Oberhausen. Die Linken stehen in den Umfragen zur Bundestagswahl nicht gut da -- deshalb reisen sie nun mit einem Riesen-Plakat durch die Städte.

Nein, dies sei keine Wahlkampfveranstaltung, betonte die Linke schon in ihrer Einladung für die Veranstaltung auf dem Arnold-Rademacher-Platz am Donnerstag-Nachmittag. Dasselbe sagt auch Sevim Dağdelen, Kind des Ruhrgebiets und bekanntes Gesicht der Partei im Bundestag, die bei strömendem Regen als einzige ohne Schirm oder tief ins Gesicht gezogene Kapuze hinter dem Stand mit durchnässten Flyern und Kugelschreibern steht.

Vielleicht ist es ihnen zu früh, weil schließlich die anderen auch noch nicht damit angefangen haben, vielleicht aber auch der Zeitpunkt ungünstig, da gerade Querelen die eigentlichen politischen Themen überschatten. Oder so ein Klapptisch mit Kulis und labbrigen Flyern ist, trotz des groß angekündigten Riesen-Plakats im Hintergrund, selbst für eine Linke als Wahlkampf-Auftakt schlicht zu unglamourös.

Persönliche Ansprache nach langer Pause

Sevim Dağdelen scheint nichts davon aus dem Konzept zu bringen. Die 45-Jährige ist nicht nur politisch Voll-Profi, die druckreif die Ziele ihrer Partei formuliert, sie hat sich auch nach beachtlichen 16 Jahren als Bundestagsabgeordnete eine offene, herzliche Art bewahrt, die in der heutigen traurigen Sterkrader Wetterlage vieles wieder wettmacht. „Wir wollen wieder sichtbar sein“, erklärt sie den Sinn der Aktion, das an einem Kran hängende Riesen-Plakat mit politischen Forderungen der Linken noch bis zum 24. Juli in Städte und Gemeinden zu fahren. Und auch in Oberhausen habe sie in den Begegnungen gespürt: „Viele sehnen sich nach Ansprache.“

Heftige Konflikte innerhalb der Linkspartei

Laut aktuellen Zahlen der Wahlforscher von Infratest Dimap würde die Linkspartei bei einer Bundestagswahl zurzeit auf nur sieben Prozent kommen.

Die schwachen Umfragewerte haben laut Experten vor allem mit den persönlichen und inhaltlichen Streitereien innerhalb der Partei zu tun. Es gibt Bestrebungen, Sahra Wagenknecht, die ehemalige Linken-Fraktionschefin im Bundestag, aus der Partei zu werfen. Auch gegen ihren Ehemann, Linken-Gründer Oskar Lafontaine, läuft ein Antrag auf Parteiausschluss.

„Aufbruch für ein gerechtes Land“ ist über den Köpfen im grauen Himmel zu lesen, mit Ausrufezeichen, darunter strecken junge Menschen die Fäuste in den Himmel, eine Frau mit Pferdeschwanz spricht in ein Megafon. „Wer wird zahlen für die Corona-Krise? Darüber entscheiden die Wähler am 26. September“, kommt Sevim Dağdelen schnell zum Punkt. Also doch Wahlkampf. „Werden es die Rentner sein oder die Superreichen?“ Anderthalb Millionen Dollar-Millionäre gebe es inzwischen in Deutschland – „und drei Millionen Kinder, die in Armut leben“. Die sei eine krasse Schieflage. Die Zahlen für ihre Heimat hat die gebürtige Duisburgerin mit Wohnsitz in Bochum natürlich auch auf Lager: „Die Armutsquote liegt im Ruhrgebiet bei 21,4 Prozent.“

Mehr kommunaler Wohnungsbau gefordert

Reden wir über Oberhausen. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist gestiegen, binnen eines Jahres um fast 14 Prozent. „Wir brauchen ein Investitionsprogramm fürs Ruhrgebiet“, sagt Dağdelen. Ansonsten seien alle politischen Entscheidungen auf Bundesebene selbstverständlich auch vor Ort bedeutsam: „Wenn der gesetzliche Mindestlohn wie von uns gefordert auf 13 Euro erhöht wird, dann profitieren alle davon.“

Ebenso verhalte es sich mit dem Mietendeckel. Bezahlbarer Wohnraum – großes Linken-Thema, das viele Oberhausener interessieren dürfte. „Die Frage ist, wem gehört die Stadt? Allen Bürgern oder nur denen, die es sich leisten können, in den Innenstädten zu wohnen?“ Hier bleibt die stellvertretende Bundesfraktionsvorsitzende allgemein. Auch wenn sie als Jugendliche oft Freunde in Osterfeld besucht und in der Centro-Gastronomie gejobbt hat, sie lebt nun mal nicht hier und es ist auch politisch nicht ihr Beritt.

Henning von Stoltzenberg, Oberhausener Linken-Fraktionsmitarbeiter, macht es konkreter: „Es wird zwar gebaut, aber eine Handvoll Luxuswohnungen werden das Problem nicht lösen.“ Die Stadt sei gefordert, ihren eigenen Bestand an Sozialwohnungen zu prüfen und den Eigentümern „auf die Finger zu klopfen“, damit diese ihre Immobilien, wenn möglich, umwandeln. Und: „Wir brauchen eine kommunale Wohnungsbaugesellschaft, die das alles koordiniert. Damit alle etwas abbekommen.“

Abrüsten für liebenswertere Städte

An dieser Stelle kommt wieder die Bundesebene ins Spiel – und deren heutige Vertreterin am Vor-Wahlkampf-Stand. „Die Kommunen müssen gestärkt werden“, sagt Sevim Dağdelen. „Es ist doch Tristesse pur, besonders in der Nähe von Bahnhöfen im Ruhrgebiet.“ Und gekonnt schlägt die Fraktions-Sprecherin für Abrüstungspolitik den Bogen zu ihrem Lieblingsthema: „Anstatt zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts fürs Militär aufzuwenden, könnte man dieses Geld viel besser ausgeben; für Schule, Gesundheit, Pflege, Digitalisierung – und um Städte lebenswerter und liebenswerter zu machen.“

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