Oberhausen. Ein Wochenende in Mainz verbringen: Das ist mit dem Neun-Euro-Ticket ab Oberhausen schon in dreieinhalb Stunden möglich. Ein Selbstversuch.

Die Menschenmenge auf dem Gang der Regionalbahn Fünf nach Koblenz erinnert an ein Tetris-Spiel: Wie verbiege ich meinen Körper am besten, damit er so wenig Platz wie möglich im überfüllten Zug einnimmt? Szenen wie diese sind seit dem Verkauf des Neun-Euro-Tickets keine Seltenheit – Andrea Zaschka von der Oberhausener Lokalredaktion hat getestet, wie gut man mit dem Ticket ab Oberhausen Hauptbahnhof tatsächlich verreisen kann.

Dreieinhalb Stunden Fahrt und einmal Umsteigen

Am Wochenende bin ich auf einem Geburtstag in Mainz eingeladen – eine Strecke, die ich normalerweise mit dem ICE fahren würde. Für die rund zweieinhalb Stunden Fahrt müsste ich allerdings je nach Verbindung zwischen 36 und 96 Euro pro Strecke zahlen, während ich mit dem Neun-Euro-Ticket keine zusätzlichen Kosten habe und mit den Regionalbahnen nur eine Stunde länger brauche. Der Plan: Mit der Regio vom Oberhausener Hauptbahnhof nach Koblenz fahren und dort in die nächste Regio nach Mainz steigen. Einmal stündlich fährt die Bahn nach Koblenz, ich fahre am Freitag um 16.33 Uhr und soll planmäßig um 20.08 Uhr am Mainzer Hauptbahnhof ankommen.

Schon 15 Minuten vor Abfahrt steht die Bahn am Gleis in Oberhausen, noch sind kaum Sitzplätze belegt und ich sichere mir direkt einen Platz am Fenster. Ein Mann ohne Maske betritt das Abteil und wird sofort vom Bahnpersonal darauf hingewiesen, dass Maskenpflicht herrsche. Der Mann zieht mürrisch seine Maske über, sobald das Bahnpersonal außer Sichtweite ist, hängt sie jedoch schon wieder unter dem Kinn.

Fast eine Millionen verkaufte Tickets beim VRR

Seit dem Verkaufsstart am 23. Mai wurden beim Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) bereits mehr als 900.000 Neun-Euro-Tickets verkauft.

Besonders am Pfingstwochenende kam es zu einem regelrechten Fahrgast-Ansturm, auch am Fronleichnams-Wochenende rechnet der VRR mit einer hohen Auslastung und beobachtet die Lage.

Besonders betroffen sind die Regionalzüge im Ruhrgebiet, im S-Bahn-Verkehr kam es bisher zu weniger Verzögerungen.


Züge gleichen einer vollgestopften Massensauna

Mit vier Minuten Verspätung geht die Fahrt los, an der nächsten Station, dem Duisburger Hauptbahnhof, stehen die ersten Menschen auf dem Gang. Ich unterhalte mich mit meinem 22-jährigen Sitznachbarn Dominik Bucher, der die Strecke zwischen Duisburg und Köln seit Jahren pendelt. Seit der Einführung des Neun-Euro-Tickets ist jede Bahnfahrt für ihn eine Tortur: „Die Menschenmassen sind unglaublich, so etwas habe ich noch nicht erlebt. Die Strecke ist schon immer gut befahren, aber im Moment herrscht absoluter Ausnahmezustand. Da kommen bei fast jeder Fahrt Menschen nicht mehr in die Züge rein, weil jede Bahn vollgestopft ist bis oben hin.“

Am Düsseldorfer Hauptbahnhof warten Massen an Reisenden darauf, in den Zug einsteigen zu können.
Am Düsseldorfer Hauptbahnhof warten Massen an Reisenden darauf, in den Zug einsteigen zu können. © Andrea Zaschka

Das erlebe ich am Düsseldorfer Hauptbahnhof dann selbst: Die Türen schließen nicht mehr, da zu viele Menschen am Bahngleis stehen und sich in die letzte Ecke des Zuges quetschen möchten. Eine Frau ruft Richtung Gang: „Können alle bitte durchrücken, hier wollen noch Leute rein!“ und erhält die genervte Antwort: „Geht nicht, dann können wir uns nicht mehr festhalten!“ Die Leute im Zug genießen die saunaartige Luft mit hochrotem Kopf, diejenigen, die noch draußen stehen, wollen ebenfalls Teil der Massensauna werden.

