Oberhausen. Die von 32 Künstlern gestellten Fragen an die Zukunft präsentieren 16 Industriemuseen in NRW im März als paritätisch austarierte Wochen-Schauen.

„Zukunft“, definierte der alte Zyniker Ambrose Bierce in seinem „Wörterbuch des Teufels“ als „jene Zeit, in der unsere Geschäfte gut gehen, unsere Freunde treu sind und unser Glück gesichert ist“. Es hat seine Risiken, ein breit aufgestelltes Medienkunstfestival zukunftsfroh „Futur 21“ zu taufen. Schließlich sind weder die womöglich ausklingende Pandemie noch der Abgrund eines Weltkrieges die „futuristischen“ Themen für den neuen Verbund aus 16 Industriemuseen vom Peter-Behrens-Bau in Oberhausen bis zur Glashütte Gernheim in Petershagen.

Zwischen diesen beiden Schauplätzen liegen 200 Kilometer auf der A 2. Wer bis zum 2. April die Zukunft erleben will, wie die Industriemuseen der beiden Landschaftsverbände LVR und LWL sie präsentieren, hat einige Tagesausflüge vor sich. Zudem ist das aufwendige Programm nicht etwa nachbarschaftlich verlinkt, sondern wochenweise aufgespalten in die Themen Arbeit (bis 12. März), Energie (bis 19. März), Ressourcen (bis 26. März) und Fortschritt (bis 2. April). Die „Fragen an die Zukunft“, so das allumfassende Ausstellungsmotto, stellen und beantworten eben zwei Großbehörden, deren 16 Museen sich erstmals für ein ambitioniertes Projekt vernetzt haben.

Abends am schönsten: In der Nachmittagssonne verblasst die Projektion von Justine Emards Film „Soul Shift“ auf der rauen Wand der Altenberger Museums-Baustelle.
Abends am schönsten: In der Nachmittagssonne verblasst die Projektion von Justine Emards Film „Soul Shift“ auf der rauen Wand der Altenberger Museums-Baustelle. © FFS | Kai Kitschenberg

Das fordert genau eingehaltene Parität: Jeder Schauplatz darf zwei Werke aktueller Medienkunst zeigen – und eines davon für seine Dauerausstellung behalten. In Oberhausens Zinkfabrik Altenberg, dem seit 1855 produzierenden Walzwerk des belgischen Konzerns „Vieille Montagne“, arbeitet demnach auch künftig die „Sculpture Factory“ des Italieners Davide Quayola in ihrem haushohen Glaskasten. Noch aber ist die langgestreckte Fabrikhalle unter dem hohen Sheddach eine leergeräumte Baustelle, die sich mit Millionen-Mitteln aus dem „Brückenschlag“-Programm für Alt-Oberhausen in ein zukunftsfähiges Industriemuseum (mit entsprechend heftigem Medieneinsatz) verwandeln will.

Futuristisch wohl nur für ein Industriemuseum

Entsprechend verloren wirkt in dieser Weite der an einem hoch aufragenden weißen Quader arbeitende Roboterarm: Als KI-Nachfolger von Michelangelo programmierte Quayola seinen automatisierten Bildhauer, endlose Variationen antikisch anmutender Skulpturen zu fertigen. Das allerdings ist doch wohl industrieller Stand der Technik – und wohl nur für ein Industriemuseum futuristisch.

Über hundert Attraktionen im Begleitprogramm

Weil digitale Kunst am wirkungsvollsten aus dem Dunkel leuchtet, öffnen die Industriemuseen während ihrer jeweiligen „Futur 21“-Themenwoche abends bis 22 Uhr. Der Eintritt ist frei.Jedes der 16 Museen hat ein eigenes Begleitprogramm aufgelegt – vom sonntäglichen Familienfest in der Textilfabrik Bocholt bis zu Sören Siebels Tanzperformance am Samstag, 12. März, vor dem Peter-Behrens-Bau. Eine Übersicht der pro Woche rund 30 Termine bietet online futur21.de/termine

Die Französin Justine Emard dagegen gibt den beiden Robotern in „Soul Shift“ einen geradezu romantischen Touch: Ihr Film folgt den mit einer rudimentären künstlichen Intelligenz ausgestatteten Androiden, die sich über Sensoren und Gesten ihrer Umgebung bewusst werden – und voneinander lernen. Wer die Walzhalle erst abends betritt, ist hier im Vorteil, denn erst dann wird auch die Projektion auf die raue Fabrikmauer nicht nur blässlich, sondern kontrastreich sichtbar sein.

Diese Zukunftsshow ist leider schon Vergangenheit: Mit „Waterlicht“ des niederländischen Künstlers Daan Roosegaarde am Peter-Behrens-Bau hatte sich „Futur 21“ im November angekündigt.
Diese Zukunftsshow ist leider schon Vergangenheit: Mit „Waterlicht“ des niederländischen Künstlers Daan Roosegaarde am Peter-Behrens-Bau hatte sich „Futur 21“ im November angekündigt. © FUNKE Fotos Services | Fabian Strauch

Vor dem Peter-Behrens-Bau schließlich arbeitet Mischa Kuball mit den im weiten Hof der einstigen Lagerhalle gestrandeten Maschinenteilen, die dort wie sauriergroße Fossilien ans Zeitalter der Schwerindustrie erinnern. Der Düsseldorfer Konzeptkünstler überspannt drei der rostigen Artefakte mit den Lichtgittern seines „Future Grid“. Ein Audiowalk soll zu den Schauwerten weitere Assoziationen und Informationen liefern. Auch diese Arbeit darf auf Dauer in Oberhausen bleiben – und für das womöglich noch immer unbekannteste Industriemuseum (zugleich das überreich bestückte LVR-Museumsdepot) Lichtsignale setzen.

Geschichtsbewusster Blick nach vorne

Einen Ausblick lieferten die Ausstellungs-Futuristen noch auf eine Attraktion der zweiten Themenwoche „Energie“: In der Henrichshütte Hattingen (vom hohen Alter her das westfälische Pendant zur Zinkfabrik) rekreiert der türkisch-amerikanische Multimedia-Artist Refik Anadol mit „Industrial Dreams“ jenen Hochofen 2, den die Hattinger einst nach China verschifften. Aus dem 60 Meter hohen Stahlgiganten wird eine nicht minder imposante Datenskulptur, basierend auf 370.000 Fotografien aus der Stahlproduktion.

Denn dies ist der Anspruch von Clemens Walter, dem smarten künstlerischen Leiter von „Futur 21“: die 16 Schauplätze aus Backstein und Alteisen „nicht als Eventkulisse zu nehmen“, sondern die ausgewählten 32 Künstlerinnen und Künstler mit ihren Arbeiten auf deren Historie aufbauen zu lassen. Der überwiegend positiv gestimmte Blick nach vorne zeigt sich durchaus geschichtsbewusst.