Oberhausen. Roland Schulz präsentiert sein Sachbuch „So sterben wir“ im Gdanska-Theater: Die bestens besuchte Premiere des Literaturhauses im neuen Domizil.
Literaturfreunde scheinen im Gegensatz zu Musikfans furchtlose Menschen zu sein und mit gesunder Neugier gesegnet. War doch die Lesung des Münchener Journalisten Roland Schulz als Premiere des Literaturhauses Oberhausen im neuen Domizil Gdanska-Theater derart gut besucht, dass eigens weitere Sitzgelegenheiten herangeschafft werden mussten. Davon kann das Jazzkarussell derzeit wohl nur träumen.
Dabei gab es weder komische Jugenderinnerungen oder muntere Betroffenheitslyrik zu erleben, sondern ein Thema, dem sich im Wortsinn niemand, aber auch wirklich niemand entziehen kann. „So sterben wir“ (Piper Verlag, 20 Euro) von Roland Schulz ist nämlich eine, nun ja, angenehm unemotionale Darstellung über „Unser Ende und was wir darüber wissen sollten“, so der Untertitel seines ausgezeichnetes Sachbuchs.
Seinen Anfang nahm das Werk, als der Reporter des SZ-Magazins vor einigen Jahren Vater wurde und feststellte, dass es ganz viele Erklärbücher gibt, die den Anfang des Lebens beschreiben: „Ich dachte, dass es so etwas auch über das andere Ende des Lebens gibt und habe dann festgestellt: Nee, das gibt es nicht.“ Also machte er sich auf die Suche nach einer Erklärung, was eigentlich Sterben ist. Und sprach darüber mit Ärzten, Pflegekräften, Bestattern und auch mit dem in Deutschland unvermeidlichen Amtsschimmel, ohne den man zwar vielleicht gestorben, aber deswegen noch lange nicht tot ist.
Sein „Du“ macht das Unausweichliche deutlich
Ein feiner Kunstgriff, dass der erfreulich geschmeidig lesende und auch im Dialog mit Moderator Rainer Piecha druckreif parlierende Autor sein Publikum als „Otto Normalsterblicher“ direkt anspricht. Weil sein „Du“ das Unausweichliche unmissverständlich begreifbar macht. Akribisch bis in kleinste Details recherchiert und nüchtern dargestellt – sachlich, unpathetisch, hochpräzise.
Zur nächsten Lesung geht’s in den größten Gdanska-Saal
Für die nächste Lesung mit Eva Menasse am Freitag, 28. Januar, um 19 Uhr gibt’s nur noch wenige Karten – obwohl der Schauplatz bereits vom kleineren Gdanska-Theater in den größeren Saal der Kulturkneipe am Altmarkt verlegt ist.In ihrem neuen Roman „Dunkelblum“ entwirft die Wahl-Berlinerin aus Wien ein großes Geschichtspanorama am Beispiel einer kleinen Stadt und erzählt vom Umgang ihrer Bürger mit einer historischen Schuld.Wieder im Gdanska-Theater liest am Freitag, 11. Februar, um 19 Uhr die Lyrikerin Lütfiye Güzel aus ihrem neuen Band „nahezu nichts gelingt“, wie ihr gesamtes Oeuvre selbstverlegt bei „Go-Güzel-Publishing“. Online informiert literaturhaus-oberhausen.de.
Wie passiert denn Sterben, fragen Sie sich nun vielleicht. „Tage vor deinem Tod, wenn noch niemand deine Sterbestunde kennt, hört dein Herz auf, Blut bis in die Fingerspitzen zu pumpen. Wird anderswo gebraucht. In deinem Kopf. Im Kern deines Körpers, wo deine Lunge liegt, dein Herz, deine Leber. Auch aus den Zehenspitzen zieht sich das Blut zurück. Deine Füße werden kalt. Dein Atem verflacht. Die Sinne schwinden. Dein Körper leitet den Abschied vom Leben ein.“
Übergehen wir die nächsten Schritte, die sein Buch ausführlich darstellt – vom rasselnden Atem (kein Grund zur Sorge, der Schluckreflex hat ausgesetzt) bis zum allerletzten Seufzer post mortem (nicht erschrecken, letzte Luft entweicht der Lunge) – und kommen zur gesetzlich vorgeschriebenen Leichenschau. Mit der dürfen Sie sich ruhig Zeit lassen, so Roland Schulz, weil untrügliche Todeszeichen wie Leichenflecke erst nach einigen Stunden auftreten. Oder wie ein Zyniker sagen würde: Es heißt nicht ohne Grund „jemanden kaltmachen“.
Der Tod wird vom Amtsschimmel „verfügt“
Wer kremiert wird, kommt übrigens (das wusste kaum jemand im Gdanska-Theater) gleich zweimal in den Genuss ärztlicher Begutachtung, um jedwede Möglichkeit eines unnatürlichen Ablebens auszuschließen. Vernichtet das Feuer doch alle Beweise unwiederbringlich.
Aber glauben Sie bloß nicht, dass Sie dann endgültig tot sind. In Berlin mit seiner notorischen Bürokratie dauere das Ableben schon mal mehrere Wochen, da sei der Verstorbene schon längst unter der Erde. Denn in Deutschland werde der Tod amtlich „verfügt“, erklärte Roland Schulz in amüsant präziser Schilderung den für jeden finalen Verwaltungsakt.
Um gleich darauf zu raten, man möge sich seinen Bestatter schon zu Lebzeiten selbst aussuchen. Nun, in einer unserer Nachbarstädte gibt’s „Geile Beerdigungen“, da braucht’s keine weitere Werbung. Ein gutes Kriterium sei, ob das Unternehmen einer häuslichen Aufbahrung offen gegenüber stehe, die den Angehörigen das Abschiednehmen erleichtere, aber mehr Arbeit mache.
Ein bewundernswert empathischer Münchener
Die kompakte Dosis Tod nehmen seine Zuhörer aufmerksam zur Kenntnis, die nach einer hochinformativen Lesung noch länger mit dem nun, man muss es bewundern, empathischen Münchener über eigene Erlebnisse und Erfahrungen diskutierten. Klare Erkenntnis: „So sterben wir“ sollte jeder lesen, der nicht einfach nur abnippeln will. Ihnen wünsche ich mit einem Spruch, der mich als Kranzschleifen-Auftrag schon ein Leben begleitet: „Ruhe sanft auf beiden Seiten und wenn’s Platz hat, noch Auf Wiedersehen!“