Oberhausen. Bei diesem Hochwasser hat der Deich im Süden Oberhausens stabil gehalten. Doch was passiert, wenn der Deich bricht oder aufweicht? Die Szenarien.

Andreas Croonenbroeck, Betriebsleiter Straßen und Kanäle, ist schon seit mehr als 25 Jahren bei den Wirtschaftsbetrieben Oberhausen (WBO) zuständig für den Deich im Süden Oberhausens – für genau den Deich, der in der Nacht von Donnerstag auf Freitag die Wassermassen der Ruhr so stabil aufgehalten hat, dass kein Anwohner und kein Haus in Alstaden geschädigt worden ist. Zum Glück: Nach den Hochwasser-Szenarien des Landesumweltministeriums wären von einer Überflutung im Extremfall fast 3000 Alstadener Bürger betroffen.

Wenn man mit dem erfahrenen Deich-Spezialisten eine Woche nach den großen Regenfluten von bis zu 180 Litern pro Quadratmeter redet, dann merkt man, dass ihn so schnell nichts erschüttern kann. Als im Laufe des vergangenen Donnerstags durch die Pegelmeldungen vom oberen Ende der Ruhr immer deutlicher wurde, welche gigantische Bugwelle an Wasserfluten von Hattingen über Essen auf Oberhausen zurollt, blieb Croonenbroeck in internen Gesprächen gelassen: „Der Deich hält vieles aus, der verkraftet so einiges.“

Andreas Croonenbroeck, Betriebsleiter Straßen und Kanäle bei den Wirtschaftsbetrieben Oberhausen (WBO), bei der Besichtigung eines Kanals im Jahre 2016.
Andreas Croonenbroeck, Betriebsleiter Straßen und Kanäle bei den Wirtschaftsbetrieben Oberhausen (WBO), bei der Besichtigung eines Kanals im Jahre 2016. © FUNKE Foto Services | Olaf Fuhrmann

Seine Einschätzung bewahrheitet sich, doch nur noch zwei Meter fehlten dem Wasser bis zur Deichkrone, über die die Fluten dann nach Alstaden geschwappt wären. Doch auch wenn Hochwasser unter der Deichkrone bleibt, besteht Gefahr: Wenn das Wasser sehr lange steht, weicht der Deich auf – und lässt immer mehr Wasser durch.

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Schon Notschlafplätze für Anwohner anvisiert

Für alle Fälle sorgten deshalb die Oberhausener Fachleute für Rettungen und Unglücke am Donnerstag schon vor – die Feuerwehr identifizierte Orte für Notschlafplätze von Anwohnern, falls eine Evakuierung von Teilen Alstadens notwendig sein sollte, Hunderte von Sandsäcken wurden gefüllt, das Technische Hilfswerk THW baute Flutlicht-Anlagen für die nächtlichen Arbeiten auf.

Croonenbroeck war an diesem Flut-Tag mit Spezialisten der Deichaufsicht von der Bezirksregierung Düsseldorf vor Ort, begutachtete den Zustand des Deichs. Denn mit dem steigenden Grundwasser und dem an einigen Stellen des Deiches durchsuppenden Ruhrwasser sammelte sich bereits hinter dem Deich nach ersten Pfützen ein See. „Das kam auch früher schon vor, das ist nicht gefährlich, aber jetzt füllte sich dieser See doch erstaunlich schnell“, beobachtete der WBO-Betriebsleiter.

Und der Deich hält: Beeindruckende Wassermassen in der Ruhr südlich von Oberhausen-Alstaden zeigt diese Luftaufnahme des Fotografen Hans Blossey vom vergangenen Donnerstag, 15. Juli.
Und der Deich hält: Beeindruckende Wassermassen in der Ruhr südlich von Oberhausen-Alstaden zeigt diese Luftaufnahme des Fotografen Hans Blossey vom vergangenen Donnerstag, 15. Juli. © www.blossey.eu | Hans Blossey

Auf einer Länge von 150 Metern sicherten die Feuerwehrleute dann zusätzlich den Deich unten ab. „Gott sei Dank machte der Rhein keine Probleme, das Wasser lief zügig ab. Der Pegel fiel dann am Freitag schnell.“ Angesichts der riesigen Überschwemmungsflächen an der Ruhr (Ruhrwiesen, Feuchtbiotop, Ruhrpark), sei Oberhausen im Gegensatz zu Mülheim und Essen in einer relativ komfortablen Lage: Das Wasser kann sich ohne Gefährdung für Leib, Leben und Wertsachen ausbreiten.

