Oberhausen/Kiew. Einen Freundeskreis trennen Hunderte Kilometer, aber während des Krieges rücken sie zusammen und helfen sich. Einblicke in die Lage vor Ort.

Als Mirjam Brzeska vom Angriff auf die Ukraine hörte, musste sie sofort an ihre Freunde denken. In ihrer Studienzeit hatte sie Aleksi und Inna Pavlusenko durch einen Austausch kennengelernt – rund vier Jahre später sind sie noch immer in Kontakt. Und das, obwohl Hunderte Kilometer zwischen ihnen liegen: Brzeska arbeitet in Oberhausen als Pastoralassistentin, die Pavlusenkos leben normalerweise in der ukrainischen Hauptstadt Kiew.

Aber auch dort herrscht seit dem vergangenen Donnerstag ein rücksichtsloser Krieg – vorangetrieben vom russischen Präsidenten Wladimir Putin. Zahlreiche Ziele hat seine Armee in den vergangenen Tagen attackiert, auch Kiew steht unter Beschuss. Mit ihren Freunden steht Mirjam Brzeska daher im ständigen Austausch, sie schreiben miteinander und verabreden sich zu Video-Calls, um über die aktuelle Lage zu sprechen. „Ich spüre die Angst und Verzweiflung“, berichtet die 26-Jährige. Ihre Freunde seien komplett aus ihrem Alltagsleben gerissen worden.

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Wegen Explosionen: „In den ersten Tagen konnten wir nicht schlafen“

Aufgrund der Angriffe hat das Paar die Hauptstadt verlassen, nun wohnen sie in einem Dorf nahe Kiew. Von dort meldet sich Aleksi Pavlusenko am Mittwochabend, er ist 29 Jahre alt und arbeitet eigentlich als Künstler. „Ich denke, wir sind im Moment an einem sicheren Ort, aber alles kann sich schnell ändern“, sagt er. In rund einer Woche sei bereits so viel passiert, es falle ihm schwer, sich an alle Einzelheiten zu erinnern. „In den ersten Tagen konnten wir nicht schlafen, weil wir durch die Explosionen sehr verängstigt waren.“ In dem Dorf lebt er jetzt zusammen mit seiner Frau, Mutter, Großmutter und zwei Katzen.

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Dort seien sie zwar weit entfernt von den Hauptstraßen, aber die Geräusche von Explosionen und Flugzeugen könnten sie auch hier hören. Dem Ort fehle es zudem an Schutzräumen oder Bunkern. „Wenn der Krieg hierher kommt, ist dies kein sicherer Platz, um sich zu verstecken.“ Der 29-Jährige spricht von einer „surrealen“ Situation: Internet, heißes Wasser, Strom – das alles sei vorhanden, aber in ihrer Nähe kommt es weiterhin zu Angriffen. Es bleibt die Anspannung. Kürzlich sei Pavlusenko aufgewacht, weil seine Mutter eine Schranktür öffnete – er dachte an eine Explosion.

Russische Streitkräfte haben auch Kiew unter Beschuss genommen – hier wurde eine Brücke am Stadtrand von Artillerie zerstört.
Russische Streitkräfte haben auch Kiew unter Beschuss genommen – hier wurde eine Brücke am Stadtrand von Artillerie zerstört. © picture alliance/dpa/AP | Emilio Morenatti

„Am meisten fürchte ich mich davor, von meiner Familie getrennt zu werden“, sagt er. Trotzdem sei die Energie unter den Menschen positiv. Er sehe keine Demoralisierung oder Erschöpfung – alle würden an einen Sieg glauben. „Wir haben keine Wahl, nicht zu kämpfen. Wir können uns nicht vorstellen, unter Russland zu leben.“

Dabei gibt es mehrere Dinge, die ihm Hoffnung machen: Dass mehr Russen in ihrem Heimatland auf die Straße gehen, um gegen den Krieg zu protestieren. Dass die Demoralisierung der russischen Armee überwiegt, Ressourcen wie Benzin und Lebensmittel ausgehen. Und er hoffe auf die Hilfe der Europäer sowie Amerikaner. „Zuerst waren wir sehr enttäuscht von Europa, weil wir dachten, wir hätten nicht genug Unterstützung. Aber jetzt hat sich die Situation geändert und wir sind sehr dankbar dafür.“ Ob die jetzige Hilfe allerdings ausreiche, das wisse er nicht.

Brzeska hofft, dass der Krieg nicht in den Hintergrund rückt

Bei den Kämpfen gehe es nicht nur um die Ukraine, sagt Pavlusenko, sondern auch um Werte. „Wir lieben die Freiheit und verteidigen sie. Wir wollen frei sprechen und als Menschen frei leben.“ Zeichen der Unterstützung wie die weltweiten Demonstrationen, die unter anderem in Oberhausen stattfanden, würden viel bedeuten. Beistand kommt ebenso von Mirjam Brzeska, die für ihre Freunde da ist. „Mit ihren Anrufen hat sie uns gezeigt, dass sie sich um uns kümmert und das spüren wir“, sagt Pavlusenko. Auch die psychologische Unterstützung, einfach nur zu reden, sei sehr wichtig.

Video-Format widmet sich der Lage in Saporishja

Aktuelles Thema im Video-Format „Wissen to go SPEZIAL“ ist der Krieg in der Ukraine und die aktuelle Lage in Oberhausens Partnerstadt Saporishja. Im Interview berichtet Desbina Kallinikidou, Ansprechpartnerin für die internationalen Beziehungen der Stadt, über die Situation vor Ort. Auch stellt sich die Frage, wie kann Oberhausen in der Situation helfen? Abrufbar ist das Video ab Freitag (4. März) um 10 Uhr auf dem YouTube-Kanal „Arbeit und Leben Regionalbüro Oberhausen“.

In der St. Clemens Kirche soll auch in den kommenden drei Wochen täglich ein Friedensgebet ab 18 Uhr stattfinden. Die Kirche befindet sich am Großen Markt in Oberhausener Stadtteil Sterkrade.

Brzeska betont selbst, dass die Menschen in der Ukraine sehen und spüren sollen: Sie werden in ihrer Angst und ihrer Verzweiflung nicht alleingelassen. Sie sorgt sich jedoch, dass diese Katastrophe zu schnell von anderen Themen überschattet wird. „Es darf nicht sein, dass in wenigen Wochen das Thema in den Hintergrund rückt“, sagt Brzeska. Wenn sie aber sehe, was gerade an Hilfe geleistet wird, sei sie vor allem dankbar.