Oberhausen. Wenn Supermärkte am Stadtrand größer und größer werden, gefährdet das womöglich den gewachsenen Stadtteil-Handel. Ein Problem für Lokalpolitiker.
Richtiger Zoff ist in der Oberhausener Lokalpolitik selten. Ende 2019 gab es ihn in Osterfeld. Da ging es um die falsch aufgetragenen Radfahrstreifen auf der Teutoburger Straße: Kann dem kleinen Nebenzentrum an Geschäften dort zugemutet werden, dafür auf einige Parkplätze zu verzichten? Die Lokalpolitiker des Stadtbezirks reagierten damals äußerst sensibel - angesichts der relativ kleinen Gefahr für die Händler.
Seitdem ist kaum mehr als ein Jahr vergangen und die Bezirksvertreter haben sang- und klanglos die Aufstockung des Lidl-Marktes in der Nachbarschaft genehmigt. Das Problem dabei: Der deutlich vergrößerte Supermarkt auf zwei Stockwerken könnte das Ende dieses Nebenzentrums im Stadtbezirk Osterfeld einläuten. Denn Lidl will aus dem bisher recht gewöhnlichen Markt mit dem großen Parkplatz eine "Metropolfiliale" auf zwei Etagen zaubern - mit viel mehr Produkten, breiteren Gängen und weniger hohen Regalen.
+++ Sie wollen keine Nachrichten aus Oberhausen verpassen? Dann können Sie hier unseren abendlichen und kostenlosen Newsletter abonnieren! +++
Breitere Gänge und weniger hohe Regale
In der Lebensmittelbranche ist der Trend zu immer größeren Märkten mit immer mehr Produktvarianten ungebrochen: Vor rund 20 Jahren lag die Größe eines Lebensmittelladens im Schnitt noch bei 800 Quadratmetern Verkaufsfläche, doch schon seit Längerem suchen die Firmen größere Räume - auch um immer mehr Sonderangebote von Nicht-Lebensmitteln unterbringen zu können.
Die Lidl-Planer haben den Lokalpolitikern ihr neues Projekt in Osterfeld durchaus geschickt schmackhaft gemacht: Moderne Architektur, begrüntes Dach, der Einsatz von Sonnenenergie. Knapp die Hälfte der Parkplätze verschwindet im Erdgeschoss der neuen Filiale. Und die Anlieferung auch.
Nachbarn liefen Sturm
Bei den Nachbarn kam das trotzdem nicht an. Sie liefen Sturm gegen den Plan, die Zufahrt nur über Jacobi- und Huyssenstraße zu führen. Die Huyssenstraße ist eine Spielstraße. Dieser Plan ist aber vom Tisch. Sie erfolgt künftig über die Straße Im Fuhlenbrock gegenüber der Tankstelle. Auch bleibt es bei einer Ausfahrt zur Teutoburger Straße. Über die Huyssenstraße muss aber künftig aus verkehrstechnischen Gründen die Anlieferung stattfinden, versprochen sind höchstens fünf Lkw am Tag inklusive Müllabfuhr.
Verkehr und Lärm keine Probleme
Die Verkehrsprobleme in der Gegend halten Fachleute für beherrschbar, obwohl vor allem die Zahl der Autofahrer zunehmen wird. Nirgendwo an den Einmündungen müssten sie aber im Schnitt länger als zehn Sekunden warten, geht aus ihren Verkehrsmodellen hervor. Und auf der neuen Linksabbiegespur zum Lidl komme es äußerst selten zum Rückstau in den Kreisverkehr.
In der Spitze erwarten die Verkehrsexperten nachmittags 699 statt heute 605 Fahrten auf den Straßen Im Fuhlenbrock/Höhe Huyssenstraße - ein Plus von fast 16 Prozent. Höchstens 312 Autos pro Stunde statt heute 236 fahren nach den Prognosen im Bereich Jacobistraße/Huyssenstraße; auf der Teutoburger Straße sinkt die Zahl an Fahrten leicht von knapp 800 auf 780.
Das Hauptproblem für Lidl und die Bewertung der Investition durch die Lokalpolitik: In Deutschland können nicht beliebig Lebensmittelmärkte eröffnen, wenn ein Laden über 800 Quadratmeter groß ist. Der Staat hält seine schützende Hand über die Ortszentren. Die Städte sollen sie auf einer Karte einzeichnen, im sogenannten "Einzelhandelskonzept", und verhindern, dass sich bestimmte größere Läden außerhalb ansiedeln und Ortszentren mit ihrer gewachsenen Händlerstruktur zerstören. Genau dies aber könnte die Wirkung der umfangreichen Lidl-Modernisierung sein.