Und dennoch gibt es natürlich Katastrophen-Szenarien, die die Krisenfachleute der Stadt sogar noch vor kurzem durchspielten: Was passiert, wenn es der Deich doch einmal nicht schafft? Wie müssen Rettungsprofis, wie die Anwohner handeln? Wie wird im Fall einer Evakuierung gewarnt?

So sieht normalerweise der Ruhrbogen zwischen Mülheim und Oberhausen-Alstaden aus.
So sieht normalerweise der Ruhrbogen zwischen Mülheim und Oberhausen-Alstaden aus. © www.blossey.eu | Hans Blossey

Der Deichexperte lobt das Sirenensystem, das Oberhausen in den vergangenen Jahren flächendeckend wieder neu aufgebaut hat: „Wenn so eine Sirene tönt, hat das eine andere Wirkung, als App-Warnmeldungen für alle möglichen Regionen.“ Zudem würden Polizeiwagen durch die Straßen fahren, um die Anwohner aufzufordern, ihre Wertsachen zu packen und ihre Wohnung zu verlassen. „Im Fall des Falles wäre die Warnzeit deutlich länger als bei Gewässern in kleinen Tälern – vielleicht eine Stunde, da wir an der Ruhr das ankommende Hochwasser lange beobachten können.“

Eine unglaubliche Kraft entfaltet das kräftig strömende Wasser – am Montag, vier Tage nach dem höchsten Pegelstand, sind die Zerstörungen am Ufer der Ruhr zu sehen.
Eine unglaubliche Kraft entfaltet das kräftig strömende Wasser – am Montag, vier Tage nach dem höchsten Pegelstand, sind die Zerstörungen am Ufer der Ruhr zu sehen. © FUNKE FotoServices | Kerstin Bögeholz

Für problematisch hält Andreas Croonenbroeck allerdings, dass wohl nur manche Oberhausener derzeit wissen, welche Straßen, welche Häuserzüge bei einem Jahrtausend-Hochwasser wirklich unter Wasser stünden. „Es gibt zwar Hochwasser-Karten, aber die wenigsten dürften darauf geschaut haben.“

Dabei hat das NRW-Umweltministerium ziemlich exakte Hochwasser-Karten für drei Szenarien, die im Internet unter https://www.flussgebiete.nrw.de/ergebnisse-und-dokumentation-8391 abrufbar sind: Modelliert worden sind die Auswirkungen von relativ häufigen Hochwassern (im Mittel alle 10 bis 20 Jahre), von mittelwahrscheinlichen Hochwassern (im Mittel nur alle hundert Jahre), und Extremhochwasser, sogenannte Jahrtausendhochwasser.

Natürlich würden so oder so, wie bei Hochwasser gewünscht, die Ruhrwiesen, der Ruhrpark und das Feuchtbiotop an der Stadtgrenze zu Mülheim vom Wasser überschwemmt werden. Im Extremfall würden aber auch verschiedene Wohngebiete in Alstaden überflutet: Breite Gebiete hinter dem Ruhrpark, also die Kewerstraße, die Solbadstraße sowie die kleinen Straßen Kalle und Stelte bis zur Stadtgrenze nach Mülheim. In der Mitte von Alstaden wären die Häuser „Am Ruhrufer“, an der „Kuhle“, zum Teil auf der Straße „Heiderhöfen“ und an der Amboßstraße sowie an der Blockstraße und Richardstraße von Wasser bedroht. An der Stadtgrenze zu Duisburg sind bei einem Extrem-Hochwasser die Wohnquartiere „Neuer Weg“, Flügelstraße, Sorpestraße und Blettgensweg gefährdet.

Zum Glück ist nach Einschätzung des Fachmannes der Deich an der Ruhr durch regelmäßige Vorsorge in einem guten Zustand. „Sonst könnte ich damit nicht leben, sonst könnte ich nicht ruhig schlafen“, meint Andreas Croonenbroeck. „Solange der Deich stehen bleibt, passiert Oberhausen nichts.“