Oberhausen. Wer Demokratie bewahren will, muss sich für sie einsetzen: Diese Widerstandskämpfer formten Oberhausen zu dem, was unsere Stadt heute ausmacht.
Der Fackelmarsch von Gegnern der Corona-Politik vor dem Wohnhaus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) erinnerte an einstige Aufmärsche der Nationalsozialisten. Längst warnen Politiker aller Fraktionen vor einer Instrumentalisierung der Querdenker-Szene durch rechtsradikale Gruppierungen. Gerade die Debatte um eine Impfpflicht zeigt: Wer die Demokratie bewahren will, muss sich für sie einsetzen. Auch Petra Köpping hat dies zu spüren bekommen. Sie reiht sich damit in eine alte Tradition ihrer Partei ein: Etliche SPD-Mitglieder waren im Widerstand gegen die Nationalsozialisten aktiv. Auch in Oberhausen. Anlässlich des Tages der Menschenrechte holen wir ihre Geschichten ans Licht.
Da wären zum Beispiel Else und Heinrich Jochem. Heinrich Jochem wirkte als überzeugter Sozialdemokrat bis in die jüngere Vergangenheit in der Oberhausener Politik mit. Zur Zeit des Nationalsozialismus aber beteiligte sich das Ehepaar am Widerstand gegen Hitler. Nachdem Heinrich Jochem von der damaligen Geheimen Staatspolizei (Gestapo) verhaftet worden war, hielt Else Jochem sich und ihre drei kleinen Kinder mit einem mobilen Seifenhandel über Wasser. „Doch in der Kiste hinter ihrem Fahrrad transportierte sie nicht nur Seife, sondern auch Flugblätter gegen die Nazidiktatur“, erzählt der Oberhausener Historiker Klaus Oberschewen.
Flugblätter in Zwiebacktüten versteckt
Ähnlich sei auch der Freund der Familie Hermann Runge aus Moers vorgegangen. Oberschewen berichtet: „Runge war während der Diktatur als Brotfahrer bei der Fabrik Germania in Duisburg-Hamborn angestellt – er und seine Mitstreiterinnen und Mitstreiter versteckten Flugblätter in Zwiebacktüten.“ SPD-Mitglied Hermann Runge wurde in dieser Zeit zu einem der wichtigsten Organisatoren des Widerstands am Niederrhein und im westlichen Ruhrgebiet. Otto König und Otto Leichsenring waren seine Kontaktleute in Oberhausen-Alstaden. „Auch mit Else und Heinrich Jochem aus Lirich arbeitete er eng zusammen.“ Der Bergmann und Betriebsrat Thomas Tabaschowski schließlich sei sein Vertrauensmann in Sterkrade gewesen.
- Verfolgen Sie die aktuelle Entwicklung zum Coronavirus in Oberhausenin unserem Newsblog
- Lesen Sie mehr Geschichten aus Oberhausen
- Oder folgen Sie der WAZ Oberhausen auf Facebook
„1933 kaufte der Duisburger Sozialdemokrat August Kordahs die Brotfabrik Germania.“ Kordahs selbst sei Brotfahrer und Gewerkschafter gewesen und habe zahlreiche SPD-Genossen als Fahrer eingestellt. Dazu gehörten: Hermann Runge, Sebastian Dani, Otto König und Otto Leichsenring. „Ab Sommer 1934 verteilten die Fahrer illegales Material und organisierten geheime Treffen.“ Aus Belgien und Holland erreichte die illegale Literatur den Niederrhein und das westliche Ruhrgebiet über traditionelle Schmugglerwege.
Der Sterkrader Bahnhofsplatz ist nach August Zilian benannt
„In Oberhausen bildeten sich Lesezirkel, die von Otto König mit Schriften beliefert wurden.“ Thomas Tabaschowski verteilte die Flugblätter in Sterkrade auch an August Zilian, KPD-Stadtverordneter vor 1933 und Arbeitervertreter der Ruhrchemie. Der Kommunist Zilian zahlte einen hohen Preis: Er wurde im Sommer 1944 in Dortmund hingerichtet, unter anderem weil er die Zeitung „Der Friedenskämpfer“ in Oberhausen verteilt und illegale Kämpfer versteckt hatte. „Nach ihm und seiner Frau Maria ist seit 1947 der Sterkrader Bahnhofsplatz benannt“, erzählt Oberschewen.
Bereits 1935 waren im Rahmen der großen Verhaftungswelle gegen die sozialdemokratischen Widerständler im Rhein-Ruhr-Gebiet auch zahlreiche Oberhausener verhaftet worden. Insgesamt 600 wurden am Oberlandesgericht Hamm im so genannten „Brotfahrerprozess“ angeklagt.
Otto König klärte junge Oberhausener über die Nazis auf
Der Oberhausener Otto König klärte bis ins hohe Alter nachfolgende Generationen in Oberhausen über die Zeit des Nationalsozialismus auf.
Er hat einen eindrucksvollen Bericht über seine Haft hinterlassen, der in dem Buch „Wir Hoch- und Landesverräter“ (Oberhausen 1983, Seiten 72 – 77) nachgelesen werden kann.
Auch der Oberhausener Brotfahrer Otto König gehörte zu den Verhafteten. „Er wurde zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt, sein Oberhausener Genosse Otto Leichsenring zu drei Jahren und vier Monaten.“ Nach der Entlassung 1938 wurde Leichsenring bis 1945 von der Gestapo in verschiedene Konzentrationslager verschleppt. „Dennoch wurde er gleich nach dem Kriegsende wieder für die SPD aktiv, etwa in dem Ausschuss für Entschädigung der Opfer des Faschismus.“
Doch nicht nur SPD-Mitglieder, auch überzeugte Christen, Mitglieder der Zentrumspartei oder Kommunisten riskierten im Kampf gegen die Diktatur ihr Leben: Die meisten Oberhausener Widerstandskämpfer aber, die diese Zeit überlebten, setzten sich später für starke demokratische Strukturen in ihrer Stadt ein. Oberhausen, wie wir es heute kennen, haben wir auch ihnen zu verdanken.