Oberhausen. Besiegeln die Missbrauchsskandale den Niedergang der katholischen Kirche in Oberhausen? Nie hat es so viele Kirchenaustritte wie jetzt gegeben.
Steht die Existenz der katholischen Kirche auch in Oberhausen auf dem Spiel? Missbrauchsskandale, mangelnde Reformen, Benachteiligung von Frauen, stockende Mitbestimmungsrechte der Laien: Allein im vergangenen Jahr entschlossen sich 739 Oberhausenerinnen und Oberhausener zum Kirchenaustritt, so viele wie nie zuvor. Die Jahresstatistik 2021 des Bistums Essen zeigt: Nur noch 70.109 Männer, Frauen und Kinder in unserer Stadt gehören einer katholischen Gemeinde an. Ein historischer Tiefststand. Der Oberhausener Katholikenratsvorsitzende Thomas Gäng blickt dennoch verhalten zuversichtlich in die Zukunft.
Das komplette Bistum hat innerhalb eines Jahres sogar 20.885 Mitglieder verloren – knapp die Hälfte davon durch Kirchenaustritte. Die andere Hälfte vor allem durch einen statistischen „Sterbeüberhang“, aber auch durch mehr Fort- als Zuzüge. Dabei markieren auch die 9133 Kirchenaustritte einen beispiellosen Negativrekord: Noch nie seit der Gründung des Bistums Essen 1958 haben binnen eines Jahres so viele Menschen von sich aus die katholische Kirche verlassen, heißt es in einer Pressemitteilung des Bistums. Erstmals kehrten 2021 mehr als ein Prozent der Kirchenmitglieder ihrer Gemeinschaft den Rücken. Auch in Oberhausen ist der Anstieg deutlich, stiegen die Austritte von 489 im Jahr 2020 auf 739 im Jahr 2021 an.
Wachsender Vertrauensverlust der katholischen Kirche
Für den Essener Generalvikar Klaus Pfeffer, aber auch für den Oberhausener Katholikenratsvorsitzenden Thomas Gäng sind die Zahlen ein klares Zeichen „eines schier unaufhaltsam steigenden Vertrauensverlustes der katholischen Kirche“, den vor allem die Missbrauchstaten von Priestern und anderen kirchlichen Mitarbeitenden ausgelöst haben. „Die Taten sind schrecklich und furchtbar ist auch, dass die Aufarbeitung dieser Verbrechen so uneinheitlich erfolgt und alle paar Monate immer mal wieder irgendwo ein Gutachten vorgestellt wird“, betont Gäng.
Lesen Sie auch:
- In Oberhausen setzt eine Kirche deutschlandweit ein Zeichen
- Traumberuf Priester: Oberhausener wird zum Diakon geweiht
- Oberhausener Kirche lobt Mut der Akteure von „Out in Church“
Hinzu komme, dass es innerhalb der katholischen Kirche höchst unterschiedliche Auffassungen darüber gebe, welche Konsequenzen aus den Erkenntnissen der verschiedenen Untersuchungen zu ziehen sind. „Selbst unter vielen treuen Gläubigen herrscht inzwischen der Eindruck vor, dass die Kirche es nicht wirklich ernst meint mit der Aufarbeitung“, bedauert Generalvikar Pfeffer. Das führe zu einem erheblichen Frust – bis hin zu den Kirchenaustritten.
Für Gäng wird es höchste Zeit, die Opfer der Missbrauchstaten stärker in den Blick zu nehmen. „Wir setzen aber auch stark auf eine gezielte Prävention.“ Gerade bei der Vorbeugungsarbeit sei in Oberhausen einiges passiert. „Alle ehrenamtlichen Mitarbeiter müssen jetzt etwa an speziellen Schulungen teilnehmen.“
Es gelte außerdem, die verkrusteten Strukturen innerhalb der katholischen Kirche weiter aufzubrechen. „Dabei spielen die Laien, Frauen und Männer, eine bedeutende Rolle.“ Die katholische Kirche sei eine Gemeinschaft von Gläubigen, „nicht von Heiligen“.
Der größte Fehler der Vergangenheit sei es gewesen, den Menschen vorzugaukeln, dass es abgrundtief Schlechtes in ihrer Kirche nicht geben könnte. „Die Wahrheit sieht aber anders aus, Verbrecher gibt es überall, in jedem Beruf – und eben auch in der Kirche.“ Diese Erkenntnis sei schmerzhaft. „Aber es ist der einzige Weg, den Betroffenen gerecht zu werden.“
Generalvikar Pfeffer dankt allen, die bleiben
Da auch die evangelische Kirche kleiner wird, seien vielerorts stärkere ökumenische Kooperationen sinnvoll, meint Generalvikar Klaus Pfeffer vom Bistum Essen (zu dem auch Oberhausen gehört). Pfeffer dankt allen, die „trotz berechtigter Kritik weiterhin Mitglied der Kirche sind und mit ihrer Kirchensteuer helfen, Kirchen, Kitas, Schulen und soziale Angebote der Kirche in unserem Bistum zu unterhalten“.
Insbesondere die vielen Einrichtungen der Caritas seien in den letzten Pandemiejahren von besonderer Bedeutung gewesen. Mehr Mitsprache, mehr Einsicht, mehr Ökumene. Auch dies seien zwar keine Allheilmittel, „aber Schritte in eine richtige Richtung“, zeigt sich auch der Oberhausener Katholikenratsvorsitzende Thomas Gäng überzeugt.
Entsprechend hat sich das gesamte Bistum Essen – auch im Rahmen des bundesweiten Dialogprozesses „Synodaler Weg“ – für einen entschlossenen Weg der Erneuerung entschieden. „Wir stellen uns unserer Geschichte und wollen verstehen, was alles zu den Verbrechen der zurückliegenden Jahre beigetragen hat und was wir verändern müssen“, sagt Generalvikar Pfeffer mit Blick auf die laufende Aufarbeitungsstudie im Ruhrbistum, die Anfang des kommenden Jahres veröffentlicht werden soll.