Oberhausen. Mit der Flaßhofstraße hat Oberhausen eine Rotlicht-Meile mitten in der City. Die Stadt beteuert, sich intensiv um die Prostituierten zu kümmern.
Petra Jochheim, Streetworkerin im Rotlichtmilieu für den Frauenhilfsverein Solwodi, hat ihre Arbeit nach sechseinhalb Jahren mit einem Paukenschlag niedergelegt (wir berichteten). Sie macht der Stadt Oberhausen und auch der Polizei schwere Vorwürfe: Es würde nicht genug getan, um die Not der Frauen in Zwangsprostitution zu lindern. Hinzuschauen und das Treiben dort als Menschenhandel zu benennen, dies sei niemals von öffentlichen Stellen geschehen.
Nun widersprechen die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt und die Vereinsspitze von Solwodi Deutschland diesen Darstellungen. In Oberhausen sei der Einsatz für die Prostituierten in der Flaßhofstraße im Vergleich zu vielen anderen Städten sogar vorbildlich. Die Stadt Oberhausen und Solwodi würden ungetrübt zusammenarbeiten. Auch Polizei und der Verband der Bordell-Betreiber äußerten sich zu den Vorwürfen.
„Frau Jochheim hat jahrelang hervorragende Arbeit geleistet“, lobt Gleichstellungsbeauftragte Britta Costecki. „Sie war total engagiert und hat sich große Verdienste für viele Frauen erworben.“ Ihre Kündigung sei überraschend bei der Stadt eingegangen, welche für die Finanzierung von zwei halben Solwodi-Personalstellen aufkommt.
„Das ist eine hervorragende Förderung“, betont Maria Decker, Vorsitzende von Solwodi Deutschland. Nicht nur die finanzielle, auch die ideelle Unterstützung sei in Oberhausen beispielhaft. Die Kritik von Petra Jochheim, die sich „mit Herzblut“ für die Frauen eingesetzt habe, richte sich gegen das falsche Objekt: „Aufgrund der Gesetzeslage und der Verhältnisse in der Prostitution erleben wir leider oft, dass dieser Kampf aussichtslos erscheint und wie gegen Windmühlen geführt.“ Es sei nachvollziehbar, sich mehr Unterstützung zu erhoffen, allerdings auch Fakt, „dass ein solcher Beistand und die Änderung der Gesetzeslage nicht im Einflussbereich der Stadt liegen“.
Costecki: „Prostitution ist keine normale Dienstleistung“
„Wir haben immer die Belange der Frauen in den Blick genommen“, versichert Britta Costecki für die Arbeit der Stadt – während es sonst beim Thema Prostitution oft nur um Kriminalität gehe. „Wovon wir wegwollen, ist die Normalität von Prostitution. Das ist keine normale Dienstleistung.“
Maria Decker pflichtet ihr bei. In den meisten Fällen handle es sich um Armut und andere Zwangsstrukturen, welche die zumeist nichts-ahnenden jungen Frauen in die Bordelle führe. „Es ist uns wichtig, dass es hier nicht um die selbstbestimmte Studentin geht, die sich etwas dazuverdient.“ Weshalb bei Solwodi auch der Ausstieg aus dem Milieu eine Rolle spiele. „Aber das ist schwierig“, sagt Decker, „auch weil die Frauen psychisch stark belastet sind und sich vielleicht seit Jahren mit Drogen und Alkohol betäuben, um das auszuhalten.“
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Auch der Polizei hat Petra Jochheim häufig mangelnden Einsatz vorgeworfen. Die bestreitet das und gibt an, dass zuletzt noch im April 2022 sämtliche Häuser der Flaßhofstraße überprüft worden seien. Anzeichen auf Menschenhandel oder Zwangsprostitution hätten sich dabei nicht ergeben, sagte eine Polizei-Sprecherin. Jedoch hätten Hinweise auf Wohnungsprostitution in den letzten zwei Jahren deutlich zugenommen.
Teamarbeit am „Runden Tisch“
Seit 2009 ist Solwodi (Solidarity with Women in Distress, Solidarität mit Frauen in Not) in Oberhausen aktiv, zunächst durch eine Förderung von „Aktion Mensch“, die bis 2011 anhielt. Danach sicherten Spenden des Zonta-Clubs die Hilfsangebote für die Frauen in der „Roten Meile“.2015 wurde entschieden, dieses Streetworking (aufsuchende Sozialarbeit) von städtischer Seite zu finanzieren. Daneben existiert seit Jahren der „Runde Tisch Prostitution“, an dem neben Ordnungsamt und Polizei auch Solwodi und soziale Akteure wie Pro Familia und Aidshilfe vertreten sind.
Darauf verweist auch der Unternehmerverband Erotikgewerbe Deutschland (UEGD), in welchem laut eigener Aussage alle Bordelle der Flaßhofstraße organisiert sind. „Den Vorwürfen von Menschhandel, Zwangsprostitution und Ausbeutung widersprechen wir mit aller Deutlichkeit. Dafür gibt es weder tatsächliche Anhaltspunkte noch konkrete Verdachtsmomente“, schreibt ein Sprecher des Verbandes. In den hiesigen Häusern werde den „Sexarbeitern“ eine Einrichtung zur Verfügung gestellt, „die allen gesetzlichen Anforderungen nach Sicherheit und Gesundheitsschutz gerecht wird“. Vielmehr sollte man das Augenmerk auf die illegale Prostitution richten: „Wegen Corona hat sich ein illegaler Markt etabliert, der bis heute fortbesteht.“
„Nordisches Modell“: Das Verbot, Sex zu kaufen
Ob im Bordell, in einer Wohnung oder im Hotel: Britta Costecki und Solwodi befürworten ausdrücklich das Nordische Modell. Dies würde ein Sexkaufverbot bedeuten – womit nicht die Anbieterinnen von Sexleistungen, sondern ihre Kunden kriminalisiert würden. Erstmals eingeführt wurde die politisch in Deutschland umstrittene Regelung 1999 in Schweden und auch Ex-Solwodi-Frau Petra Jochheim hat es stets leidenschaftlich verteidigt. Doch dies seien politische Forderungen, die sich allein in Oberhausen nicht umsetzen ließen, sagt Britta Costecki. Hier vor Ort müsse konkreter gearbeitet werden: ein öffentliches Bewusstsein für das Leid der Prostituierten schaffen, mit der Polizei kooperieren und mit Solwodi arbeiten für die vertrauliche persönliche Ansprache.
Die emotional belastende, aufreibende Arbeit, die Petra Jochheim seit längerem alleine gestemmt hatte, soll in Zukunft wieder auf mehrere Schultern verteilt werden. Die beiden halben Stellen für das Streetworking in Oberhausen sind bereits ausgeschrieben. Bis sie neu besetzt sind, springt das Solwodi-Büro in Duisburg ein.