Oberhausen. Erst wollten die Beamten im Rathaus den dortigen Netto-Markt umsiedeln. Heute lehnen sie es ab.
Im Zentrum von Osterfeld-Heide drohen den Nahversorgern die Lichter auszugehen. Eine Metzgerei und eine Bäckerei gibt es schon nicht mehr. Jetzt trägt sich der Netto-Markt an der Vestischen Straße mit dem Gedanken, seine Zelte dort abzubrechen. Und damit würde auch für die Hirsch-Apotheke in der Nähe die Laufkundschaft schwinden.
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Dabei haben die Beamten im Rathaus schon 2012 vom Stadtrat den Auftrag bekommen, für den Lebensmittelmarkt Netto einen neuen Platz neben der Apotheke zu schaffen - für einen größeren Neubau. Nur fühlen sie sich daran heute nicht mehr gebunden. Dabei äußerte die SPD in der letzten Bezirksvertretung vor den Sommerferien ihre Sorge um den Bestand des kleinen Ortszentrums. Sie hatte von den Netto-Plänen erfahren. In den Jahren zuvor hat es dort keine Diskussion darüber gegeben. Am notwendigen Bebauungsplan, einer großen Karte mit allen nötigen Festsetzungen, wo und wie genau gebaut werden darf, wird allerdings von der Stadt seit 2015 nicht mehr gearbeitet.
Kleine Zentren sollen zu Fuß erreichbar sein
Die Vorgeschichte des Problems geht auf das Jahr 2008 zurück. Damals hat der Stadtrat ein Einzelhandelskonzept beschlossen, ein dickes Papier, in dem Heide als Ortszentrum ausgewiesen wurde. Nahversorgung ist die Versorgung der Menschen mit Gütern des täglichen Bedarfs, also Lebensmitteln, Hygieneartikeln und Medikamenten. Gesetzlicher Auftrag für das Rathaus ist es, die Nutzung der Flächen so festzusetzen, dass möglichst überall fußläufig ein solches Ortszentrum erreichbar ist, in maximal 15 Minuten. Um diese Waren kaufen zu können, soll man nicht mit dem Auto fahren müssen - auch aus Klimaschutz-Gründen wichtig. Aus Schutz für den Bestand solcher Ortszentren dürfen nicht beliebig im Stadtgebiet verteilt neue Supermärkte oder anderer Einzelhandel entstehen.
Es darf keine Konkurrenz für große Zentren geben
In dem Einzelhandelskonzept von 2008 war das Ortszentrum Heide so abgegrenzt, dass die Freifläche neben der Hirsch-Apotheke nicht mehr als Ortszentrum zählte. Der große Netto-Neubau, zunächst geplant mit mehr als 800 Quadratmetern Verkaufsfläche, hätte damit nicht so einfach entstehen dürfen. Es sei denn, Netto könnte mit Zahlen belegen, dass diese Lebensmittel-Filiale keine Konkurrenz für das wichtigere Zentrum Osterfeld-Mitte darstellt.
Im gleichen Jahr beantragten die Eigentümer des Autohauses Kramer an der Fahnhorststraße, an Stelle ihres Betriebs einen Rewe zuzulassen. Das verweigerten die Beamten im Rathaus - mit dem Hinweis, das Ortszentrum Osterfeld-Heide müsse geschützt werden. Beide liegen rund 400 Meter Fußweg auseinander. Die Sache ging vor Gericht.
Im Rathaus selbst kam man auf die Idee
„Ich bin um das Jahr 2010 herum von der Stadt angesprochen worden, auf unserem 6000 Quadratmeter großen Grundstück einen großen Netto-Markt und einen Neubau für unsere Apotheke als Ärztehaus zu errichten“, erzählt Apothekerin Sylvia Schlutius. Sie war einverstanden, will das bis heute: „Wenn wir die Apotheke zukunftsfähig ausrichten wollen, müssen wir Heide als Ort für Arztpraxen sichern, aber auch Laufkundschaft haben.“
Nur vergingen noch zwei Jahre, ehe man im Rathaus mit der Planung begann. Offenbar wollte man den Rewe-Absichten etwas entgegensetzen - doch dies war zu spät. Im gleichen Jahr 2012 sprachen Richter dem Ortszentrum seinen Status ab, auch weil der Netto mit seinen 440 Quadratmetern Verkaufsfläche in Heide viel zu klein ist. Damit war der Weg für den Rewe frei.
Anfrage der Redaktion nicht beantwortet
Noch 2012 schrieb man aus dem Rathaus an Apothekerin Schlutius, „von Seiten der Stadt Oberhausen besteht nach wie vor Interesse, auf dem Grundstück einen solchen Markt mit Hilfe eines Bebauungsplans zu ermöglichen.“ Dazu wurde dann auch 2015 eine Bürgerversammlung abgehalten. Und dabei gab es Kritik von den Nachbarn. Der Netto würde bis an die Gärten an der Hermannstadtstraße heranrücken. Die sollten dann durch eine Lärmschutzwand geschützt werden.
2017 schaltete sich Oberbürgermeister Daniel Schranz ein. Er schrieb an die Apothekerin, für das Apotheken- und Ärztehaus im vorderen Bereich gebe es zwar Unterstützung, für den Netto-Neubau allerdings nicht mehr, „insbesondere auch aus dem politischen Raum“. Auf die Frage der Redaktion, wo und wann die gewählten Volksvertreter ihn abgelehnt haben, gab die Stadt-Pressestelle keine Antwort.
Lebensmittelhändler Netto ist in Oberhausen zum Kompromiss bereit
Seit 2017 jedenfalls werden Schlutius, der Investor, die DI Management GmbH aus Düren, und Netto von der Stadt weiter hingehalten, obwohl Netto inzwischen bereit ist, nur noch 800 Quadratmeter Verkaufsfläche zu bauen - also deutlich weniger als ursprünglich beabsichtigt. „Osterfeld-Heide ist ein interessanter Einzugsbereich“, sagt Simon Laschkowski von Netto. Rewe sehe man nicht als Konkurrenten. Man spreche verschiedene Kundengruppen an.
Die Anfrage, ob ein solcher Neubau erlaubt ist, haben die Stadtbediensteten 2019 verneint. Ihre wichtigste Begründung: Im dortigen "Allgemeinen Wohngebiet" wäre von der Größe her nur ein Tante-Emma-Laden für die unmittelbare Nachbarschaft erlaubt. Genau diese Beschränkung sollte ja der seit 2015 ruhende Bebauungsplan aufheben.
Bezirksvertretung bei Absage übergangen
Mittlerweile ist allerdings auch das zweite große Hindernis für den neuen größeren Netto-Markt entfallen. Der Stadtrat hat ein neues Einzelhandelskonzept beschlossen. Danach ist in Heide die Begrenzung auf bestimmte Grundstücke fortgefallen. In der Bezirksvertretung Osterfeld mussten die Beamten folglich zugeben, dass dem 800-Quadratmeter-Markt nun nichts im Wege stehe. Es gebe aber städtebauliche Gründe dagegen.
„Eine Wiederaufnahme des ursprünglichen Bebauungsplanverfahrens ist derzeit nicht absehbar und aus städtebaulicher Sicht weder zielführend noch Erfolg versprechend“, schrieb Thomas Palotz, der neue Chef-Stadtplaner, noch im Mai 2022 an die Firma DI. In der Bezirksvertretung Osterfeld hat er das zuvor aber nicht zur Diskussion gestellt.