Düsseldorf. Die geplante Fernwärmeschiene Rhein-Ruhr sollte Europa beeindrucken. Aber sie wird nicht verwirklicht. Das Aus kommt überraschend.

Heimlich, still und leise ist die bisher als „europäisches Leuchtturmprojekt“ gepriesene Fernwärmeschiene Rhein Ruhr (FWSRR) in der Schublade verschwunden. Laut Landesregierung wurde das Aus schon zu Jahresbeginn beschlossen. Dabei sollte es der ganzen Welt zeigen, wie fortschrittlich die Region bei der Energieerzeugung ist.

„Die Steag Fernwärme GmbH, die Fernwärmeversorgung Niederrhein GmbH und die Energieversorgung Oberhausen AG sind im 1. Quartal 2021 nach eingehender und intensiver Beratung übereingekommen, die Planungen zum Bau der Fernwärmeschiene Rhein-Ruhr (FWSRR) in ihrer ursprünglichen Form nicht weiter zu verfolgen“, schreibt NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) in einer Antwort auf eine Anfrage der Grünen-Landtagsfraktion, die dieser Redaktion vorab vorliegt.

Landesregierung glaubt, es geht auch ohne große Fernwärmeschiene

Begründet wird das Aus mit einem „Wandel der energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen“ seit dem Start des Projekts im Jahr 2015. Die drei beteiligten Unternehmen hätten neue und CO2-sparende Alternativen zur Sicherung der Fernwärmeversorgung im Ruhrgebiet und im Rheinland. Die ursprünglich angestrebten Emissionseinsparungen von jährlich 100.000 Tonnen CO2 würden heute schon ohne den Bau der geplanten Verbindungstrasse Rhein-Ruhr erreicht und sogar überschritten, so Pinkwart.

Dennoch ist diese Entwicklung überraschend, jedenfalls, wenn man sie an den Superlativen misst, die einst die geplante Verknüpfung der beiden regionalen Fernwärmeschienen an Rhein und Ruhr begleiteten: „Durch dieses europaweit einzigartige ökologische Leuchtturmprojekt entsteht das größte zusammenhängende Fernwärme-Verbundnetz des Kontinents“, heißt es heute noch auf der Homepage der FWSRR.

Gefährdet der Kohleausstieg die Fernwärmeversorgung?

Fernwärme ist die Belieferung von Gebäuden mit Wärme aus einem Kraft- oder Heizwerk. In NRW fußt die Fernwärme derzeit auf Braun- und Steinkohlekraftwerksblöcken an 21 Standorten, darunter Duisburg, Gelsenkirchen und Herne. Doch der Kohleausstieg hat längst begonnen. Das RWE-Steinkohlekraftwerk in Hamm und ein Block in Duisburg-Walsum von Steag wurden bereits abgeschaltet. Das Aus für die Steinkohlekraftwerke in Bergkamen und Gelsenkirchen Scholven folgt im kommenden Jahr.

Für den frühere NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) ist der Abgesang auf die große, zusammenhängende Fernwärmeschiene Rhein-Ruhr eine „bestürzende Nachricht“, die ihn fassungslos mache. Er mutmaßt, das Ende des Projektes könnte etwas mit der Krise des angeschlagenen Steag-Konzerns zu tun haben, der nun von einem Sanierungsexperten weder auf Kurs gebracht werden soll.

Ex-Umweltminister Remmel: "Regierung ist völlig blauäugig"

Remmel wirft der Landesregierung vor insgesamt „völlig blauäugig“ mit dem Thema Fernwärme umzugehen. Die bevorstehende Abschaltung zahlreicher Kohlekraftwerke in NRW, womöglich schon vorgezogen bis zum Jahr 2030, werfe die bisher unbeantwortete Frage auf, wie Fernwärme künftig verlässlich erzeugt werden könne. Die Umstellung bei der Fernwärme auf Erdgas und möglichst auf Energieträger wie Wasserstoff müsste viel ambitionierter vorangetrieben werden.

Die NRW-Regierung sieht das Land indes bei der Fernwärme auf einem richtigen Weg. In Herne werde ein Steag-Kohlekessel bis Mitte 2022 auf Gas umgebaut. In Essen-Rüttenscheid und Essen-Nord würden Steag-Heizwerke von Kohle/Heizöl auf Gas umgerüstet. Zwei geplante Wärmespeicher in Gelsenkirchen und Essen machten die Wärmeversorgung im Revier bald flexibler. Im Rheinland werde die Fernwärmeversorgung künftig unter anderem durch das Dinslakener Holz-Energiezentrum und diverse Biomethan- und Gasanlagen gesichert.

Die Landesregierung hat aber offenbar noch keine abschließende Vorstellung davon, wie die angestrebte „Wärmewende“ verwirklicht werden kann. Sie wartet laut der Antwort auf die Grünen-Anfrage derzeit noch auf Informationen aus einer Potenzialstudie zur Kraft-Wärme-Kopplung, die bis zum Jahresende vom Landesumweltamt (Lanuv) veröffentlicht werden soll.

Steag-Ziel: "Zumindest Teile der Planung realisieren"

Ein Steag-Sprecher sagte bestätigte gegenüber dieser Redaktion, dass die ursprünglichen Pläne zum Bau der FWSRR von den drei beteiligten Energieversorgern nicht so, wie einst geplant, weiterverfolgt werden. Man prüfe nun zusammen mit dem Land NRW, ob „zumindest Teile der ursprünglichen Planung realisiert und damit weitere CO2-Einsparungen über das ursprüngliche Reduktionsziel hinaus erreicht werden können“.

Die Frage dabei sei, ob und wie regenerative Energiequellen wie Geothermie oder Biogas, die Einbindung weiterer industrieller Abwärme oder die Neuerschließung von Fernwärmeversorgungsgebieten technisch und wirtschaftlich umsetzbar seien.