Oberhausen. In zweiter Instanz kämpfte ein 57-jähriger Familienvater gegen eine Gefängnisstrafe. Im Kleinkrieg mit einem Obdachlosen griff er zum Messer.
Ein 43-jähriger Obdachloser hat am 9. September 2021 auf der Marktstraße in der Oberhausener Innenstadt eine böse Überraschung erlebt. Als er nichtsahnend auf einer Parkbank saß, traf ihn ein Messer in der Nierengegend in den Rücken. Der Täter war ein in der Nähe wohnender 57-jähriger Mann. In zweiter Instanz musste sich jetzt das Landgericht Duisburg mit dem Fall befassen.
Das Amtsgericht Oberhausen hatte den bislang nicht vorbestraften Angeklagten im März dieses Jahres wegen gefährlicher Körperverletzung zu drei Jahren und vier Monaten Gefängnis verurteilt. Auf die komplexe Vorgeschichte ging das erstinstanzliche Urteil allerdings nur mit einem Satz ein: Bereits zwei Tage zuvor sei der Angeklagte vom Geschädigten attackiert worden.
Geschädigter ärgert sich über Müll aus dem Gemüseladen
Der 57-Jährige und sein Verteidiger beschränkten das Rechtsmittel auf die Höhe der Strafe, womit die erstinstanzlichen Feststellungen zur Tat rechtskräftig wurden. Mehr wollte der Angeklagte dazu nicht sagen. Die Berufungskammer gab sich dennoch einige Mühe, das, was dem Stich vorangegangen war, näher zu beleuchten.
„Ich saß da immer auf einer Bank“, berichtete der Geschädigte. Genau genommen: Er lebte auf der Bank, neben der seine Habe in einem Einkaufswagen lag. Deshalb hatte sich der 43-Jährige mächtig geärgert, dass der in einem benachbarten Gemüseladen arbeitende Angeklagte immer viele große Müllsäcke in sein Blickfeld stellte. „Ich habe immer sauber gemacht, er hat wieder Säcke hingestellt.“ Er habe den Mann deshalb sogar angezeigt.
Berufungskammer senkt Strafe um ein halbes Jahr
„Und dann habe ich ihm eins mit der Faust gegeben“, gab der 43-Jährige zu. Dafür und für zahlreiche ähnliche Taten hatte der Alkoholiker im Juni vor dem Landgericht gestanden und war in einer Entziehungsanstalt untergebracht worden. Der Angeklagte habe ihn nach dem Faustschlag zwei Tage lang regelrecht gejagt. „Mit dem Messerstich hatte ich in dem Moment aber nicht gerechnet. Ich habe zwar viel Blut verloren, aber Glück gehabt, dass kein lebenswichtiges Organ verletzt wurde.“
Der Verteidiger war sich sicher, dass sein Mandant – ein schlichter, aber eigentlich gutmütiger Mann mit neun Kindern – nur frustriert und ängstlich gewesen sei, weil die Polizei nichts gegen den Obdachlosen, der gerne Passanten anpöbelte, zu unternehmen schien. „Deshalb hat er das in seine eigene Hand genommen.“
Angesichts der Gesamtumstände kam die Berufungskammer zu dem Schluss, dass das Urteil des Amtsgerichts zu hoch gewesen sei. Es senkte die Strafe auf zwei Jahre und zehn Monate. Für den Angeklagten bedeutet das, die Haft im Offenen Vollzug antreten zu können. Falls er das aufgrund seines Gesundheitszustandes überhaupt muss: Er hat Diabetes, Bluthochdruck und Magenkrebs.