Oberhausen. Ein junger Oberhausener ist mit 15 Jahren bei seinen Eltern ausgezogen und kam in einer Wohngruppe unter. Warum diese ihm Zeit viel gebracht hat.
Wer nicht bei seinen Eltern aufwächst, dem begegnen andere oft mit Vorurteilen. „Heimkind“, „asozial“, „Problememacher“ sind nur ein paar Schubladen, in die Menschen Tim (Name von der Redaktion geändert) einsortiert haben. Tim ist 19 Jahre alt und hat vom 15. bis zum 18. Lebensjahr in einer Wohngruppe in Oberhausen gelebt. Mittlerweile ist er ausgezogen und hat eine eigene Wohnung. Seine ehemaligen Mitbewohner und Erzieher besucht er aber noch heute.
Dass er drei Jahre lang in einer Wohngruppe gelebt hat und auch schon vorher Kontakt mit der Jugendhilfe hatte, das erzählt Tim heute ganz offen. Früher aber „war mir das unangenehm“, sagt der heute 19-Jährige. „Weil ich wusste, wie die anderen über mich sprechen.“ Es gab Momente, in denen er das Gefühl hatte, nicht als „ganz normaler Jugendlicher“ anerkannt zu werden.
Probleme mit dem Vater und häusliche Gewalt
Der 2. Dezember 2018 war der Tag, an dem Tim bei seinen Eltern auszog. „Ich hatte viele Probleme mit meinem Vater. Das Zusammenwohnen hat irgendwann nicht mehr geklappt“, erinnert er sich. Und nicht nur das: „Ich und mein Bruder hatten uns viel in den Haaren.“ Als ein Punkt erreicht war, an dem die beiden Brüder zu einer Last für ihre beiden jüngeren Schwestern wurden, ging es in eine Tagesgruppe. Die gab den Jungen Struktur und half beim Umgang mit Aggressionen.
Doch die Konflikte mit dem Vater blieben, „auch häusliche Gewalt“, sagt Tim. In ihm wuchs der Drang, sich zur Wehr zu setzen. „Dann war für mich klar, zum Jugendamt zu gehen. Bevor wir uns gegenseitig nur wehtun oder noch andere Sachen passieren.“ Tim und sein Bruder kamen in Wohngruppen des Gerhard-Tersteegen-Instituts in Oberhausen unter, eine langjährige und traditionsreiche Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung. Und dann war erstmal Funkstille.
Den Bruder sieht Tim heute dreimal im Jahr
Ein Jahr lang hatten Tim und seine Eltern kaum Kontakt. Seinen älteren Bruder sah er noch regelmäßig, doch das war ein Problem. „Der Abstand hat nicht gereicht“, sagt Tim rückblickend. Erst als der Bruder in eine andere Stadt zog, entspannte sich das Verhältnis zwischen den beiden Geschwistern. Heute treffen sie sich etwa dreimal im Jahr. „Dann freuen wir uns, uns zu sehen und beieinander zu sein. Das habe ich mit allen Familienangehörigen jetzt.“ Auch zu den Eltern hat Tim heute regelmäßigen und guten Kontakt.
„Es war die beste Entscheidung – auch wenn ich meine Familie natürlich liebe –, dass ich da ausgezogen bin.“ Auch seine Eltern sehen das so, sagt der Oberhausener. Die Wohngruppe habe ihm in vielerlei Hinsicht geholfen. Während Tim anfangs noch auf jeden Streit einging, lernte er mit der Zeit, mit seinen Emotionen besser umzugehen, sich in andere hineinzuversetzen, das eigene Fehlverhalten schneller einzusehen – und an sich zu arbeiten. „Am Anfang wollte ich nicht hier sein und dachte, alle wollen nur was Schlechtes. Jetzt würde ich schon sagen, dass mir das hier viel gebracht hat.“
Drei Jahre später lebt Tim in seiner eigenen Wohnung und macht eine Ausbildung zum Maler und Lackierer. Zwei Ausbildungen hat der 19-Jährige abgebrochen, aber dieses Mal ist er sich sicher: Es passt. „Das ist ein Betrieb, wo ich weiß, da fühle ich mich wohl und ich gehe nicht mit Bauchschmerzen dahin jeden Tag.“ Wenn mal ein Fehler passiert, dann „gibt es da auch Meckerei“, aber der Chef stehe hinter seinem Team und sei für seine Auszubildenden da.
Die Wohngruppe fängt Tim auf
Bei jedem Schritt habe die Wohngruppe ihn unterstützt, sagt Tim. „Wir haben die Bewerbungen zusammen geschrieben, wir sind zu den Bewerbungsterminen zusammen gegangen.“ Seine Mitbewohner und die Erzieherinnen und Erzieher sind für ihn da, fangen ihn auf, als er Rückschläge erlebt, seine Ausbildung abbricht, und motivieren ihn, sich wieder aufzurappeln.
Wenn er heute nach der Arbeit seine eigene Wohnung betritt, dann ist er manchmal froh, dass er seine Ruhe hat. Es gibt aber auch Momente, da vermisst er die Gesellschaft und den „Zusammenhalt bei den Jugendlichen“ in seiner ehemaligen Wohngruppe. Zum Glück stehen ihm dort noch immer alle Türen offen. Und die Jungs, die für Tim wie eine Familie geworden sind, empfangen ihn wie einen großen Bruder.