Oberhausen. Berufspendler sparen durch das 9-Euro-Ticket in den nächsten Monaten viel Geld. Autofahrer überlegen, trotz Tankrabatts auf den ÖPNV umzusteigen.

Im Modellbau-Schaukasten im Hauptbahnhof Oberhausen hat sich schon lange nichts mehr getan. Schöne, heile Welt, aber mit der Zeit sind einige Figuren umgekippt. Eine ältere Dame liegt mit dem Gesicht auf der Rutsche, in einem Garten schlafen drei Bewohner mit Gießkanne und Schippe auf dem Rasen. Wer die Züge daran vorbeifahren sehen will, muss einen Euro reinwerfen. Der Preis ist gleich geblieben.

In der echten Bahnhofswelt, rundherum um den Schaukasten, tut sich in der Regel auch nicht viel. Busse und Bahnen kommen oder kommen nicht, Menschen warten oder fahren weiter. An diesem Mittwoch, an diesem 1. Juni 2022, erlebt die Wirklichkeit allerdings eine große Veränderung: Das 9-Euro-Ticket gilt ab sofort für die nächsten drei Monate.

In Oberhausen lässt sich die Veränderung schwer ablesen. Keine Jubelgesänge auf den Gängen und Gleisen, nirgendwo knallt ein Kronkorken. Das mag an der Uhrzeit liegen, es ist sieben Uhr morgens, oder an dem Ort, der selten ein Schauplatz großer Gefühlsregungen ist (außer bei Spielen von RWO). Allerdings ist jeder, mit dem diese Redaktion sprach, von der Neuerung betroffen. Einige haben sich das Ticket gekauft, um häufiger mit der Bahn zu verreisen. Andere müssen ohnehin mit der Bahn reisen, sparen nun aber viel Geld.

Mit dem 9-Euro-Ticket Geld sparen für die Hochzeit

So wie Christina Verle. Die Oberhausenerin pendelt täglich zu ihrem Arbeitgeber nach Düsseldorf. Das Auto sei keine Alternative, um zur Rushhour in die volle Landeshauptstadt zu gelangen. Deshalb hat sie ein Firmenticket mit Eigenanteil. Durch das 9-Euro-Ticket spart sie jeden Monat eine Stange Geld. „Ich heirate demnächst, da kann ich das Geld gut gebrauchen“, sagt sie, ehe sie in den Zug einsteigt.

Berufspendlerin Christina Verle spart in den kommenden Monaten viel Geld.
Berufspendlerin Christina Verle spart in den kommenden Monaten viel Geld. © FUNKE Foto Services | Ant Palmer

Berufspendler haben in der Regel schon ein Abomodell, sparen in den nächsten drei Monaten jedoch eine ganze Menge Geld, weil ihnen die Differenz gutgeschrieben wird. „Ich bezahle normalerweise 112 Euro“, sagt ein Mann am Fahrkartenschalter, der gerade zwei 9-Euro-Tickets für seine Frau und seinen Sohn gekauft hat. Mit dem gesparten Geld könnte die Familie einen kleinen Urlaub machen, überlegt er.

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Mit dem Neun-Euro-Ticket ab Oberhausen in den Urlaub reisen

Andere nutzen die Einführung des 9-Euro-Tickets, um direkt in den Urlaub zu fahren. Viel wurde geschrieben über die Sylter, die sich ob des Ansturms junger, ungehemmter 9-Euro-Touris Sorgen um ihr Urlaubsparadies machen. Jeremy Kendzior und Sarina Glinka erkunden erst einmal die nahe Umgebung: „Wir wollen ins Phantasialand.“ Sie wären ohnehin gefahren, mit einer Erweiterung für das Schokoticket – nun geht es deutlich günstiger nach Köln. „Wir haben uns vorgenommen, jetzt mehr zu fahren. Etwa nach Trier, das ist noch ein Geburtstagsgeschenk vom letzten Jahr“, sagt Sarina Glinka. Fünf Stunden Bahnfahren – für die jungen Menschen kein Problem.

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Sarina Glinka (links) und Jeremy Kendzior reisen mit dem 9-Euro-Ticket zum Phantasialand in Brühl.
Sarina Glinka (links) und Jeremy Kendzior reisen mit dem 9-Euro-Ticket zum Phantasialand in Brühl. © FUNKE Foto Services | Ant Palmer

„Öffentlicher Nahverkehr krankt an der Zuverlässigkeit“

Dicke Luft herrscht hingegen in der Raucherzone. Ein Mann aus Oberhausen kann sich nicht recht freuen über das 9-Euro-Ticket. Zum einen würde er sowieso fahren. Zum anderen sei der Preis ja nicht das Problem. „Der öffentliche Nahverkehr krankt eher an der Zuverlässigkeit als am Preis“, sagt der Mann und drückt seine Zigarette aus. Immerhin - heute kommt der Zug pünktlich.

Die Unzuverlässigkeit macht auch Safari Azadeh den Umstieg schwer. Die Studentin benötigt mit dem Auto nur eine Viertelstunde bis zur Hochschule. Pech allerdings, dass es jetzt in der Werkstatt ist. „Mit der Bahn brauche ich eine halbe Stunde“, sagt sie. Am Mittwoch kaufte sich die Oberhausenerin ein 9-Euro-Ticket. Aus Not.

An der Tankstelle purzeln die Preise - Autofahrer überlegen umzusteigen

Am Mittwoch fiel der Preis durch den Tankrabatt deutlich.
Am Mittwoch fiel der Preis durch den Tankrabatt deutlich. © FUNKE Foto Services | Ant Palmer

Das Auto als flexibles Fortbewegungsmittel wurde in den vergangenen Wochen jedoch immer unattraktiver. Aufgrund des russischen Kriegs gegen die Ukraine schnellte der Benzinpreis in die Höhe. Am Mittwoch purzelten jedoch die Preise: Der Tankrabatt wurde eingeführt. An der Jet-Tankstelle in Bahnhofsnähe kostete der Liter Diesel um halb neun 1,80 Euro, Super kostete 1,83 Euro. Echte Konkurrenz für das 9-Euro-Ticket also immer noch nicht. „Das ist schön, aber immer noch teuer“, sagt eine junge Autofahrerin. „Ich überlege, ob ich auch auf die Bahn umsteigen soll.“

Deutlicher Sprung

Die Stoag hat vor dem Start des 9-Euro-Tickets einen deutlichen Sprung in den Verkaufszahlen gespürt. Insgesamt 18950 Tickets gingen über den Verkaufstisch für Straßenbahn- und Busfahrten. Der Verkaufsstart war am am 23. Juni.Ein großer Teil der Tickets wurde in den Kundencentern erworben. Nur 5 Prozent kauften die Kunden direkt im Bus. Der Morgen am 1. Juni verlief ohne besondere Vorkommnisse: „Es war ein ganz normaler Mittwoch“, so Unternehmenssprecherin Sabine Müller.

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Lange Schlangen bildeten sich am Dienstag vor der Jet-Tankstelle nicht. Davor hatten die Verkehrsclubs gewarnt. Beim Warten machte sich aber so mancher Gedanken über den Sinn des Autofahrens. „Ich könnte auf das Auto verzichten“, sagte ein Oberhausener an der Zapfsäule. Seine Söhne hätten sich auch schon das 9-Euro-Ticket gekauft. „Mal sehen.“