Oberhausen. Tragischer Fall vor Gericht: Jahrelang wird ein an Diabetes erkranktes Kind nicht angemessen versorgt. Die Eltern haben sich nun zu verantworten.

Mit dem tragischen Fall eines schwer an Diabetes Typ 1 erkrankten Kindes hatte es jetzt das Schöffengericht am Amtsgericht Oberhausen aus strafrechtlicher Sicht zu tun. Die Eltern des heute 13-Jährigen waren angeklagt, den Blutzuckerspiegel des Jungen über viele Jahre nicht genau kontrolliert und ihr Kind nicht fortlaufend mit Insulin versorgt zu haben.

Vater (38) und Mutter (31) zeigten sich vor dem Schöffengericht weitgehend geständig. Schon im Verlauf des Jahres 2010 war bei dem 2008 geborenen Jungen die Diabetes-Erkrankung aufgetreten. Doch immer wieder fehlte es offenbar an einer genauen Kontrolle des Blutzuckerspiegels, an verlässlicher Versorgung mit Insulin und überhaupt an Aufmerksamkeit der Eltern für die Erkrankung.

Das Oberhausener Jugendamt wurde aktiv. Das Kind kam zeitweise in eine Pflegefamilie und ins Krankenhaus. 2017 und 2018 spitzte sich dann die Lage bedrohlich zu, denn: Gegen die wegen zahlreicher Delikte vorbestraften Eltern lagen jeweils Haftbefehle wegen anderer strafrechtlicher Vergehen vor. Sie wollten sich gemeinsam dem Zugriff der Behörden entziehen und meldeten den Jungen von der Schule in Oberhausen ab, angeblich wegen eines Wohnortwechsels. Schließlich flohen die Eltern – der Vater ist türkischer Abstammung, die Mutter Oberhausenerin – aus Deutschland und wurden im Juli 2018 an der bulgarisch-türkischen Grenze mit dem Kind in einem Reisebus aufgegriffen.

Botschaft schaltete sich ein

Der zu diesem Zeitpunkt offenbar schwerer erkrankte Junge kam in eine Klinik in Sofia. Die deutsche Botschaft schaltete sich ein. Mitarbeiterinnen des Jugendamtes flogen kurzfristig von Düsseldorf in die bulgarische Hauptstadt, da dort eine fortlaufende Versorgung des Kindes kaum gewährleistet schien. Das Jugendamt, das zu diesem Zeitpunkt längst die Vormundschaft über das Kind innehatte, brachte den Jungen zurück nach Deutschland, wo er nach einem mehrwöchigen stationären Krankenhausaufenthalt in eine Pflegefamilie kam, in der er heute noch lebt.

Seit drei Jahren in Pflegefamilie

Der Junge (13) wird sein ganzes Leben lang unter den Folgen der unzureichend behandelten Diabetes-Erkrankung leiden. Das machten mehrere Zeuginnen vor Gericht klar.

Seit drei Jahren lebt das Kind nun in einer Pflegefamilie. Schritt für Schritt soll der Kontakt zur Mutter, nach der er häufig fragt, behutsam wieder aufgebaut werden.

Fettleber, Kleinwüchsigkeit, Konditionsschwäche, motorische und geistige Probleme – eindrucksvoll schilderten mehrere Zeuginnen, darunter Jugendamts-Mitarbeiterinnen und die jetzige Pflegemutter, im Verlauf des mehrstündigen Prozesses die schweren Folgen der über Jahre unzureichend behandelten Diabetes-Erkrankung für den Jungen. Aus strafrechtlicher Sicht sind das gleich mehrere Tatbestände: Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht, Misshandlung von Schutzbefohlenen und auch: Entziehung Minderjähriger, da das Jugendamt zum Zeitpunkt des Untertauchens bzw. der Flucht die Vormundschaft über den Jungen innehatte.

Bewährung nur für die Mutter

Die Staatsanwaltschaft forderte jeweils eine dreijährige Gesamtfreiheitsstrafe für die Eltern. Die Verteidigung der beiden Angeklagten plädierte für Bewährungsstrafen. Nach rund 20-minütiger Beratung sprach das Schöffengericht unter dem Vorsitz von Richter Marc Voosen sein Urteil: eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung für den Vater, der derzeit in der JVA Geldern einsitzt; und eine zweijährige Gesamtfreiheitsstrafe auch für die Mutter, allerdings in ihrem Fall zur Bewährung ausgesetzt.