Die Zentren sind geschützt, damit auch Menschen ohne Auto sich in ihrer Nachbarschaft mit dem Nötigsten versorgen können. Ein Zentrum lebt davon, dass ein großes Geschäft die Kunden anzieht, die dann aber auch zum Friseur, zur Apotheke oder zum Imbiss gehen. Das nützt auch der Umwelt.
Oberhausen lockt immer mehr Kunden aus Bottrop an
Läden über 800 Quadratmeter benötigen meist mehr Kunden, als in der Nähe wohnen. Soll so ein größerer Laden außerhalb eines Zentrums entstehen, müssen Fachleute bescheinigen, dass das unschädlich ist. Oberhausen hat gewollt, dass diese Experten von Lidl beauftragt und bezahlt wurden. Wie sie gearbeitet haben, hat man im Bottroper Rathaus mit Argusaugen verfolgt.
Denn den Bottropern lockt schon das Oberhausener Centro seit Jahren Kunden aus der eigenen City weg. "Der durchschnittliche Kaufkraftabfluss in die Nachbarstadt Oberhausen beträgt mittlerweile über zehn Prozent", heißt es in einem Schreiben. Künftig droht dies auch noch durch den neuen Sportartikel-Fachmarkt Decathlon am Brammenring in Centro-Nähe und eben durch den so stark vergrößerten neuen Lidl direkt an der Stadtgrenze.
Der Lidl als Retter in der Not
Die Fachleute für die Unbedenklichkeitsbescheinigung der Lidl-Modernisierung jedenfalls haben das Vorhaben ungewöhnlicherweise ein zweites Mal durchgerechnet - und damit wurde es offenbar leichter, für das Projekt grünes Licht zu geben. Sie erklären, dass das kleine Geschäftszentrum an der Teutoburger Straße ohnehin in Zukunft kaum noch zu halten sei. So steht nun plötzlich aus dem Blickwinkel dieser Fachleute der neue Lidl wie der Retter in der Not da, wenn beispielsweise Konkurrent Netto im Nebenzentrum aufgeben müsste.
Die Experten kalkulieren ihre Prognosen auch nicht mit der vollen Fläche des neuen Lidl - sie lassen pauschal Flächen wie die breite Rolltreppe weg. So hat der neue Lidl plötzlich nur noch 1060 statt 1350 Quadratmeter. Wie zu erfahren war, ist eine solche Praxis bei Prozessen vor Gerichten bislang nicht zu sehen. Die Folge dieser Neukalkulation der Flächen: Die Geldmenge, die nicht mehr woanders ausgegeben wird, weil sie in die Kassen vom Lidl fließt, fällt nun um die Hälfte geringer aus als in früheren Berechnungen. Also weniger Gefahr für das Nebenzentrum?
Neues Zentrenkonzept auf Eis gelegt
Kritik an diesem Gutachten kommt natürlich von den Oberhausener Nachbarn, den Bottropern. Die wundern sich über "unübliche Betrachtungen" und darüber, dass der Lidl "mit Hilfe der veränderten Stellschrauben" passend gemacht werde. Ein aktuelles Einzelhandelskonzept hat Oberhausen übrigens schon seit über einem Jahrzehnt nicht erstellt, die gültige Karte stammt von 2008 - mit diesem Ortszentrum, das deshalb eigentlich geschützt werden müsste. Gerade für Lidl wurden aber schon etliche Ausnahmen gemacht.
Bis 25. Mai können Bürger Pläne einsehen und Bedenken erheben
Laut Amtsblatt liegt der Vorhabenbezogene Bebauungsplan Nr. 31 Teutoburger Straße/Turnplatzstraße (Lidl) bis einschließlich 25. Mai zu den üblichen Dienstzeiten im Technischen Rathaus in Sterkrade, Bahnhofstraße 66, aus. Jeder hat das Recht, die Unterlagen einzusehen. Wegen Corona erhalten aber nur Einzelpersonen mit Anmeldung (0208-825-2498/-3265) Zutritt. Die Unterlagen sind aber auch im Internet einzusehen, gibt man www.o-sp.de/oberhausen/plan/auslegung.php ein.
Es ist der vorletzte Schritt auf dem Weg zu der Erlaubnis, den Lidl vergrößern zu können. Innerhalb der Frist können Bürger Anregungen und Bedenken dazu äußern. Auch können nur solche Bürger den Bebauungsplan später durch das Oberverwaltungsgericht Münster überprüfen lassen, die ihre Bedenken jetzt äußern. Als letzten Schritt muss der Stadtrat darüber entscheiden und die Chance bekommen, diese Bedenken noch auszuräumen, ehe er den Bebauungsplan als Satzung, als Ortsgesetz, mit Mehrheit beschließt.