Oberhausen. Im Supermarkt der Ideen in Oberhausen haben Bürgerinnen und Bürger mit Experten über die Verkehrswende diskutiert. Viele Ideen, aber auch Frust.
„Wenn Sie morgen als Verkehrsdezernent aufwachen würden, was würden Sie ändern?“ Diese Frage stellt Boris Dresen vom Kreativlabor c.lab den Rednern beim Diskussionsabend „Mobilitätswende in Oberhausen“. Der Abend ist Teil der Europäischen Mobilitätswoche, organisiert von c.Lab, die dieses Jahr zum ersten Mal in Oberhausen stattfindet. Rund 20 Teilnehmende sind in den Supermarkt der Ideen an der Goebenstraße in Alt-Oberhausen gekommen, um darüber zu sprechen, wie Mobilität im öffentlichen Raum neu organisiert werden könnte.
Alle Anwesenden sind sich einig, dass etwas passieren muss, betrachten das Thema Mobilitätswende aber aus unterschiedlichen Perspektiven. Matthias Weber etwa ist Head of Citys beim E-Scooter-Anbieter Tier. Seit März 2022 sind die türkisfarbenen Roller in Oberhausen unterwegs. Überall in der Stadt werden sie genutzt, berichtet Weber. Die meistfrequentierten Straßen aber seien die Schwartzstraße, die Concordiastraße und die Falkensteinstraße.
Tier steht in Oberhausen kurz vor der 100.000sten Fahrt
Der „Mikromobilitätsdienstleister“, wie Weber das Unternehmen nennt, schreibt sich auf die Fahne, komplett klimaneutral zu sein. Überall, wo es möglich sei, etwa beim Aufladen der E-Scooter, beim Betrieb oder Transport, würden die Emissionen reduziert. Eine gute Alternative zum Auto also. Und dass Tier in Oberhausen nach nur einem halben Jahr kurz vor der 100.000sten Fahrt steht, zeigt: Nachfrage und Bedarf sind durchaus da. „E-Scooter sind gekommen, um zu bleiben“, fasst Weber zusammen.
Doch immer wieder gibt es auch Beschwerden – nicht nur in Oberhausen –, dass die Roller im Weg herumstehen und falsch geparkt werden. Der E-Scooter ist ein weiterer Konkurrent um den begrenzten öffentlichen Raum, den sich schon jetzt viele unterschiedliche Verkehrsteilnehmer untereinander aufteilen müssen. Auch im Publikum wird darüber Unmut laut.
Geschwindigkeit von E-Scootern drosseln?
Ein Zuschauer fragt zum Beispiel nach den Fotos vom Abstellplatz, die einige Anbieter von ihren Nutzerinnen und Nutzern verlangen. So soll kontrolliert werden, ob das Fahrzeug ordnungsgemäß hinterlassen wurde. Auch Tier arbeitet in einigen Städten mit dieser Methode. Weber räumt aber ein: Die immensen Datenmengen, die dadurch entstehen, könne niemand kontrollieren. Außerdem: Wer den Roller ohnehin schon gut abstellt, den motiviert das Foto vielleicht dazu, es noch ein bisschen besser zu machen. Die anderen erreiche man auch mit dieser Vorschrift nicht, fürchtet er.
Eine andere Zuschauerin spricht an, dass die Roller oft augenscheinlich schnell an Zufußgehenden vorbeifahren. Könnte man die Fahrzeuge nicht aus einigen Bereichen, etwa der Marktstraße, ausschließen, fragt die Frau. Oder zumindest automatisch ihre Geschwindigkeit drosseln? Weber erklärt, dass das technisch möglich sei, aber gesetzlich nicht erlaubt. „Der nächste Schritt wäre zu fragen: Warum kann ein Auto in einer 30er-Zone 50 fahren?“
Oberhausen – eine Autostadt
Langfristig müsse das Ziel sein, dass weniger Autos auf den Straßen sind – da sind sich Weber und Burkhard Schmidt vom Fahrradclub ADFC Oberhausen/Mülheim einig. „Die überwiegende Zahl der Strecken wird mit dem Auto zurückgelegt. Und genauso sieht Oberhausen auch aus“, sagt der Radexperte. 58 Prozent der Flächen in der Stadt gehörten den Autos, nur drei Prozent dem Rad, rechnet er vor.
