehr das Lieblingskind der Energieversorger. Ausgerechnet die Wende hin zu einer dezentralen Energieerzeugung hat ein dickes Prestige-Objekt im Ruhrgebiet zu einem Verlustgeschäft gemacht.

Simulationen der Energieversorgung Oberhausen zeigten 2015, wie die Fernwärmeleitung Rhein-Ruhr verlegt werden sollte – vor allem entlang der großen Verkehrstrassen.
Simulationen der Energieversorgung Oberhausen zeigten 2015, wie die Fernwärmeleitung Rhein-Ruhr verlegt werden sollte – vor allem entlang der großen Verkehrstrassen. © EVO

Für 200 Millionen Euro (Stand 2017) sollten 25 Kilometer lange und 2,5 Meter dicke Rohre die vorhandenen Fernwärmenetze Niederrhein und Ruhr verbinden, genannt „Fernwärmeschiene Rhein-Ruhr“ (FWSRR). Die rot-grüne Landesregierung wollte das Projekt mit einer dicken Summe von 100 Millionen Euro fördern, der Bund legte noch einmal 52 Millionen Euro drauf – abgesegnet von der EU-Kommission.

Vorstudien zur Rohrleitung stammen aus dem Jahr 2013

Die ersten Vorstudien des industriellen Leuchtturm-Projektes, ein Rohrsystem zwischen dem Bottroper Süden über Oberhausen in den Duisburger Norden zu schaffen, stammten bereits aus dem Jahr 2013. Die Energieversorgung Oberhausen (EVO) sah darin so große Chancen, dass sie sich an der dafür eigens gegründeten Gesellschaft FWSRR beteiligte – mit gut 18 Prozent. Den größten Anteil an der FWSRR hielt die Steag mit über 56 Prozent. Schließlich hatte die Steag mit ihren vielen Kohlekraftwerken ein besonderes Interesse daran, dass sich Abwärme sinnvoll im Ruhrgebiet verteilt. Dritter Anteilseigner war die Fernwärmeversorgung Niederrhein (25,1 Prozent).

Schon im Jahre 2016 fanden Bürgeranhörungen zum Thema Fernwärmeschiene Rhein-Ruhr (FWSRR) statt – hier in Duisburg.
Schon im Jahre 2016 fanden Bürgeranhörungen zum Thema Fernwärmeschiene Rhein-Ruhr (FWSRR) statt – hier in Duisburg. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

„Durch dieses europaweit einzigartige ökologische Leuchtturmprojekt entsteht das größte Fernwärme-Verbundnetz des Kontinents“, warb damals die Gesellschaft selbst. Doch der Feuereifer der Initiatoren verpuffte bereits während des langwierigen Planfeststellungsverfahrens: Zwei Regierungsbezirke und 30 Träger öffentlicher Belange hatten Sonderwunsch auf Sonderwunsch – durch Oberhausen sollte zum Teil die Leitung nicht nur mit grüner Tarnfarbe bepinselt werden, sondern recht teuer kilometerweit unterirdisch verlegt werden. Anderswo erhöhte der notwendige Schutz von Menschen, Tieren und Pflanzen die Kosten. Selbst im so industriegeprägten Ruhrgebiet kann man nicht mehr so einfach Rohrleitungen verlegen – es gab unendliche Verzögerungen.

Wärme fehlt durch schnellen Ausstieg aus der Kohleverstromung

Doch der Hauptgrund für das Aus ist kurioserweise der immer schnellere Ausstieg aus der Kohleverstromung. Auch wenn die Kohlekraftwerke durch das Ende der russischen Gaslieferungen noch einmal so richtig heiß laufen dürfen, in Zukunft fehlen der Fernwärmeleitung nach den Simulationen der Fachleute schlichtweg Abwärmemengen. Außerdem haben die FWSRR-Anteilseigner selbst schon einmal begonnen, aus anderen Quellen Wärme zu organisieren: Die Steag-Fernwärme etwa stammt von den Abfallöfen in Herten, die Fernwärme Niederrhein aus dem neuen Dinslakener Holz-Energiezentrum, die der Oberhausener EVO von den Liricher GMVA-Müllöfen. Zudem baute die EVO eigene Gas-Kraftwerke mit Wärmekoppelung selbst.

Hartmut Gieske, kaufmännischer Vorstand der EVO: „Die Zeiten haben sich geändert.“
Hartmut Gieske, kaufmännischer Vorstand der EVO: „Die Zeiten haben sich geändert.“ © FUNKE Foto Services | Christoph Wojtyczka

Fazit der Simulationsfachleute: „Die künftige Auslastung der FWSRR wäre nicht nur sehr gering, sondern diese wäre über weite Teile des Jahres faktisch unbeschäftigt.“

So beschloss die schwarz-gelbe Landesregierung zunächst intern bereits Anfang 2021 das stille Ende des einst so gelobten Super-Industrieprojekts. Seitdem wickeln die Politiker und Aufsichtsräte das planungstechnisch teure Vorhaben trotz hoher Vor-Investitionen ab. „Man kann es drehen und wenden, wie man will: Das Projekt ist einfach unwirtschaftlich. Selbst der Zuschuss der öffentlichen Hand reicht nicht aus“, meint EVO-Vorstand Hartmut Gieske. „Das ist bedauerlich gerade in diesen Zeiten, weil Fernwärme umweltfreundlich ist. Aber die Zeiten haben sich geändert.“

Verluste durch Rohrleitungs-Projekt? Da schweigt die EVO

Wie viel allein die EVO mit diesem Projekt an Ausgaben hatte, will Gieske allerdings der Öffentlichkeit nicht verraten. Er verschweigt den Verlust an Planungs- und Vorlaufkosten. Auf Nachfrage der Redaktion schreibt die Pressestelle der EVO nur: „Bitte haben Sie Verständnis, dass wir zum ehemaligen Projekt FWSRR heute keine Zahlen mehr veröffentlichen möchten.“

Findet das Aus für die Fernwärmeleitung ärgerlich: der Oberhausener Grünen-Ratsherr Norbert Axt.
Findet das Aus für die Fernwärmeleitung ärgerlich: der Oberhausener Grünen-Ratsherr Norbert Axt. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Grünen-Ratsherr Norbert Axt findet das Ende der Fernwärmeleitung traurig und ärgerlich. „Das Planfeststellungsverfahren für das Projekt ist Anfang Februar 2022 auch deshalb zurückgenommen worden, weil der Gaspreis zuvor so konkurrenzlos niedrig war und es auch deshalb unwirtschaftlich wurde.“ Oberbürgermeister Daniel Schranz wies im Haushaltsausschuss allerdings darauf hin, dass sich das Projekt noch nicht einmal bei doppelt so hoher öffentlicher Förderung gelohnt hätte.

Und so kam es, wie es kommen musste: Der Rat der Stadt Oberhausen stimmte einstimmig der Auflösung der 2015 gegründeten Projektgesellschaft Fernwärmeschiene Rhein-Ruhr (FWSRR) zu – der letzte Sargnagel eines einstigen Industrie-Prestigeprojektes im Ruhrgebiet.