Verspätung vorprogrammiert, aber „man weiß ja, worauf man sich einlässt“

Per Durchsage wird darauf hingewiesen, dass die Treppe zum oberen Stockwerk der Regionalbahn freigehalten werden müsse, „es ist nämlich kein Spaß, bei 160 Stundenkilometern eine Vollbremsung zu erleben und die Treppen runterzustürzen“. Bisher schleichen wir zwar eher mit 16 km/h Richtung Koblenz, die Treppen werden trotzdem freigeräumt. Das sorgt für eine Verspätung von rund zwanzig Minuten.

Neben mir unterhält sich ein Pärchen darüber, dass sie mit dem Neun-Euro-Ticket nach Frankfurt fahren wollen, das Ticket wird also durchaus für längere Strecken genutzt. Obwohl sie bereits seit einer knappen Stunde stehen, lautet ihr Fazit: „Wir lieben das Neun-Euro-Ticket, auch wenn wir fix und fertig ankommen werden. Aber man weiß ja, worauf man sich einlässt.“

Mit rund 25 Minuten Verspätung kommt die Bahn in Koblenz an, der Anschlusszug nach Mainz ist laut App schon abgefahren und ich müsste 40 Minuten auf die nächste Bahn warten. Doch am Gleis sehe ich die Bahn nach Mainz immer noch stehen, auch sie hat 15 Minuten Verspätung und ich erwische den Anschlusszug damit doch noch – auf die Verspätung der Deutschen Bahn ist eben Verlass. Dieses Mal bekomme ich keinen Sitzplatz, das bedeutet für die letzten eineinhalb Stunden: stehen. Die malerisch schöne Landschaft zwischen Burgen und Weinbergen, durch die der Zug gerade am Rhein entlangfährt, kann ich dadurch leider immer nur aus dem Augenwinkel beobachten. Als wir an einer Tankstelle mit Preisen über zwei Euro pro Liter Benzin vorbeifahren, kommt mir die Saunaluft um mich herum gleich nur noch halb so stickig vor und ein Energieschub gibt mir Motivation für die letzte Stunde.

Die Zugstrecke zwischen Koblenz und Mainz verläuft direkt entlang des Rheins und bietet einen tollen Ausblick.
Die Zugstrecke zwischen Koblenz und Mainz verläuft direkt entlang des Rheins und bietet einen tollen Ausblick. © Andrea Zaschka

Ausreichend Umstiegszeit einplanen

Ich habe es geschafft: Mit vierzig Minuten Verspätung erreiche ich den Mainzer Hauptbahnhof. Ich bin wirklich erledigt von der Fahrt, aber gleichzeitig auch dankbar, dass ich meinen Geldbeutel schonen konnte. Zurück geht es am Sonntag in knapp vier Stunden mit einem zusätzlichen Umstieg in Bingen. Mein Fazit: Das Neun-Euro-Ticket wird von vielen Menschen genutzt, wie die überfüllten Züge zeigen. Daran merkt man allerdings auch, dass das Ticket eher für den Nahverkehr gedacht ist als für lange Reisen. Wer längere Strecken mit dem Ticket zurücklegen möchte, sollte sich vorher ausreichend informieren und lieber ein paar Minuten mehr Umstiegszeit einplanen. Wer kein Problem mit überfüllten Zügen und langen Stehzeiten hat, kann hier wirklich Geld sparen. Gerade für weniger agile Menschen ist die Reise mit dem Neun-Euro-Ticket allerdings keine gute Option.

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