Dabei gebe es viele gute Ideen – etwa die Fahrradgaragen, die in Oberhausen aufgestellt werden sollen. Doch dafür müssten Parkplätze für Autos wegfallen, was bei Teilen der Politik Zweifel hervorrief. Schmidt ärgert das. „Die Politiker müssen sich trauen, die Mobilitätswende einzuleiten.“ Eine Frau aus dem Publikum unterstützt ihn: „Die Mobilitätswende ist nicht optional.“ Die Politik müsse das Thema positiv besetzen und in die Öffentlichkeit tragen. Sie vermisse zum Beispiel Kampagnen und Werbung für mehr Radverkehr.
Viele Ideen sind nicht mehrheitsfähig
Politikwissenschaftler Martin Florack von der Stadt Oberhausen gibt zu bedenken: „Die Oberhausener sind Autofans.“ Die Gruppe der Anwesenden stehe nicht repräsentativ für alle Bürgerinnen und Bürger. Und die Realität sei, dass viele Ideen einfach nicht mehrheitsfähig seien. In seinem Vortrag erinnert er an diese Grundfrage der Demokratie. Es sei nicht die Aufgabe der Politikerinnen und Politiker, Mehrheiten zu schaffen. Vielmehr müssten sie legitime Interessen austarieren.
Er schlägt außerdem vor, nicht die große Revolution anzustreben, an die man bei dem Wort „Transformation“ denke. „Ich würde dafür plädieren, auch Evolution in den Blick zu nehmen“, sagt Florack, also viele kleine Schritte, die zum Ziel führen. Das begrenze auch Kollateraleffekte, ist er sich sicher. Kleine Schritte aber könne die Menschheit sich nicht mehr erlauben, betont Stefanie Schadt, Fraktionsgeschäftsführerin der Oberhausener Grünen und heute auch im Publikum. „Fakt ist, wir sind in einer Klimakrise, die uns zwingt, andere Wege zu gehen. Das ist kein Plädoyer gegen unsere demokratischen Prozesse. Aber wir sind im Zugzwang.“
In was für einer Stadt will die jüngere Generation leben?
Eine Welt, oder kleiner gedacht Stadt, in der die jüngere Generation leben könne und wolle, die sehe anders aus, weiß auch Alexander Gardyan von IKS Mobilitätsplanung. Die Stadt Oberhausen hat das Ingenieurbüro damit beauftragt, ein Radverkehrskonzept zu entwickeln. Junge Menschen engagierten sich bei Fridays for Future, beim Radentscheid, viele machten nicht einmal mehr einen Führerschein. „Es muss was passieren in unserer Stadt“, schlussfolgert er. Doch Veränderung brauche Zeit und koste Geld.
Darum regt er an, mit dem zu arbeiten, was da ist, und so die Kosten gering zu halten. Man könne Ideen mit einfachen Mitteln und zeitlich begrenzt ausprobieren, etwa eine Straße mit anteilig höherem Fußverkehr zeitweilig für Autos sperren und beobachten, wie sich der Verkehr verteilt. „Ausprobieren ist eine Strategie, von der ich ein großer Fan bin.“ Wenn es nicht klappt, habe man nichts verloren. Und oft resultierten daraus spannende Erkenntnisse. Wichtig sei es aber, die Menschen, die die Veränderung betreffe, mit ins Boot zu holen.
Europäische Mobilitätswoche findet verhaltenen Anklang
„Wir haben auch einen Mini-Verkehrsversuch vor der Tür stehen“, sagt Boris Dresen von c.lab und meint damit das Parklet – eine bepflanzte Sitzgruppe aus Holz – das dort im Rahmen der Europäischen Mobilitätswoche für einen begrenzten Zeitraum aufgestellt wurde und nun einen Parkplatz ersetzt. Bisher seien die Reaktionen darauf positiv ausgefallen, resümiert er.
Etwas mehr Anklang hätte das Programm der Aktionswoche jedoch finden können, lässt er durchscheinen. Auch das Regenwetter verhalf bei Fahrtrainings mit E-Scootern und E-Bikes nicht zu mehr Besucherinnen und Besuchern. Doch Dresen zeigt sich optimistisch: „Für das erste Mal sind wir zufrieden. Wir haben einen ersten Impuls gesetzt.“ Im kommenden Jahr sei eine Wiederholung geplant, bei der neben Alt-Oberhausen dann auch die Stadtteile Sterkrade und Osterfeld miteingebunden sind.